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Nomaden werden zu Goldsuchern

In der mongolischen Steppe suchen immer mehr Menschen nach Gold. In der weiten Ebene hinterlassen sie tiefe Löcher. Ein Problem für Nomaden und ihre Tiere. Um Arbeiter und Natur besser zu schützen, will die Regierung den Kleinbergbau besser kontrollieren.

Von Nicole Graaf | 10.03.2012
    Nichts als Grasland und sanft geschwungene Hügel – soweit das Auge reicht. Doch in einer Senke sind rund 50 Goldsucher bei der Arbeit. Um sie herum überall Erdhaufen und Löcher, es sieht aus, als hätten dort riesige Maulwürfe gebuddelt. Maam, eine rundliche Frau, Ende 40 sitzt mit ihrer Plastik-Wanne an einem schlammigen Wasserloch. Sie trägt ein weißes Kopftuch, um ihre Haare vor dem Staub zu schützen und ein rosafarbenes T-Shirt. Ihr 13-jähriger Sohn Dalai hilft ihr während der Schulferien. Die beiden haben goldhaltige Erde aus dem Boden gekratzt und bereits gesiebt. Immer wieder lässt Maam nun vorsichtig den überschüssigen Sand aus der Wanne fließen, schöpft wieder ein wenig Wasser hinein und lässt sie kreisen - bis nur noch feines schwarzes Sediment übrig ist. Als sie gegen die Wanne klopft, kommen ein paar winzige Goldkörnchen zum Vorschein. Maam zieht eine kleine Plastikdose aus der Tasche und füllt den Goldstaub vorsichtig hinein.

    "An schlechten Tagen finden wir Gold im Wert von etwa fünf Euro. Im Schnitt sind es so zwischen 17 und 28 Euro. Und einmal haben wir ein sechs Meter tiefes Loch gegraben. Da haben wir innerhalb von nur drei Tagen fast 900 Euro verdient."

    In der Mongolei ist das viel Geld. Ein Lehrer verdient hier nur umgerechnet 170 bis 280 Euro im Monat. Kaum etwas bringt auf dem Land so viel ein, wie das Schürfen von Gold.
    Im Volksmund heißen die Goldsucher "Ninjas", denn mit ihren grünen Plastikwannen auf dem Rücken sehen sie angeblich aus wie die "Ninja Turtles" aus der Zeichentrick-Serie.
    Maam lebt in einem Camp mit rund 100 anderen "Ninjas" zusammen. Ihr Mann ist vor einigen Jahren gestorben. Zwischen den Jurten steht eine windschiefe Stange mit einem Basketballkorb. Daneben die Jurten der Händler, die das Gold der "Ninjas" ankaufen. Auf einem rostigen Bettgestell spielen ein paar Kinder, während ihre Eltern bei der Arbeit sind. Viele kommen aus der armen Landbevölkerung wie Maam. Früher lebte sie als Nomadin:

    "Es gab 2002 einen sehr harten Winter, in dem wir alle unsere Tiere verloren haben. Damals hörte ich von den Goldsuchern und habe mich dann entschlossen hierherzuziehen. Wir verdienen damit zwar gut, aber das ist wohl die härteste Arbeit, die man sich vorstellen kann. Vor allem die Erde aus den ganz tiefen Löchern zu holen. Man kann da kaum atmen und manchmal stürzen sie ein. Diese Arbeit ist sehr gefährlich. Wir können da unten sterben."

    Maam stockt. Tränen treten ihr in die Augen. Vor zwei Jahren starb einer ihrer Söhne, als solch ein Loch über ihm zusammenstürzte. Er war gerade einmal 19 Jahre alt. Maam hat ein Bild von ihm auf ihrem Hausaltar in der Jurte aufgestellt. Sie schaut es oft an. Unfälle passieren sehr häufig. Besonders im Sommer, wenn der sandige Boden vom Regen aufgeweicht ist. Die meisten "Ninjas" haben aber kaum eine Alternative; viele von Maams Nachbarn im Camp waren ebenfalls Nomaden und erzählen ähnliche Geschichten - von Wintern mit Temperaturen unter Minus 40 Grad, von ihren Herden, die unter Schnee und Eis kein Gras mehr fanden und verhungerten; …
    Zur Jahrtausendwende gab es gleich drei extrem harte Winter in Folge. Auf dem Land gibt es kaum Arbeit. Und wenn dann ist sie sehr schlecht bezahlt.

    "Sehen Sie, ich bin eine alte Frau und ich habe keinen Beruf. Im nächsten Ort hatte ich einmal eine Stelle als Putzfrau gefunden. Aber das Gehalt war sehr schlecht. Davon hätten wir nicht leben können. Es war so gut wie nichts im Vergleich zu dem, was wir hier verdienen können."

    Die Goldsuche birgt nicht nur Gefahren für die "Ninjas" selbst, sondern auch für die Umwelt. Flüsse versanden und der Müll aus den Camps belastet das empfindliche Grasland. "Ninjas", die in felsigen Gegenden arbeiten, benutzen gar giftige Chemikalien wie Quecksilber. Damit waschen sie das Gold aus dem zerkleinerten Gestein. Probleme bereiten auch die vielen Löcher, die sie hinterlassen, wie der Nomade Ganbold klagt:

    "Unsere Tiere fallen ständig in die Löcher, vor allem die kleinen Ziegen. Manchmal finden wir sie erst nach zwei, drei Tagen. Man muss ständig in die Löcher schauen, um zu wissen, ob ein Tier hineingefallen ist. Bei den kleineren ist das nicht so schlimm, und nach und nach lernen sie auch, die Löcher zu umgehen oder darüber zu springen. Aber Pferde und Kamele können sich schwer verletzen und sterben dann. Denn die großen Tiere können wir nicht herausziehen."

    Vor einigen Jahren nahmen die Probleme überhand. Die Regierung hatte die wilde Goldsuche deshalb verboten. Immer wieder versuchte sie, "Ninjas" mit Polizeigewalt zu vertreiben. Dabei kam es häufiger zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Wenn die "Ninjas" von einem Platz vertrieben wurden, gingen sie einfach anderswo graben. Das weitläufige, dünn besiedelte Land ist nur schwer zu kontrollieren. Die Regierung verfolgt inzwischen einen anderen Ansatz: Aus der wilden Goldsuche soll eine offiziell anerkannte, eine geregelte Tätigkeit werden. Die "Ninjas" sollen sich registrieren lassen, Steuern zahlen, sowie Umwelt- und Sicherheitsstandards einhalten. Die Regierung erhält Unterstützung aus der Schweiz, von der staatlichen Direktion für Entwicklungszusammenarbeit, DEZA. Matthias Meier ist der stellvertretende Leiter der DEZA in der Mongolei.

    "Viele lokale Regierungen gehören zu den Vorreitern des Kleinbergbau, weil sie auch die Vorteile sehen: Der Kleinbergbau generiert Zehntausende von Arbeitsplätzen auf dem Land, wo es sonst wenige Beschäftigungsmöglichkeiten gibt. Im Kleinbergbau gehen die Erlöse fast zu 100 Prozent wieder in die lokale Wirtschaft zurück. Das ist ganz anders als im organisierten Großbergbau, wo die Profite häufig entweder ins Ausland oder in die Hauptstadt wandern."

    Auch die "Ninjas" in Maams Camp haben sich registrieren lassen. Maam sagt, seitdem habe sich vieles zum Besseren gewandelt.

    "Vorher haben alle ihre Löcher gegraben, wo sie wollten und wenn sie fertig waren, haben sie es einfach so gelassen. Jetzt schütten wir die Löcher wieder zu und säen neue Pflanzen. Und jeden Samstag sammeln wir in der Umgebung den Müll auf. Früher hatte ich auch oft Angst vor den vielen Betrunkenen. Manchmal hämmerten sie an meine Tür und pöbelten herum."

    Jetzt ist Alkohol im Camp verboten. Und um die schlimmen Unfälle zu vermeiden, werden nun regelmäßig Schulungen durchgeführt. Dabei lernen die Goldsucher zum Beispiel, ihre Stollen abzustützen und wie man jemanden rettet, der unter Tage ohnmächtig geworden ist.

    "Wir sind panisch runter und haben ihn mit einem Seil hochgeholt. Aber das ist falsch, man kann ihn dabei schwer verletzen. Wir haben jetzt gelernt, dass wir eine spezielle Trage benutzen müssen."

    Trotz der Verbesserungen bleibt die Arbeit hart. Am Abend ist Maam müde und nur mäßig zufrieden. An diesem Tag hat sie etwa 10 Euro verdient. Zum Feierabend schaut sie mit anderen Goldsuchern zusammen Nachrichten und koreanische Seifenopern in der Jurte des Goldhändlers. Er hat draußen eine Satellitenschüssel angebracht – ein Generator sorgt für Strom. Maam drückt ihren Sohn Dalai an sich. Sie taucht für ein, zwei Stunden in eine andere Welt ein, das Fernsehen bringt glitzernde Hochhäuser und erfolgreiche Geschäftsleute in die mongolische Jurte.