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Nordkorea
Gelobt sei Kim Jong-un

Der Staatsführer liebt den Personenkult. Religionen werden zwar unterdrückt, aber auf einen religiösen Anstrich möchte der Diktator nicht verzichten. Wenn wichtige Entscheidungen anstehen, begibt er sich zu einem heiligen Berg.

Von Margarete Blümel | 01.04.2020
Das Foto zeigt Menschen in Seoul/Südkorea. Sie verfolgen eine Nachrichtensendung, in der über Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un berichtet wird.
Eine gottgleiche Verherrlichung der Führerdynastie, die definitiv religiöse Züge hat: Kim Jong-un im Fernsehen (dpa-Bildfunk / AP / Ahn Young-Joon)
Unter dem Lobgesang eines nordkoreanischen Ensembles defiliert Kim Jong-un über den Bildschirm. In immer wieder neuen Szenen präsentiert Nordkoreas nationaler Fernsehsender einen Staatsführer, der versonnen-ernst, gütig lächelnd oder gar mit Schalk in den Augen Hof hält. Mal nimmt der 36-Jährige am zum Nationalfeiertag erklärten Geburtstag seines Großvaters Kim Il-sung ein Bad in der Menge. Dann beaufsichtigt der "Große Nachfolger", ganz in weiß, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, ein landwirtschaftliches Projekt, das offensichtlich sein Wohlwollen findet. In wieder einer anderen Szene sitzt der Diktator im Flugzeug und richtet einen Zeigestab auf die vor ihm liegende Landkarte. Zwei mit Notizblock und Stift bewaffnete Gefolgsleute lauschen den Ausführungen Kim Jong-uns mit aufgeklebtem Lächeln.
Während eine Aufnahme des Führers nach der anderen über den Bildschirm zieht, liest die Nachrichtensprecherin des Propaganda-Senders ihren Text stoisch vom Blatt, ohne dabei aufzuschauen. Das wird nicht enden wollende zehn Minuten so weitergehen. Nicht einmal die Foto-Serie, die Kim Jong-un zu Pferd auf dem Weg zum heiligen Berg Paektu begleitet, bringt die Fernsehsprecherin aus der Contenance.
Zum "Paektu-San", dem Paektu-Berg an der chinesischen Grenze, reist der derzeitige Herrscher Nordkoreas häufig. Wie es vor ihm schon sein Vater und sein Großvater getan haben, bekundet Kim Jong-un damit seinen Willen, wichtige politische Entscheidungen anzugehen. Außerdem begibt er sich zum Paektu, um die Herrschaft der Familie Kim einmal mehr mythisch zu untermauern und zu glorifizieren.
David A. Mason, Professor für Tourismus mit Schwerpunkt Kultur und Religion an der Sejong-University in Seoul, sagt: "Nordkorea behauptet, Staatsgründer Kim Il Sun habe als kommunistischer Partisan auf diesem Berg gekämpft. Er habe in geheimen Camps gelebt und von dort Angriffe gegen die Japaner ausgeführt. Die japanische Armee habe durch ihn große Verluste erlitten. Aber das alles ist eine Lüge, nichts davon stimmt!"
Der "heilige Berg" Paektu gilt Nord- und Südkoreanern gleichermaßen als Gründungsstätte des koreanischen Volkes, betont David A. Mason.
Eine Prise Religion
Diesen Gründungsmythos hat das kommunistische Regime nach der Teilung Koreas erweitert, um der "Koreanischen Demokratischen Volksrepublik" unter der Ägide Kim Il-sungs eine Prise Religion beizumischen. Die mit den ethischen Normen des Konfuzianismus aufgewachsenen Bürger Nordkoreas waren eine strikte Hierarchisierung gewohnt. Die tugendhaften Beziehungen zwischen Ehepartnern, Vater und Sohn und, an erster Stelle, zwischen Herrschern und Untertanen regelten von kleinauf das tägliche Leben. Die Arbeiterpartei Nordkoreas übernahm die Herrschaft, ein mythisch überhöhter Führer hielt die Zügel des Ganzen in den Händen.
Den bisherigen Führern Kim Il-Sung und Kim Jong-Il und dem heute amtierenden Kim Jong-un werden zudem übersinnliche Fähigkeiten zugeschrieben: Wunderheilungen, überragende Siege über Feinde aller Couleur, die Befähigung, eine andere, kosmische Gestalt anzunehmen münden in die Vorstellung, mit den Kims sei die Sonne in das Leben der Bürger getreten. Ein riesiger güldener Ball, der durch sein Licht die anderen kleinen Himmelskörper rundherum erst zum Leuchten bringt. An dieser Legitimation der allumfassenden Macht der Kims sei die Führung der ehemaligen Sowjetunion nicht ganz unschuldig gewesen, sagt David A. Mason:
"Als die sowjetischen Truppen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in Korea einmarschierten, ernannten sie Kim Il-sung zum Führer der Koreaner und erschufen den Mythos, er habe gegen die Japaner auf dem Berg Paektu gekämpft. Außerdem behauptet man, dass sein Sohn Kim Jong-Il, der spätere zweite Diktator Nordkoreas, ebendort geboren wurde, während der Vater in den Kampf gegen die Japaner verstrickt war. Angeblich soll zu dieser Zeit auf dem Berg eine versteckte Hütte existiert haben, aber in Wahrheit wurde diese erst später heimlich errichtet. Ebenso wie der Schrein, den viele Nordkoreaner heute gern aufsuchen. Es wird gesagt, dass die Vögel an diesem heiligen Ort Loblieder sangen und Tiere sich vor der Hütte verbeugten, nachdem Kim Jong-Il dort geboren worden war. Das ist alles frei erfunden, aber Teil der Mythologie. Man sagt, dass Kim Jong-Il vom Berg Paektu abstammt. Und dass er den Geist des Berges in sich trägt, da sein Vater ebendort Heldentaten vollbracht hat. Kim Jong-un, der neue Diktator, soll die Fähigkeiten und Stärke seiner Vorfahren geerbt haben. Der junge Kim nutzt das weidlich. Er gilt nun also als der Dritte, der von der Kraft und dem Geist des großen Vulkans durchdrungen ist."
Konfuzianische Lehre
In der konfuzianischen Lehre sind die Verhältnisse innerhalb der Familie durch ein strenges, aber von Güte geprägtes System eindeutig definiert. Der Jüngere achtet den Älteren, der Sohn zum Beispiel ganz besonders seinen Vater, und nicht minder, seinen Onkel. Kim Jong-un hingegen ließ im Dezember 2013 einen Bruder seines Vaters hinrichten, weil dieser angeblich "konterrevolutionäre Straftaten" begangen hatte. Der Historiker Leonid Petrov von der Australian National University in Canberra:
"Dass Kim Jong-un seinen Onkel hinrichten ließ, lässt sich mit den Grundsätzen des Konfuzianismus nicht vereinbaren. Die Lehre schreibt ein gerechtes und fürsorgliches Verhalten des Herrschers vor. Ein rücksichtsloser Führer verliert das 'Mandat des Himmels', also das Recht zu regieren."
Religion sei nichts als Aberglaube, beten nordkoreanische Lehrkräfte den Kindern aus den Schulbüchern vor, die mit Zitaten des 1994 verstorbenen Staatsführers Kim Il-sung gespickt sind.
Da heißt es: "Die Geschichte hat uns gezeigt, dass Religion seit langem von der jeweils herrschenden Klasse missbraucht wird, um die Staatsbürger zu täuschen, um sie auszunutzen und zu unterdrücken. Auch die Imperialisten haben das für sich entdeckt und missbrauchen Religion als ideologische Waffe, die sie gegen angeblich "zurückgebliebene Völker" richten."
Die Amerikaner, so wird bis heute kolportiert, kamen mit ihren Bibeln, unter denen sie schweres ideologisches Geschütz verbargen. Sie waren es auch, ließ Kim der Erste in den Schulbüchern vermerken, die damals den Koreakrieg vom Zaun gebrochen hätten.
Hass im Mathe-Buch
Rechenfibeln für die erste Klasse verpacken den Hass auf die Amerikaner in mathematische Basisaufgaben.
"Drei Soldaten der Koreanischen Volksarmee haben dreißig amerikanische Soldaten getötet. Wie viele amerikanische Soldaten sind von jedem einzelnen koreanischen Soldaten umgebracht worden, wenn sie alle dieselbe Zahl feindlicher Soldaten töteten?"
Dies korrespondiert mit dem Liedgut, das nordkoreanischen Kindern im Musikunterricht vermittelt wird. Außer den Oden auf die Kim-Dynastie werden auch anti-amerikanische Weisen einstudiert. Eine solche Strophe lautet:
Unsere Feinde sind die amerikanischen Schweinehunde,
die unser schönes Land an sich reißen wollen.
Mit Gewehren, die ich mit eigenen Händen baue,
will ich sie erschießen. Piff, paff, puff.
Religion spielt im Schulunterricht keine Rolle, sofern es nicht die gottgleiche Verherrlichung der Führerdynastie betrifft, die definitiv religiöse Züge habe, sagt der Religionswissenschaftler Byong-Ro An. Neben Elementen aus dem Konfuzianismus seien auch schamanistische Anleihen deutlich zu erkennen. Byong-Ro An:
"Da ist zum Beispiel das Gedankengebäude, dass uns übernatürliche Kräfte mit dem Kosmos verbinden. Und daraus leitet sich unter anderem der Gedanke ab, dass der Mensch eigentlich nur ein Blatt im Wind, eine Note in der Partitur der Erde sei. Daneben gibt es aber auch ein paar Auserwählte, die über besondere Fähigkeiten verfügen, deren geistige Kraft, deren Einsatz, verehrungswürdig ist. Kim Il sung wird bis zum heutigen Tag in diesem Sinne verehrt. Sein Sohn Kim Jong-Il und sein Enkel Kim Jong-un haben diesen Mythos sozusagen geerbt. Ich möchte das mit dem religionswissenschaftlichen Begriff der "religiösen Psyche" umschreiben: Im Schamanismus wird die generelle religiöse Psyche eines Koreaners offenbar."
Völlige Hingabe wird erwartet
Um das Leben in Gänze auszuschöpfen, soll sich der Mensch mit aller Kraft einem Ideal, einer Sache, widmen. Daher findet sich dieser schamanistische Anspruch nicht zufällig im Konstrukt des Juche, wie der nordkoreanische Personenkult oft genannt wird. Ebenso wie seine beiden Vorgänger hält sich Kim Jong-un an dieses Rezept: Er lässt keine Gelegenheit aus, seinen Untertanen zu demonstrieren, dass er seinen Aufgaben mit völliger Hingabe nachkommt.
Die stoische Nachrichtensprecherin ist nun bei der Sequenz "Kim-Jong-un-als-junger-Vater-seines-Volkes" angelangt.
Während ihres mittlerweile sieben Minuten währenden Vortrags hat sie noch immer kein einziges Mal von ihrem Text aufgeschaut. Wenn sie ein Blatt ablegt und zu ihrer nächsten Vorlage greift, raschelt das Papier.
Man sieht, wie Kim Jong-un zur Einweihung einer kleinen Schule in der Provinz einen Geschichtsband signiert, dessen Vorderseite mit seinem Konterfei versehen ist. Das Schulpersonal und die Schülerinnen und Schüler in ihren einheitsblauen Uniformen schauen aus gebührendem Abstand zu, wie ihr Staatsführer sich in diesem Werk verewigt. Seine Züge sind von einem väterlichen Lächeln beseelt, das den jungen Diktator mindestens zehn Jahre älter und – man wagt kaum, es auszusprechen – ausnehmend liebenswürdig erscheinen lässt.
In einem Lied heißt es:
Unser Vater, unser Führer.
Uns fehlt es an nichts in dieser Welt.
Unser Haus steht unter dem Schutz der Arbeiterpartei. Wir sind alle Brüder und Schwestern.
Auch wenn eine Feuersbrunst auf uns zurollt,
brave Kinder brauchen sich nicht zu fürchten.
Unser Vater ist bei uns.
Es fehlt uns an nichts in der Welt.
Leonid Petrov "Man kann sagen, dass das sogenannte 'Juche-System' die Religion Nordkoreas ist. Die Stützpfeiler des Juche sind Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Und besonders hervorgehoben wird die Bedeutung des Menschen, der als Zentrum des Universums angesehen wird. Das ist die Essenz des Juche.
Dass in der Praxis jedoch ein Menschenleben in Nordkorea nicht viel wert ist, wird vor allem von Nordkoreanern, denen die Flucht in den Süden gelungen ist, immer wieder eindrucksvoll bezeugt. Viele von ihnen sind wegen der Hungersnöte, aufgrund der Einschränkung der Informations- und Bewegungsfreiheit und der ständigen Überwachung geflohen. Wieder andere wurden in Nordkorea gefoltert, wegen körperlicher Behinderungen diskriminiert oder mussten um ihr Leben fürchten, weil ihnen der christliche Glaube mehr bedeutete als die Verehrung ihres Staatsführers.
Gefährliche Flucht nach Südkorea
Ji Seong Ho und Kim Kon Un haben die gefährliche Flucht nach Südkorea gewagt und diese Entscheidung bis heute keinen Tag bereut.
Ji Seon Ho erzählt: "Alle Religionen werden in Nordkorea unterdrückt. Ich hatte schon einmal einen Fluchtversuch unternommen, nach China, wo ich Kontakt zu Christen hatte. Aber dort hat man mich nach ein paar Wochen aufgegriffen. Ich wurde nach wieder nach Nordkorea deportiert und so brutal gefoltert, dass ich fast daran gestorben wäre. Da wurde mir endgültig klar, dass ich einen zweiten Fluchtversuch unternehmen musste, weil das Leben in Nordkorea unmenschlich ist. In Nordkorea haben wir nur eine Religion, nur einen Gott: Juche und unsere Führer aus der Familie Kim."
Kim kon Un sagt: "Ich will nie wieder in den Norden zurück! Ich muss immer wieder an den gleichaltrigen Nachbarjungen denken, der damals während einer Hungersnot an Unterernährung gestorben ist. Ich hatte einfach nur Glück, dass es mich nicht getroffen hat! Nach Nordkorea zurückzugehen würde bedeuten, mir mein eigenes Grab zu schaufeln.
Einer, der es ebenfalls in die Freiheit geschafft hat, ist der Missionar Kenneth Bae. 2014 durfte der in Südkorea geborene US-Staatsbürger Nordkorea nach langem diplomatischem Tauziehen wieder verlassen. Der evangelikale Christ hatte regelmäßig Touren von China nach Nordkorea organisiert und versehentlich eine Festplatte mit sich geführt, die missionarische Strategien enthielt. 735 Tage lang wurde Kenneth Bae festgehalten. Den größten Teil der Zeit verbrachte er in Arbeitslagern. Kenneth Bae erzählt:
"Bei einem meiner Aufenthalte in Nordkorea habe ich einige Menschen dazu ermuntert zu beten. Daraufhin warf man mir vor, die Regierung stürzen zu wollen. Ich habe gefragt, wie das möglich sein soll - einzig durch die Verehrung Gottes und durch Beten?! – Die Antwort lautete: Zuerst haben wir einen Christen, dann hundert und schließlich zehntausend Christen. Wir fürchten uns nicht vor amerikanischen Atomwaffen. Aber wenn Missionare kommen und ihren Glauben verbreiten, dann verlieren die Leute das Vertrauen in die Regierung und den Führer.
Mythos der Macht
Vor dem von 1950 bis 1953 währenden Koreakrieg lebten etwa 200.000 Christen in Korea. In Südkorea sind es heute etwa 14 Millionen, ein knappes Drittel der Bevölkerung, in Nordkorea soll sich ihre Zahl auf gerade einmal 13.000 belaufen. Die meisten von ihnen sind in Hausgemeinden organisiert. Dass es Untergrundgemeinden gibt, bestätigen die nach Südkorea geflohenen Nordkoreaner nicht. Es ist auch wenig wahrscheinlich, dass unter der konstanten Überwachung durch Staatsapparat und Nachbarn solche Gemeinschaften existieren könnten. Kenneth Bae:
"Es gibt eine katholische und zwei evangelische Kirchen in Pjöngjang. Außerdem ein paar kleinere buddhistische Tempel. Damit will man den Anschein erwecken, dass in Nordkorea Glaubensfreiheit besteht."
Inwieweit die nordkoreanischen Christen vom Staat instrumentalisiert werden, ob sie eine Reminiszenz an die Vorfahren Kim Jong-uns darstellen, die als fromme Christen galten oder ob Diktator Kim den Westen durch ihre Präsenz einfach nur narren will, ist nicht bekannt. Belegt ist dagegen, dass Kim Jong-un Ernst macht, wenn es um die Wahrung der einzig gültigen Religion in Nordkorea geht, nämlich um den Mythos, der ihn an der Macht hält.
Von ihm sei also weder in naher noch in ferner Zukunft Neues zu erwarten, sagt Leonid Petrov. Auch nach Kim Jong-uns nächstem Ritt zum heiligen Paektu werde die Sprecherin des nationalen Fernsehsenders wohl kaum die bahnbrechende Meldung verlesen, dass Gott Kim seinen heiligen Thron zu verlassen gedenkt. Leonid Petrov:
"Anders als gern kolportiert wird, ist Kim Jong-un bei weitem nicht so populär wie sein Vater oder gar sein Großvater. Vor allem, weil er dafür zu jung ist – im Konfuzianismus haben Alter und Erfahrung einen hohen Stellenwert, da kann ein 36-Jähriger schwerlich mithalten. Außerdem hat Kim Jong-un nie in der Armee gedient. Und seine wirtschaftlichen Kenntnisse lassen sehr zu wünschen übrig. Am Ende ist das Einzige, was für ihn spricht: Er ist der Enkel des nordkoreanischen Gründervaters Kim Il-sung und in seinen Adern fließt gewissermaßen königliches Blut."