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Nordirland
Die Grenzen des Brexit

Bei den Brexit-Verhandlungen hat es die Zusage gegeben, dass die Grenze zwischen Nordirland und Irland offen bleiben soll. Die Menschen in der betroffenen Region bleiben aber verunsichert. Zum Beispiel in dem kleinen Dorf Pettigo im Westen Nordirlands.

Von Friedbert Meurer | 15.12.2017
    Blick auf den Grenzfluss am 06.12.2017 in der Ortschaft Pettigo (Großbritannien). Auf der linken Seite liegt Irland, auf der rechten Nordirland. Nach monatelangen zähen Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens gab es am 08.12. einen ersten Durchbruch. Foto: Mstyslav Chernov/AP/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ |
    Blick auf den Grenzfluss in der Ortschaft Pettigo: auf der linken Seite liegt Irland, auf der rechten Nordirland (Mstyslav Chernov / AP / dpa)
    Mervyn Johnston steht in seiner Kfz-Werkstatt an einer Drehmaschine, die nicht viel jünger ist als der Nordire selbst mit seinen 78 Jahren. Johnston repariert gerade einen roten Mini Cooper. An den Wänden hängen Schwarz-Weiß-Fotos aus der Zeit, als er ein erfolgreicher nordirischer Rallyefahrer war. Die Garage im Grenzort Pettigo steht direkt neben der alten sehenswerten Steinbrücke des Ortes. Früher standen hier auf beiden Seiten die Grenzposten Wache.
    "Wenn Sie nach Mitternacht rüber wollten, mussten Sie einen Antrag stellen. Normalerweise ging das auch nicht, weil die Grenzbeamten nachts nicht da waren." Seit den 90er-Jahren ist jetzt alles offen, deswegen hat Mervyn Johnston für den Verbleib in der EU gestimmt. Dabei ist er ein protestantischer Unionist, deren wichtigste Partei die DUP ist.
    "Ich stand auf der Ziel-Liste der IRA. Meine Garage haben sie 1973 in die Luft gesprengt, die Trümmer fielen hier in den Fluss. Sie haben dann auf mich geschossen, aber ich bin ziemlich schnell weggerannt."
    Verhältnis zwischen Protestanten und Katholiken gut
    Johnston lacht heute darüber. Dabei wurde ein Dorfbewohner von Pettigo später auf seinem Traktor erschossen, auch von der IRA. Trotzdem, beteuert Johnston, sei das Verhältnis zwischen Protestanten und Katholiken im kleinen Dorf Pettigo immer gut gewesen. Das ist nicht überall so in der Gegend.
    Mervyn Johnston steht vor seinem roten Mini Cooper.
    Pettigo: Mervyn Johnston steht vor seinem roten Mini Cooper (Friedbert Meurer / Deutschlandradio)
    Es ist Mittag in Enniskillen, 30 Kilometer von Pettigo entfernt. Die Glocken der katholischen Gemeindekirche schlagen Punkt 12 Uhr. Father Joseph McVeigh ist Pfarrer hier. "Die Temperatur geht rauf und runter, meistens sind die Beziehungen zu den Protestanten freundlich. Das ist okay so. Mit dem protestantischen Pfarrer habe ich gestern Kaffee zusammen getrunken. Aber unter den Menschen gibt es diesen tiefsitzenden Verdacht und Angst. Die meisten Protestanten wählen DUP. Die Stimmung ist bitter momentan."
    Von der Militärpolizei schikaniert
    Das habe mit dem Brexit zu tun, erklärt Pfarrer McVeigh. Die Unionisten haben Angst um ihre britische Zugehörigkeit, sie fühlten sich isoliert. In einem Nachbarort würde im Sommer an jedem Haus entlang der Hauptstraße die britische Flagge wehen. Er selbst hat früher IRA-Häftlinge oder Verdächtige in Gefängnissen betreut. Dafür sei er dann von der Militärpolizei schikaniert worden. Der Zusage Theresa Mays, zwischen Irland und Nordirland werde alles beim alten bleiben, glaubt er nicht. Die Briten machten doch, was sie wollten.
    "Die Tories haben keine Ahnung. Die 10 DUP-Abgeordneten erzählen ihnen doch nur ihre Version, dass ihre britische Identität, was immer das ist, um jeden Preis beschützt werden muss."
    Am Ortsrand von Enniskillen werden mächtige Baumstämme von schweren Forstmaschinen auf ein Laufband geworfen. Das nordirische Holzunternehmen "Balcas" stellt hier Bauholz und Pellets zum Heizen her. Im Kontrollraum des riesigen Werks stehen Dutzende von Computer-Bildschirmen.
    Für "Remain", für die EU
    "Jeder Stamm wird gescannt", erläutert Brian Murphy, der Chef des Unternehmens. Die Computer berechnen blitzschnell, wie der Stamm zersägt wird. Es soll möglichst wenig Verschnitt übrig bleiben, damit wir am meisten herausholen können." 100 Millionen Pfund Umsatz macht Balcas, 350 Mitarbeiter gibt es. Murphy war für "Remain", für die EU, auch weil Balcas sein Holz aus der Republik Irland bezieht. Sollte es doch zu Zöllen kommen, habe das Folgen für das Unternehmen. "Wir bräuchten mehr Leute, es fiele Verwaltungsaufwand an, es würde komplizierter. Das kostet deutlich Geld, weil es völlig ineffizient ist."
    Zurück in Pettigo, dem kleinen Dorf mitten auf der Grenze zwischen Nordirland und Irland, treffen wir Marc Lowry. Er hat für den Brexit gestimmt hat. Lowry ist Kleinbauer, hat 30 Kühe im Stall und verdient sein Geld mit der Kälberzucht. "Ich habe für den Austritt gestimmt. Brüssel ist übermächtig. Ja, es wird jetzt wirtschaftlich schlechter. Aber danach wird es wieder besser. Wir haben jetzt halt einen chaotischen Weg vor uns."
    Marc Lowry glaubt nicht daran, dass es wieder zu Grenzkontrollen kommt. Was den Brexit angeht, denkt er in einem Punkt wie die meisten hier: keiner wisse, was wirklich jetzt auf die Gegend hier zukommt. "Der Brexit? Wer weiß das schon. Niemand weiß es."