Freitag, 29. März 2024

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Norbert Walter-Borjans (SPD) zu Steuerplänen
"95 Prozent sollen weniger zahlen"

Der Co-Parteivorsitzende der SPD, Norbert Walter-Borjans, hat im Dlf die Pläne seiner Partei zur Steuerpolitik verteidigt. Demnach würden lediglich fünf Prozent der Steuerzahler eine höhere Belastung zugemutet. Die Schuldenbremse solle so umgestaltet werden, dass sie nicht länger Investitionsbremse sei.

Norbert Walter-Borjans im Gespräch mit Christoph Heinemann | 09.09.2021
Höhere Steuern soll es laut Walter-Borjans lediglich für Alleinstehende geben, die mehr als 100.000 Euro im Jahr verdienen, bei Paaren würde die Grenze bei 200.000 Euro jährlich liegen. Der SPD-Parteichef geht davon aus, dass dadurch rund 95 Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland entlastet werden können.

Abschaffung des Solidaritätszuschlags

Gleiches gilt aus seiner Sicht auch für den "Rest-Soli". Die Große Koalition hatte sich 2019 auf die Abschaffung des Solidaritätszuschlags geeinigt und einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. Die SPD plädierte jedoch dafür, einen "Rest-Soli" für Spitzenverdiener beizubehalten. Das Ergebnis: ab 2021 zahlen nur noch Spitzenverdiener den Soli-Beitrag. Die Union ist mit dieser Regelung unzufrieden und will sich dafür einsetzen, dass der "Rest-Soli" auch für Menschen mit hohem Einkommen wegfällt. Die SPD möchte ihn beibehalten. Auch der Bund der Steuerzahler kritisiert die aktuelle Regelung und unterstützt zurzeit zwei Musterklagen von Privatleuten gegen die nur teilweise Abschaffung.
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Eurobonds

Um die Coronakrise in Europa wirtschaftlich in den Griff zu bekommen, unterstützt Walter-Borjans Eurobonds vor allem für Länder in Südeuropa. Im Dlf sagte er, dabei gehe es "nicht nur um das unternehmerische Spiel", sondern darum, dass man sich in Europa auf Augenhöhe begegnen könne.

Schuldenbremse

Zum Thema Schuldenbremse machte Walter-Borjans deutlich, dass es ihm nicht um die Abschaffung der Schuldenbremse gehe, sondern um Investitionen in die Zukunft. Die Schuldenbremse sei, so wie sie jetzt ist eine Investitionsbremse, sagte der SPD-Parteichef.
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Olaf Scholz und Cum-Ex

Vor dem Hintergrund der neuerlich diskutierten Vorwürfe gegen SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, er habe von Cum-Ex-Geschäften einer Hamburger Privatbank gewusst, sprach Walter-Borjans dem Kanzlerkandidaten sein Vertrauen aus: Scholz habe nach bestem Wissen und Gewissen dazu beigetragen, dass der Untersuchungsausschuss zu Ergebnissen kommen könne, so Walter-Borjans im Dlf.

Das Interview im Wortlaut.
Christoph Heinemann: Herr Walter-Borjans, noch mal zum Mitschreiben. Wer zahlt drauf, wenn Olaf Scholz Kanzler würde?
Norbert Walter-Borjans: Die wichtigste Botschaft ist, 95 Prozent sollen weniger zahlen. Das ist unser Zukunftsprogramm.
Heinemann: Und wer zahlt drauf?
Walter-Borjans: Wo sind die 95 Prozent? Das sind diejenigen, die als Singles weniger als 100.000 Euro im Jahr verdienen und als Paare weniger als 200.000. Ich glaube, da würden sich die meisten von uns wiederfinden. Das bedeutet, dass wir denen, die über 200.000 als Paar verdienen, mit weiter steigendem Einkommen auch einen zunehmenden Betrag mehr zumuten.

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Heinemann: Haben Sie da schon eingepreist, dass das Bundesverfassungsgericht den Rest-Soli kippen könnte?
Walter-Borjans: Das ist eine Behauptung, die offenbar nicht ausstirbt. Das Bundesverfassungsgericht hat schon mehrfach deutlich gemacht, dass der Soli erstens rechtens ist, dass er übrigens so, wie er eingeführt wurde, nicht zeitlich befristet eingeführt worden ist, was immer behauptet wird, und dass er auch für unterschiedliche Einkommensgruppen unterschiedlich hoch ausfallen darf.
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Heinemann: Das sieht der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages anders.
Walter-Borjans: Es geht um die oberen vier Prozent, die zehn Milliarden Euro einbringen, und dass CDU/CSU und FDP zehn Milliarden schon mal mit dem ersten Schlag auf Einnahmen verzichten wollen aus diesem Bereich der wirklich höchsten Einkommen, das zeigt, wo eigentlich der Schwerpunkt der Interessenvertretung von CDU/CSU und FDP liegen.
Heinemann: Können Sie garantieren, dass der Rest-Soli nicht gekippt wird?
Walter-Borjans: Sie können bei Klagen vor Gericht nie garantieren. Aber Sie können klar sagen, dass bisher alle rechtlichen Bewertungen dazu geführt haben, dass es rechtens ist und dass wir schlicht und ergreifend sagen, wir legen Wert darauf, dass die oberen wenigen Prozent der Einkommensbezieher sich stärker beteiligen sollen als bisher, damit wir 95 Prozent entlasten.

"Eine Vermögenssteuer war vollkommen üblich"

Heinemann: Herr Walter-Borjans, die SPD fordert Vermögenssteuer (gilt vielen als Bürokratiemonster). Finanztransaktionssteuer (die Kritik: ergibt auf nationaler Ebene kaum Sinn). Erbschaftssteuererhöhung (schadet Familienunternehmen). Wieso listen Sie in Ihrem sogenannten Zukunftsprogramm lauter alte Hüte auf?
Walter-Borjans: Die Begründungen, die Sie gerade genannt haben, sind alte Hüte. Wir hatten bis Ende der 90er-Jahre, also zu Zeiten von Adenauer, von Erhard, auch Kohl, eine Vermögenssteuer, die vollkommen üblich war und die nur ausgesetzt worden ist, weil sie Immobilienvermögen falsch bewertet hat. Jetzt plötzlich zu sagen, dass das, was Jahrzehnte in dieser Republik möglich war, nicht gehen soll, dem kann ich nicht folgen.
Erbschaftssteuer – fragen Sie mal den Vorstandsvorsitzenden der Allianz, der in einem Interview deutlichgemacht hat, Sie können heute nur wieder Vermögen selbst erarbeiten und weitergeben an Ihre Erben, wenn Sie selbst erben. Vermögen aufzubauen, das bedeutet insbesondere auch im Osten Deutschlands, wo es kein Grundvermögen, kein geerbtes Vermögen gibt, ist praktisch kaum vorhanden. Ich glaube, dass man das durchaus ansprechen darf.

"Es geht nicht darum, die Schuldenbremse abzuschaffen"

Heinemann: Wir hatten gerade eine kurze Unterbrechung, machen aber weiter. – Was bliebe unter einer SPD-geführten Regierung von der Schuldenbremse übrig?
Walter-Borjans: Von der Schuldenbremse muss übrigbleiben, dass sie langfristig für eine solide Finanzierung von Haushalten sorgt. Insofern geht es überhaupt nicht darum, die Schuldenbremse abzuschaffen. Aber die Schuldenbremse ist so, wie sie jetzt ist, eine Investitionsbremse in die Zukunft, und wenn wir die Wahl haben, etwas, was für die Zukunft, also auch für die kommenden Generationen gut und wichtig ist, eine bessere Digitalisierung, Verkehrswege auszubauen, Bildung auszubauen, wenn wir uns das nicht leisten können, weil wir nicht bereit sind, dafür auch einen Kredit aufzunehmen, dann stimmt etwas nicht. Das würde kein Unternehmen, kein Privathaushalt so machen.
Heinemann: Ab wann würde sie wieder gelten?
Walter-Borjans: Sie darf nur für die Finanzierung von wirklich gewinnbringenden Investitionen in die Zukunft gelten. Ich kann Ihnen aber auch sagen: Wir brauchen darüber gar nicht lange zu reden, denn das können Sie ja nur mit einer Änderung der Verfassung machen. Ich sehe nicht, wo diese Mehrheit für eine Verfassungsänderung liegen würde. Das wird aber dazu führen – und das ist aus den Ansagen von Herrn Laschet wie von anderen genauso herauszuhören -, dass man dann auf die Suche gehen wird, welche Umgehungsmöglichkeiten man bekommt, um sinnvolle Investitionen finanzieren zu können. Herr Laschet will das mit privatem Geld machen. Das kostet mehr Zinsen. Da will dann jemand auch Gewinn machen. Das ist am Ende sicher nicht die richtige Variante. Aber wir werden deswegen darauf setzen, dass etwa die KfW, die Kreditanstalt für Wiederaufbau ihrerseits als Innovations- und Investitionsagentur ausgebaut wird und wichtige, gute Investitionen auch mit Krediten finanzieren kann.

Walter-Borjans befürwortet Eurobonds

Heinemann: Herr Walter-Borjans, befürwortet die SPD Eurobonds oder gemeinsame Schulden der Europäischen Union?
Walter-Borjans: Wir haben ja jetzt ein Wiederaufbauprogramm, befristet und für den schwierigen Fall der starken Belastung durch Corona gerade in den südeuropäischen Staaten, verabschiedet. Da haben wir gesagt, dass wir da gemeinsam Verantwortung tragen, und zwar nicht bloß aus reinem Altruismus, aus jedem Verzicht auf unsere eigenen Interessen, sondern wir haben es hier in Europa mit vielen Partnern zu tun, die sind Abnehmer unserer Waren. Sie sind Lieferanten unserer Vorerzeugnisse. Und es geht am Ende auch nicht nur um das unternehmerische Spiel, sondern es geht auch darum, dass wir in Europa uns auf Augenhöhe in die Augen gucken können, und dafür ist diese Finanzierung richtig und sie ist auch zeitlich befristet für diese Krise.

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Heinemann: Auch für die Zukunft?
Walter-Borjans: In der Zukunft werden wir uns genauso angucken müssen, wie wir das jetzt gemacht haben, wie das auch bei der Schuldenbremse gilt. Was bringt es, wenn wir unsere Partner unterstützen, und zwar uns allen, nicht nur den anderen, aber auch nicht nur uns, und was sind die Kosten, die die Zukunft dann zu tragen hat. Das kann durchaus in einem Verhältnis stehen, dass man sagt, es ist auch ein Kredit sinnvoll. Schulden sind nicht an sich schlecht. Wenn ich mit Schulden meinen Urlaub finanziere, anschließend Jahre abzahlen muss für das, was lange vorbei ist, dann habe ich was falsch gemacht.
Heinemann: Herr Walter-Borjans, Steuereinnahmen setzen Steuerzahlungen voraus. Warum konnte sich eine in Cum-Ex-Geschäfte verwickelte Bank in Hamburg auf Olaf Scholz verlassen?
Walter-Borjans: Sie konnte sich nicht auf Olaf Scholz verlassen. Sie hat sich an diesen Geschäften, von denen heute klar ist, dass sie rechtswidrig waren – Sie wissen, dass ich diese Position seit Jahren vertrete und dagegen auch vorgegangen bin …

Walter-Borjans über Olaf Scholz und die Cum-Ex-Affäre

Heinemann: Aber Herr Scholz nicht.
Walter-Borjans: Herr Scholz hat klargemacht, im Übrigen auch in Gesprächen mit mir persönlich, und zwar schon vor langer Zeit, dass es vom Bürgermeister der Hansestadt Hamburg keine Einflussnahme gegeben hat. Wir waren beide sehr darauf aus, dass das von einem Untersuchungsausschuss auch untersucht wird. Dieser Untersuchungsausschuss hat diese Position nicht widerlegt. Er hat im Gegenteil alles das, was er an Aussagen getan hat, auch bestätigt. Insofern finde ich, dass man jetzt versucht, in dieser Situation daraus einen Strick zu drehen, man könnte jetzt fast sagen, ist verständlich; fair und eine seriöse Art von Politik und Wahlkampf ist das nicht.
Heinemann: Herr Walter-Borjans, gestern berichtete die "taz", dass Herr Scholz nichts unternommen hat, und das Bundesfinanzministerium musste dafür sorgen, dass in Hamburg Geld eingetrieben wurde. Warum?
Walter-Borjans: Es war eine Entscheidung der zuständigen Finanzämter oder des zuständigen Finanzamtes. Das hat der Untersuchungsausschuss auch noch mal unterstrichen. Es war in einer Zeit, in der es unterschiedliche Bewertungen von Cum-Ex gab. Ich sage noch mal: Ich habe immer klar gesagt, wenn jemand sich zweimal was auszahlen lässt, was nur einmal eingezahlt worden ist, dann kann das nicht rechtens sein. Es ist in dieser, ich will mal sagen, Hängepartie damals von allen Seiten darauf geguckt worden, wie geht man richtig damit um, und es hat dann eine Nachforderung beziehungsweise eine Einforderung dieses ausstehenden Betrages gegeben. Der ist dann auch geflossen. Das hat nichts zu tun gehabt mit einer Einflussnahme dahingehend, dass diese Bank nicht zahlen soll.

"Ich vertraue Olaf Scholz in diesem Punkt"

Heinemann: Herr Scholz kann sich nicht mehr daran erinnern, was er in drei Gesprächen mit dem Chef der in illegale Dividendengeschäfte verwickelten Privatbank Warburg & Co besprochen haben will. Wieso benötigt Deutschland einen Kanzler mit eingeschränktem Erinnerungsvermögen?
Walter-Borjans: Wenn jemand Aussagen tätigt, beruft er sich auf das, was er beitragen kann. Das hat Olaf Scholz gemacht. Ich kann Ihnen nur noch mal sagen: Ich gehöre nun wirklich anerkanntermaßen zu denjenigen, die sehr kritisch mit der Frage umgehen, ob hier bei Steuerzahlungen ein Auge zugedrückt wird, und ich kann Ihnen sagen, dass ich Olaf Scholz in diesem Punkt vertraue, dass ich Gespräche mit ihm geführt habe. Der Untersuchungsausschuss hat seine Arbeit gemacht und Olaf Scholz hat nach bestem Wissen und Gewissen dazu beigetragen, dass der Untersuchungsausschuss zu Ergebnissen kommen kann.
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Das Wichtigste zur Bundestagswahl im Überblick (Deutschlandradio / imago images / Alexander Limbach)
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