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Norderney
Eine Insel sehnt ihre Öffnung herbei

Norderney lebt vom Tourismus, die Coronakrise hat den Bewohnern der Nordseeinsel zugesetzt. Nun kommen erste Lockerungen für Zweitwohnungsbesitzer und Mieter von Ferienwohnungen. Doch die Insulaner fürchten die Folgen eines zweiten Shutdowns.

Von Christina Gerlach | 05.05.2020
Regenwolken über den Randdünen am Nordstrand von Norderney
Die Strände von Norderney locken - ab Donnerstag dürfen die ersten Besucher von außerhalb wieder auf die Nordseeinsel (imago stock&people / Priller & Maug)
Selbst die Möwen müssen jetzt sehen, wo sie bleiben und sich gerade wieder selbst um natürliche Nahrung bemühen: Wattwürmer und Nordseekrebse statt Fischbrötchen und Kuchenkrümel, die sonst immer bei den Urlaubern für sie abfallen. Triste Spätherbststimmung auf Norderney. Und das bei strahlendem Sonnenschein zum Beginn der Hauptsaison.
Insulaner Herbert Visser geht durch die lichtdurchfluteten Zimmer seiner leerstehenden Ferienwohnung. Schritte Gerade neu gebaut, gerade erst bezugsfertig. Die ersten Gäste waren nur ganze zwei Tage da, als der Shutdown kam und sie die Insel Hals über Kopf wieder verlassen mussten.
"Als jemand, der hier auf der Insel geboren ist, habe ich ja nun alle Phasen erlebt. Aber so, wie wir es im Moment haben, habe ich es noch nie erlebt."
90 Prozent der Wohnungen privat vermietet
Herbert Visser, braungebrannt, von stattlicher Statur, mit dem typischen, kleinen Goldring im linken Ohr, den hier viele Insulaner tragen. Er war lange Marketingchef der Kurverwaltung, kennt sich aus auf seiner Insel. Etwa 90 Prozent der Ferienwohnungen auf Norderney werden von privat vermietet. Viele finanzieren sich allein durch die Vermietung.
"Keine Einnahmen, keine Gäste, nichts ist da. Es wird eng."
Das gilt auch für die Hotels und Pensionen. Fast alle haben ihre Angestellten in Kurzarbeit geschickt.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
"Von vollem Haus auf Null"
Barbara Bakker-Dinkla führt das "Haus Margarete am Meer". Direkt an der Uferpromenade, seit 100 Jahren in Familienbesitz, 16 Zimmer. Alle Türschlüssel hängen jetzt seit Wochen schon am Brett in der Rezeption.
"Von einem auf den anderen Tag von vollem Haus auf null. Das ist schon hart. Das ist echt hart. Wir haben für uns überlegt, dass wir mit Sicherheit den November noch öffnen werden. Aber was uns das bringt? Das wird den Ausgleich von April nicht bringen. Die Betten sind leer und das lässt sich auch nicht kompensieren."
Finanzamt und Stadt zeigen Flexibilität
Fast 600.000 Übernachtungsgäste verbringen jedes Jahr ihren Urlaub auf der ostfriesischen Insel, dazu kommen - je nach Wetterlage – mindestens noch einmal 250.000 Tagesausflügler. Die fehlen jetzt auch.
Niemand am Strand, auch die Gassen im Inseldorf sind wie leergefegt. Nur wenige Geschäfte haben geöffnet. Ausschließlich für die Norderneyer. Aber die bringen kaum Umsatz.
"Ja, bitte?" Uwe Graalmann telefoniert viel in diesen Tagen. Er ist Steuerberater, seit 20 Jahren auf Norderney. Hellblaues Hemd, grauer Bart. Sorgenvolles Gesicht. Aber seine häufigen Telefonate mit dem Finanzamt auf dem Festland in Aurich haben bereits etwas Entlastung für seine Mandanten gebracht.
"Wir haben Vorauszahlungen zurückgezahlt bekommen fürs erste Quartal, die bereits gezahlt wurden, so dass wir das kurzfristig eine Entlastung bekommen haben. Das hat sehr gut geklappt, sowohl mit dem Finanzamt, als auch mit der Stadt Norderney ."
Medizinische Ausstattung nur für Insulaner
Die Stadt muss also jetzt schon auf Gewerbesteuer verzichten. Der Shutdown ist bitter, aber nötig, sagt Norderneys Bürgermeister Frank Ulrichs. Drei leichte Coronafälle gab es im März auf der Insel. Die medizinische Ausstattung ist nur auf die rund 6.000 Insulaner ausgelegt. Nicht für die vielen Urlauber. Es gibt zwar ein kleines Krankenhaus, allerdings mit nur einem einzigen Intensivbett.
Schwere Fälle müssen - je nach Wetterlage - mit dem Hubschrauber oder dem Rettungskreuzer in Kliniken auf dem Festland verlegt werden. Aber auch der parteilose Bürgermeister will jetzt die Touristen zurück, bevor es die ersten Insolvenzen gibt.
"Ich kann Ihnen versichern, wir haben in den letzten Wochen kaum etwas anderes getan, als uns um dieses Thema zu kümmern, von morgens bis abends."
"Wir dürfen kein neues Risiko eingehen"
Kürzlich hat Niedersachsens Wirtschaftsminister Althusmann von der CDU erste Lockerungen in Aussicht gestellt. Zweitwohnungsbesitzer dürfen ab Donnerstag wiederkommen. Ab 11. Mai alle Gäste, die Ferienwohnungen gemietet haben. Dann öffnen auch die die ersten gastronomischen Betriebe, am 25. Mai dann die Hotels und Pensionen. Der Inselbürgermeister mahnt zur Vorsicht:
"Wir dürfen kein neues Risiko eingehen. Das wäre der Supergau. Wenn wir hier wieder öffnen, alle Türen und Tore wieder offen stellen und nach acht Wochen stellen wir fest, es wird alles wieder runtergefahren und zugemacht. Das wäre der Supergau für die Insel. Das funktioniert nicht."
Öffnen ja – aber unter strengen Auflagen. Kein Frühstücksbuffet, dafür Brötchen, Kaffee und Rührei am Tisch serviert. Und alles auf Abstand. Barbara Bakker-Dinkla vom Haus Margarete am Meer ist sich sicher, ihre Stammgäste würden das akzeptieren.
"Also die halten schon zu uns, muss ich sagen."
Viele haben angerufen und wollten noch nicht einmal ihre Anzahlung zurück. Sondern so bald wie möglich wieder nach Norderney, ergänzt sie noch.