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Nordkorea
Lehrstück über Propaganda

Der bekannteste Zeuge für schwere Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea hat seine Aussagen teilweise widerrufen. Das Regime in Pjöngjang, das Shin Dong-hyuk zuvor schon als Lügner denunziert hatte, triumphiert. Nun droht das Leiden der bis zu 200.000 Insassen von Arbeitslagern in Nordkorea wieder in Vergessenheit zu geraten.

Von Martin Fritz | 31.01.2015
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    Der nordkoreanische Menschenrechtsaktivist Shin Dong-hyuk revidiert teilweise seine Aussagen zu den nordkoreanischen Arbeitslagern. (picture alliance / dpa / Salvatore Di Nolfi)
    So prominent wie Shin Dong-hyuk ist kein anderer nordkoreanischer Flüchtling. Ex-US-Präsident George Bush lud ihn auf seine Ranch ein. Der heutige Außenminister John Kerry schüttelte ihm die Hand. Sein Buch "Flucht aus Lager 14" wurde in 27 Sprachen übersetzt und millionenfach gekauft. Denn vor zehn Jahren war Shin als Erstem und Einzigem die Flucht aus einem nordkoreanischen Gulag gelungen. Dort werden die Menschen zur Arbeit gezwungen, misshandelt, vergewaltigt, es gibt kaum zu essen und keine medizinische Hilfe. Shin trat als Zeuge auf: Er wurde selbst gefoltert, hatte Mutter und Bruder verraten und musste zusehen, wie sie öffentlich gehenkt wurden. Nun hat Shin falsche Angaben in seiner Geschichte gestanden. Gegenüber der New York Times entschuldigte er sich:
    "Es tut mir leid für viele Leute. Ich wusste, dass ich mich nicht länger verstecken konnte, aber ich zauderte, weil Freunde befürchteten, dass meine Enthüllungen der Bewegung für Menschenrechte in Nordkorea schaden könnten."
    Er sei im Arbeitslager Nummer 14 geboren, aufgewachsen und von dort nach China geflüchtet, hatte Shin behauptet. Nun gab er zu, lange Zeit in dem weniger strengen Lager Nummer 18 gelebt zu haben. Daraus sei er zwei Mal geflohen. Sein Finger sei ihm nicht abgetrennt worden, weil er eine Nähmaschine fallen ließ, sondern als ihm zur Strafe für den zweiten Fluchtversuch die Fingernägel gezogen wurden. Damit ist Shin als Kronzeuge für die Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea unglaubwürdig geworden. Dennoch hält Michael Kirby, der australische Leiter der UN-Untersuchungskommission für die Menschenrechte in Nordkorea, an seinem Bericht fest:
    "Offenbar geht es um die Frage, ob Shin in einem Gefangenenlager in der totalen Kontrollzone oder in einem gewöhnlichen Lager war. Anders gesagt: ob es die doppelte oder die dreifache Hölle war. Es gibt keinen echten Zweifel, dass er in einem Arbeitslager lebte. Seine Geschichte macht nur zwei Absätze in dem 400-Seiten-Bericht aus. Daher hat dies keine große Wirkung."
    Das Geständnis von Shin hat Kenner wenig überrascht. Journalisten, die Flüchtlinge aus Nordkorea befragen, fallen in deren Aussagen schnell Ungereimtheiten auf. Denn je schlimmer ihr Schicksal war, desto mehr Aufmerksamkeit erhalten sie - und damit oft auch Geld und Arbeit. Auch in der Geschichte von Shin Dong-hyuk gibt es Lücken. So wurde er auf einer Konferenz gefragt, wie er es ohne Geld und ohne die notwendige Reiseerlaubnis bis nach China geschafft habe. Shin blieb eher vage:
    "Ich brauchte einen Monat bis zur Grenze von China. Zu der Zeit gab es nur wenige Kontrollen. Im Lager gibt es kein Geld, ich kannte das nicht. Innerhalb von zwei Tagen habe ich aber durch Beobachten gelernt, dass dieses Papier ein machtvolles Mittel ist, um Essen zu bekommen."
    Nordkorea übte Druck auf den Zeugen aus
    Der Auslöser für sein Geständnis liegt in Nordkorea. Die Propaganda-Maschine des Regimes produzierte Videos mit angeblichen Zeugen, die Shin als Lügner entlarven sollten. Denn seine Aussagen waren mitverantwortlich dafür, dass sich die Vereinten Nationen im vergangenen Herbst mit den Arbeitslagern beschäftigten. Zu diesem Zeitpunkt holte das Regime den Vater von Shin vor die Kamera, der genau das sagte, was die Diktatur der Welt mitteilen wollte:
    "Unsere Familie hat niemals in einem Arbeitslager gelebt. Wir lebten in Pongchang-Ri. Mein Sohn hat dort die Grundschule und dann die Mittelschule in Tikjang-ri besucht. Danach hat er in einem Kohlebergwerk gearbeitet."
    Die US-Webseite "One Free Korea" konnte jedoch nachweisen, dass die genannten Orte innerhalb des Arbeitslagers Nr. 18 liegen. Damit hatte das Regime in Pjöngjang unabsichtlich die korrigierten Angaben von Shin bestätigt. Er hatte also im Lager gelebt. Dennoch konnte die Propaganda ihr Ziel erreichen. Denn Shin war bisher davon ausgegangen, dass wegen seiner Flucht sein Vater hart bestraft worden wäre, wie Shins Ko-Autor, der Journalist Blaine Harden, im US-Radio berichtete.
    "Shin war geschockt, dass sein Vater noch lebte. Er hatte Nordkorea über die Vereinten Nationen auf Informationen über den Verbleib seines Vaters verklagt, aber keine Antwort bekommen. Er freute sich, dass sein Vater noch lebte. Aber er musste feststellen, dass sein Vater dazu gezwungen wurde, Lügen zu erzählen."
    Das Wiederauftauchen des tot geglaubten Vaters zwang Shin zum Handeln. Auf Facebook schrieb er, jeder habe Geschichten oder Dinge, die er lieber verheimliche. Auch er habe Teile seiner Vergangenheit verbergen wollen. Psychiater wissen: Wer an einem Trauma leidet, kann die Wahrheit oft nicht erzählen. Menschlich ist das verständlich, für einen Aktivisten ist es unverzeihlich. Aber sein Rückzug ins Private, den Shin auf Facebook ankündigte, sollte nicht davon ablenken, dass genau in diesem Moment in den Arbeitslagern der Kim-Diktatur Menschen ausgebeutet, gequält und getötet werden.