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Nordirland - Der Fall Martin O’Hagan

Die Schüsse fielen in der Nacht und trafen Martin O’Hagan in den Rücken. Am 28. September 2001 verblutet der Journalist und Familienvater auf der Strasse vor den Augen seiner Ehefrau - nur wenige Meter von seinem Wohnhaus in der nordirischen Kleinstadt Lurgan entfernt. Stunden später bekennt sich eine paramilitärische loyalistische Untergrundorganisation zu der Tat, über die der Journalist für die Wochenzeitung "Sunday World" viel geschrieben hatte. Über ihre Drogengeschäfte und ihre charismatischen Anführer. Dafür war die Redaktion bekannt: für mutige Enthüllungsgeschichten über Extremisten der katholischen als auch protestantischen Seite.

Von Petra Tabeling | 01.12.2003
    Unsere Zeitung war neutral - wir waren an der Wahrheit interessiert, an dem was die Polizei machte, die Regierung, die Britische Armee, die verschiedenen Parteien, und die republikanischen und loyalistischen Paramilitärs. Wir haben Fragen über jeden gestellt und ich glaube, dass war der Grund, warum wir für einige unbequem wurden.

    Jim Campbell war ein langjähriger Kollege O’Hagans, und auch er wurde wegen seinen Reportagen zu unbequem. In den 80er Jahren feuerten Loyalisten mehrere Schüsse auf den damaligen Chefredakteur der Sunday World – er überlebte wie durch ein Wunder. Seither lebt er mit einer Kugel in der Brust. Um sich sicher fühlen zu können, zog Campbell schließlich in die benachbarte irische Provinz Donegal. Immer wieder habe er auch seinen Kollegen O’Hagan dazu bewegt, ebenfalls umzuziehen - weg aus dem Umkreis von Menschen über die er schrieb und die ihn bedrohten. Erst kurz vor seiner Ermordung zog der Familienvater in ein Viertel, das nur unweit der Wohngegend von Anhängern der Loyalist Volunteer Force liegt, die schließlich für seinen Tod verantwortlich zeichneten. Doch O’Hagan, der mit einer Protestantin verheiratet war, glaubte sich sicher, so sein Freund Jim Campbell:

    Ich glaube, dass er ein Ende des Bürgerkrieges annahm. Ich habe das nicht so gesehen. Selbst das Friedensabkommen würde nichts für uns bedeuten, weil wir uns bereits so viele Feinde geschaffen hatten – vor allem unter den Loyalisten. Das wurde uns gesagt und es sollte sich dann ja bewahrheiten.

    O’Hagan erhielt wegen seinen Enthüllungsgeschichten immer wieder Morddrohungen, sowohl von der IRA als auch loyalistischen Gruppen. Doch diese Bedrohungen gehörten auch zum Alltag von investigativ arbeitenden Journalisten. Kevin Cooper, Vorsitzender der irischen Journalistengewerkschaft National Union of Journalists in Belfast erklärt, wie Journalisten mit den Drohungen umgehen und warum der Mord an O’Hagan so plötzlich kam:

    Er wurde in der Vergangenheit von republikanischen als auch loyalistischen Paramilitärs bedroht, aber es gab keine Anzeichen dafür, dass er zu dem Zeitpunkt in Gefahr war und so überraschte uns seine Ermordung. Normalerweise werden Drohungen mit einem Telefonanruf und einem Codewort in die Redaktionen übermittelt. Und so wissen wir, ob es sich um eine ernsthafte Bedrohung handelt. Aber es gab keine Anzeichen dafür und auch die Polizei hatte keine Informationen darüber, dass Martin in Gefahr war.

    Cooper vertritt über 800 Journalisten in Nordirland, nur die allerwenigsten berichten über "hard stuff" – in der Hauptsache politische Korrespondenten. Und die berichten, dass die Beziehung zu paramilitärischen Organisationen und den Medien von jeher sehr zwiespältig gewesen sei, das meint zumindest der Nordirland-Korrespondent des englischen "Observers", Henry McDonald, der selbst immer wieder Morddrohungen erhält. Einerseits brauchen die Untergrundorganisationen die Presse, um ihre Botschaft zu verbreiten, andererseits werden investigativ arbeitende Journalisten zu gefährlichen Zeugen - wie Martin O´ Hagan. Zwar sind die Redaktionsräume wie die der Sunday World mit Sicherheitskameras und -türen ausgestattet, doch können diese Sicherheitsvorkehrungen nicht vor dem Zugriff der Behörden auf Informationen von Journalisten schützen. Im Mai diesen Jahres wurde das Wohnhaus von Liam Clarke, Redakteur der englischen "Times", in einer Nacht- und Nebelaktion durchsucht. Die Polizisten beschlagnahmten Materialien und Clarke wurde zusammen mit seiner Frau, ebenfalls eine Journalistin, über Nacht festgehalten und verhört. Die Ermittler waren an Aufzeichnungen vertraulicher Gespräche mit Nordirlandpolitikern interessiert. Die Behörden rechtfertigten ihre Nacht- und Nebelaktion mit neuen Gesetzen zur Terrorismusbekämpfung.

    Noch sind die Mörder im Falle O’Hagans nicht gefasst. Sein Fall habe keine Fürsprecher, meint Jim Campbell. Denn zu heikel wäre das, was dann ans Licht kommen könnte: von den beteiligten Tätern am 28. September 2001 waren die Namen bekannt. Journalistenkollegen vermuten, dass einer der Täter ein Agent der nordirischen Polizei gewesen sein könnte. Das wäre nicht das erste Mal. Seit der Veröffentlichung des so genannten Stevens-Report im Sommer diesen Jahres gab der Ermittler einer Untersuchungskommission, Sir John Stevens, öffentlich zu, dass Agenten in paramilitärische Organisationen eingeschleust wurden - um angeblich Anschläge zu verhindern. Doch genau das Gegenteil war der Fall.