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Nordirak
Hilfe für traumatisierte Jesidinnen

Viele wurden monatelang gequält und vergewaltigt: Über 1.000 besonders schwer traumatisierte jesidische Frauen und Kinder leben seit 2015 in Baden-Württemberg und werden dort psychologisch betreut. Um Hilfe auch vor Ort leisten zu können, wird heute in der Stadt Dohuk im Nordirak ein Institut zur Ausbildung von Traumatherapeuten eröffnet.

Von Uschi Götz | 02.03.2017
    Eine jesidische Frau stützt in einem Flüchtlingscamp im Nordirak den Kopf auf die Hand
    Eine vor den Dschihadisten geflohene Jesidin in einem Flüchtlingscamp im Nordirak (AFP / Ahmad Al-Rubaye)
    Die Einrichtungen werden von Sicherheitsdiensten geschützt. Weder Orte noch Namen sollen genannt werden. In Gruppen leben verteilt in ganz Baden-Württemberg jesidische Frauen und Kinder. Eine religiöse Minderheit, die meisten von ihnen stammen aus der Sindschar Region im Nordirak.
    "Wir hier haben eine kleine Einrichtung mit 30 Frauen und Kinder aufgenommen. Wir haben die Frauen 2015 aufgenommen, die Kinder gehen seitdem in den Kindergarten. Die Frauen machen im Haus Sprachkurs, jetzt ist es so weit, dass einige in die Schule gehen können und auch nächstes Jahr einen Hauptschulabschluss machen können."
    Die Leiterin einer Einrichtung gewährt einen kurzen Einblick in ein großzügiges Haus, auch ihr Name soll nicht genannt werden. Jede Spur könnte von IS Terroristen aufgegriffen werden, um Rache zu nehmen, so die Angst der jesidischen Bewohnerinnen:
    Fünf Frauen im Alter zwischen 18 und 42 Jahren stehen in der Küche, ihre Kinder sind in der Schule oder im Kindergarten. Zeit für einen Tee. Die Frauen eint ein furchtbares Schicksal: Sie wurden von Terroristen des sogenannten Islamischen Staats gequält, vergewaltigt, monatelang. Im Rahmen eines Sonderkontingents kamen sie vor über einem Jahr nach Deutschland, nach Baden-Württemberg.
    Von Alpträumen geplagt
    Über 1000 besonders schwer traumatisierte Frauen und Kinder wurden ausgewählt:
    "Ich denke, dass die Stabilisierung sehr gut geglückt ist, das sagen die Frauen auch in Gesprächen. Es trägt auch dazu bei, dass wir ein Bezugspersonensystem haben. Das heißt, dass ein Pädagoge für verschiedene Frauen zuständig ist, mit denen auch regelmäßig Gespräche führt, zum Beispiel wenn sie Alpträume haben."
    Was passiert mit Menschen, die so viel gesehen haben und selber ertragen mussten? Der Traumatologe Professor Jan Kizilhan von der Dualen Hochschule in Villingen-Schwenningen hat die Aufnahme der jesidischen Flüchtlinge koordiniert. Stichwortartige beschreibt er ihr Seelenleben:
    "Alpträume, einschießende Gedanken, die man nicht mehr loswird. Demütigungen, Kränkungen."
    Auch im Nordirak wird eine Dependance eröffnet
    In der nordirakischen Stadt Dohuk wird Kizilhan heute Nachmittag gemeinsam mit Kollegen und dem deutschen Botschafter Josef Kremp ein Institut für Psychotherapie eröffnen. Die baden-württembergische Landesregierung kündigte im vergangenen Jahr an, man werde auch vor Ort Hilfe leisten. Für den Aufbau des Instituts stellt das Land zunächst eine Million Euro zur Verfügung.
    In dem Institut werden künftig Traumatherapeuten ausgebildet. Experten, die in Flüchtlingscamps und Krankenhäuser vor allem Frauen und Kinder helfen sollen:
    "Stellen sie sich ein achtjähriges Mädchen vor. Zehn Monate in den Händen des IS, etwa 100 Male vergewaltigt von Männern zwischen 30 und 65 Jahren. Und dann steht dieses Mädchen mir gegenüber im Irak und fragt mich warum."
    Bis heute sei er dem Kind eine Antwort schuldig, sagt Kizilhan.
    "Die Mutter hat überlebt, der Vater ist getötet worden."
    30 Studentinnen und Studenten wurden für den Masterstudiengang ausgewählt. Alle können ein Grundstudium vorweisen und versorgen schon heute Flüchtlinge:
    "Die sind alle in irgendeinem Bereich, meistens in Flüchtlingscamps oder in bestimmten Kliniken tätig, als Psychologen oder als Sozialarbeiter, haben also mit betroffenen Patienten Kontakt."
    Auf der Suche nach einer Zukunft
    Martin Hautzinger, Professor für Psychologie an der Universität Tübingen, wird künftig auch in Dohuk lehren. Der Aufbau des Instituts erfolgt in Absprache mit der kurdischen Regionalregierung in Zusammenarbeit mit der Uni Tübingen, der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und der Universität Dohuk. Das deutsche Dozenten-Team arbeitet zunächst mit Dolmetschern, die Studenten sprächen noch nicht gut Englisch, sagt Hautzinger:
    "Wir werden jetzt die ersten beiden Blocks so machen, dass Dolmetscher dabei sind und dadurch können wir zunächst auf Deutsch reden."
    "Die psychologischen Experten aus Baden-Württemberg gehen mit viel Hoffnung an das neue Projekt. Die Erfahrung mit den in Baden-Württemberg aufgenommenen jesidischen Frauen und Kindern zeigt: Die Hilfe kommt an. In einer bewegenden Rede vor dem Landtag dankte die junge Jesidin Nadia Murad vor einiger Zeit Sozialarbeitern, Ehrenamtlichen, Landespolitikern und dem Team um den Traumatologen Kizilhan.
    "Sie alle haben uns gezeigt, dass die Welt uns nicht vergessen hat, dass wir doch noch eine Zukunft haben werden und dass das Unrecht am Ende nicht siegen wird."
    Nadja Murad ist mittlerweile UN-Sonderbotschafterin, Ende vergangenen Jahres wurde sie zusammen mit Lamiya Aji Bashar mit dem Sacharow-Preis für geistige Freiheit ausgezeichnet.
    Nadia Murad lebt nahe Stuttgart, nahezu ihre ganze Familie wurde 2014 von IS Terroristen ermordet. Sie selbst geriet in Gefangenschaft, durchlebte die Hölle, ehe ihr die Flucht gelang.
    In ihrer Rede vor dem Landtag betonte die junge Frau, der sogenannte Islamische Staat, Daesh genannt, habe sie nicht zerstören können, sie und andere Frauen hätten überlebt:
    "Wir glauben, dass wir auch deswegen überlebt haben, um der Welt von den Verbrechen von Daesh zu berichten, um die Welt um Hilfe zu bitten und um dafür einzutreten, dass die Täter vor internationale Gerichte gestellt werden."
    Im Dohuk laufen nun die Lehrprogramme an. In Kürze werden weitere Dozenten aus Deutschland in den Nordirak reisen, um das aktuelle Team abzulösen.