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Norbert Walter-Borjans: "Der große Bluff"
Ein Plädoyer für gerechte Steuern

Steuern haben ein schlechtes Image, sind aber etwas Positives. Das ist zumindest die Auffassung des früheren NRW-Finanzministers Norbert Walter-Borjans (SPD). Sein neues Buch erklärt das komplexe Thema verständlich für alle - und ist gleichzeitig ein leidenschaftliches Plädoyer für gerechte Besteuerung.

Von Moritz Küpper | 11.02.2019
    Formular der Einkommensteuererklärung mit Stift und Geldmünzen im Hintergrund.
    Staat und Bürger werden oft als Gegenspieler gesehen, wenn es um Steuern geht - dabei profitieren alle von Steuern (picture alliance / Blickwinkel)
    Der Eindruck, dass Norbert Walter-Borjans, SPD, einst Finanzminister von Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland, sich auf einer Mission befindet, drängt sich geradezu auf:
    "Es gibt ein Grundproblem, dem ich immer wieder begegne, wenn ich zu einer Veranstaltung eingeladen werde, wo ich ein bisschen was über die Zusammenhänge erzählen soll. Dann sagt der einleitende Redner immer: Also, jetzt kommt Norbert Walter-Borjans oder Nowabo, der kann uns das erklären, ich selbst hab‘ ja keine Ahnung davon."
    Ein Buch und ein politisches Programm
    Der SPD-Politiker macht eine Pause.
    "Und dafür gibt es im Zweifel sogar Applaus. Weil offenbar so eine Grundhaltung da ist: Wenn wir dieses Thema irgendwo umschiffen können, dann ist es gut so. Und meine Antwort ist dann immer, dass ich sage, ich fände es ganz gut, wenn ihr doch ein Stück mehr Ahnung davon hättet, weil es ist ein Querschnittsthema."
    "Steuern – der große Bluff", heißt das Taschenbuch, das Walter-Borjans geschrieben hat. Untertitel: "Der frühere NRW-Finanzminister berichtet von seinem Kampf gegen Steuerhinterziehung und widerlegt die Mythen, die über unser Steuersystem verbreitet werden." Offizielle Ämter und Funktionen hat Walter-Borjans seit knapp zwei Jahren nicht mehr. Und doch ist der SPD-Mann aktuell gefragt, tourt mit Lesungen und Podiumsdiskussion durchs Land – und präsentiert dabei ein Buch, das man durchaus als eine Art Vermächtnis oder politisches Programm bezeichnen könnte.
    "Jedes einzelne Thema – Wohnungsbaupolitik, Straßenbau, Bildung, Forschung – kostet Geld. Und man kann, nach meiner festen Überzeugung, Steuermittel nur gerecht einsetzen, wenn man sie auch gerecht eingenommen hat. Also, wenn sich ganze Teile der Wirtschaft oder der Gesellschaft weigern oder vom Acker machen, wenn es darum geht, die Einnahmen zu erzielen, dann sind natürlich diese Einnahmen auch nicht mehr gerecht einzusetzen."
    Anekdoten sind rar - leider
    "Robin Hood, der Steuerzahler", so wurde Walter-Borjans mitunter als Finanzminister genannt. Er, der einst im großen Stil Steuer-CDs aufkaufen und verwerten ließ.
    "Kurz nach Beginn meiner Amtszeit als nordrhein-westfälischer Finanzminister, Mitte 2010, erreichten mich erste schriftliche Vorlagen, in denen die Fahnder mich auf dem Dienstweg über die Oberfinanzdirektion und die Steuerabteilung des Ministeriums um Zustimmung zum Erwerb von Datenträgern – besser bekannt als ‚Steuer-CDs‘ – baten. Die seien ihnen von ‚Informanten‘ angeboten worden und enthielten Hinweise auf Steuerhinterzieher und Hinterziehungspraktiken. Einer ersten Stichprobe nach zu urteilen ließe die Auswertung, so die Bewertung der Experten, ein Vielfaches des geforderten Kaufpreises an Steuer- und Strafzahlungen erwarten. Ich entschloss mich zu tun, was der Mittelbau einer Verwaltung gar nicht gern hat: Ich nahm direkten Kontakt zu den ermittelnden Kolleginnen und Kollegen der Steuerfahndung vor Ort auf – und nicht über den üblichen Dienstweg."
    Das Buch wird besonders interessant, wenn Walter-Borjans solche biografischen Erzählungen einstreut: Wie das mit den CDs war; wie er sich im Zuge der Diskussion über ein Doppelbesteuerungsabkommen Feinde in der Schweiz machte; wie er Steuerfahndern den Rücken stärkte und ihnen zu einem positiveren Image verhalf. Doch, obwohl einst als Regierungssprecher unter dem damaligen NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau sowie Marketingmann in einem Großkonzern, durchaus gewohnt, Dinge zu verkaufen, hat er in seinem Buch oft darauf verzichtet, solche Anekdoten zu schildern. Leider. Denn vor allem die ersten, beschreibenden Seiten des Werks bedienen sich häufig gehörter Formulierungen:
    "Ohne korrigierende Eingriffe der Politik wird sich jedenfalls weder die Infrastruktur von selbst erneuern noch wird sich das Auseinanderdriften der Gesellschaft verlangsamen oder gar umkehren. Ein gesellschaftliches und ökonomisches Gleichgewicht ist die Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands und für die Sicherung unserer hohen Lebensqualität. Massive Investitionen in Infrastruktur, Bildung und sozialen Zusammenhalt sind kein Schnickschnack, sondern ein Muss. Sie sind im Interesse aller, ganz gleich, in welcher Region sie leben und ganz gleich, welcher Einkommenskategorie sie angehören."
    Aufzeigen, warum Steuern etwas Positives sind
    Erst im Mittelteil der insgesamt sechs Kapitel nimmt das Buch Fahrt auf, wird fast schon packend: Von der Analyse der Ausgangssituation, über die Schilderung seiner Erfahrungen sowie einer fachlichen Einordnung und Erklärung bis hin zu einem Plädoyer für weitere Maßnahmen, dienen eben diese Anekdoten und Einblicke als ein roter Faden – neben dem Willen aufzuzeigen, warum Steuern, anders als deren gesellschaftliches Image, etwas Positives sind.
    Es ist verdienstvoll, dass und wie sich Walter-Borjans eines hoch relevanten Themas annimmt: "Steuerpolitische Staatsbürgerkunde", so urteilte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" dann auch eher zweischneidig über das Werk. Eine Beschreibung, die Walter-Borjans hingegen freut:
    "Wenn jemand sagt: Das hat auch ein bisschen was von einem Volkshochschul-Kurs, dann ist das alles andere als abwertend, weil dann heißt es ja, dass es offenbar für Menschen mit nicht tiefster Vorbildung in Sachen Steuern eine möglicherweise verständliche Erläuterung ist."
    Nachschlagwerk mit missionarischem Ansatz
    Und in der Tat: Gut lesbar, versteht es Walter-Borjans – trotz diverser Zahlen und Tabellen – die Zusammenhänge aufzuzeigen. Trotz Begriffen wie Cum-Ex, Cum-Cum oder Grenzsteuersatz. An solchen Punkten hat das Buch die Funktion eines Nachschlagewerkes. Doch spätestens die letzten Sätze machen wiederrum deutlich, dass sich dort jemand auf einer Mission befindet:
    "Die Lobby der Vermögenden hat aber schon viel erreicht, wenn es ihr gelingen würde, Staat und Gesellschaft voneinander zu entfremden. Mein Eindruck ist: Es ist ihr in vielen Bereichen gelungen. Die Bereitschaft, ‚den Staat‘ als Gegenspieler ‚der Bürger‘ und damit auch ‚der Steuerzahler‘ zu sehen, ist in Deutschland besonders ausgeprägt. Von der Politik über die Medien bis hin zu Satire-Magazinen tragen viele leichtfertig dazu bei. Umso mehr kommt es auf die mündigen Bürger an, die wissen, dass in einer Gesellschaft noch lange nicht an alle gedacht ist, wenn jeder an sich selber denkt. Daraus erwächst ein Auftrag an uns alle."
    Und wer sich von so viel missionarischem Eifer nicht stören lässt, hat eine interessante Lektüre in einem relevanten Feld vor sich.
    Norbert Walter-Borjans: "Steuern – der große Bluff"
    Der frühere NRW-Finanzminister berichtet von seinem Kampf gegen Steuerhinterziehung und widerlegt die Mythen, die über unser Steuersystem verbreitet werden
    Kiepenheuer und Witsch, 250 Seiten, 15 Euro