Freitag, 19. April 2024

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Nordsyrien-Konflikt
"Die Waffenruhe ist sehr brüchig"

Die vorläufige Waffenruhe für Nordsyrien sei ohne Beteiligung der Kurden ausgehandelt worden, sagte Cahid Basar, Generalsekretär der Kurdischen Gemeinde, im Dlf. Weiterhin gebe es Meldungen über Menschenrechtsverletzungen und Kriegshandlungen. Darauf wolle die Demonstration in Köln aufmerksam machen.

Cahid Basar im Gespräch mit Silvia Engels | 19.10.2019
Demonstranten halten YPG-Fahnen bei einer Demonstration von Kurden gegen die türkische Militär-Offensive in Nordsyrien in Köln am 19.10.2019.
Wer für den Frieden demonstriere, müsse dies friedlich tun - so Cahid Basar über die Kurden-Demonstrationen (picture alliance / Roberto Pfeil)
Silvia Engels: Cahid Basar, er ist Generalsekretär der Kurdischen Gemeinde hier in Deutschland. Ursprünglich wollten wir mit Ayten Kaplan von dem Organisationskomitee sprechen, aber wir erreichen sie gerade nicht. Deswegen herzlichen Dank, dass Sie kurzfristig einspringen, Herr Basar, auch wenn Ihre Organisation keine Organisationsverantwortung für diese Demonstrationen hat, sind Sie dort. Wie erleben Sie die Stimmung?
Cahid Basar: Ja, ich erlebe hier die Stimmung als sehr gelöst zunächst einmal. Der Platz, der Chlodwigplatz, wo ich gerade bin, füllt sich so allmählich. Wir haben hier eine große Polizeipräsenz, aber alle sind recht entspannt, und es finden gerade Reden statt, und wir werden, ich vermute mal, in den nächsten 30 Minuten von hier aus losmarschieren. Zuvor haben Kölner Bundestagsabgeordnete eine gemeinsame Erklärung hier abgegeben und sich deutlich gegen den Krieg positioniert und sich mit den Demonstrierenden und mit ihrem Anliegen solidarisch erklärt. Das hat sehr viel Beifall gefunden und auch Zuspruch gefunden von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die natürlich sich über diese Solidaritätsbekundungen auch dieser Art freuen.
Engels: Nun wissen wir ja, dass es seit Kurzem eine Vereinbarung zumindest über eine begrenzte Waffenruhe gibt. Hat das allgemein etwas zur Verringerung der Sorgen der Kurden beitragen können?
Basar: Nein, leider nicht, denn diese Waffenruhe, die dort ausgehandelt worden ist, ist ohne die Beteiligung der Kurdinnen und Kurden ausgehandelt worden. Die saßen nicht mit am Tisch, haben also an den Details nicht mitgewirkt. Und die Waffenruhe ist auch sehr brüchig. Uns erreichen immer noch zahlreiche Meldungen aus der Region, die auf Menschenrechtsverletzungen, auf Kriegshandlungen zurückschließen lassen. Und das ist natürlich eine große Sorge, die wir haben, dass hier die Waffenruhe im Grunde nur auf dem Papier steht aber die türkische Armee wie auch die dschihadistische Hilfstruppe noch massiv gegen die Zivilbevölkerung vorgeht.
"Türkische Kreise radikalisiert"
Engels: Ihr Anliegen ist Solidarität mit den Kurden in Nordsyrien. Wie wollen Sie sicherstellen, dass Ihr Anliegen durchdringt und nicht, wie in einigen vergangenen Tagen das ja der Fall war, durch gewalttätige Ausschreitungen überlagert wird, die wir ja in einigen deutschen Städten gesehen haben?
Basar: Das sind bedauerliche Einzelfälle, die wir in keinster Weise billigen, und auch natürlich hoffen, dass auch zum Beispiel in Köln, falls es zu Provokationen in irgendeiner Form kommen sollte, diese sofort unterbunden werden können und nicht weiter eskalieren. Wir wollen wirklich das Augenmerk der Öffentlichkeit auf die Situation, auf diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und die Menschenrechtsverletzungen dort richten, und wir sind der Meinung, wer für den Frieden auf die Straße geht und demonstriert, muss auch konsequent friedlich bleiben. Aber wir sehen auch, wie emotionalisiert die Menschen sind, und zwar nicht nur die Kurdinnen und Kurden, die heute auf die Straße gehen aus Sorge und aus Enttäuschung über den Westen und aus Sorge über ihre Verwandten, Familien und ihre Mitbürger, sondern auch vor allem einige türkische Kreise außerordentlich politisiert und radikalisiert sind, was aber auch sicherlich mit seinen Grund darin hat, dass die gleichgeschalteten Medien aus der Türkei letztendlich tagtäglich, 24 Stunden Staats- und Kriegspropaganda in die Wohnungen vieler türkischer Mitbürger auch senden und somit dann auch die Atmosphäre hier sehr vergiften und diese Menschen leider Gottes nationalistisch aufladen und radikalisieren, sodass es dann auch am Straßenrand zu Provokationen kommen könnte.
"Auf verbotene Symbole verzichten"
Engels: Herr Basar, ich habe es zu Anfang erwähnt, Ihre Organisationen, die Kurdischen Gemeinden in Deutschland, sind nicht Organisatoren dieser Demonstrationen, sie haben lediglich zur Teilnahme aufgefordert. Nun ist es aber so, dass bei dieser Demonstration gilt, wie bei vielen anderen: Einigen der Organisatoren werden auch vom Verfassungsschutz eine große Nähe zur verbotenen Organisation PKK zumindest nahegelegt. Wie ist denn dafür Vorsorge getroffen, dass es nicht wieder dazu kommt, dass verbotene Symbole der PKK gezeigt werden? Denn auch da ist ja immer eine Provokation dann aus Seiten, von Teilen kurdischer Gruppen.
Basar: Das ist richtig. Zunächst einmal ist das natürlich die Aufgabe der Polizeikräfte hier, verbotene Symbole beziehungsweise bei der Verletzung des Demonstrationsrechts dann einzuschreiten und entsprechend dann diese Sachen zu beschlagnahmen. Jedoch haben sich dann auch im Vorfeld viele kurdische Organisationen, die auch zu dieser Demo aufgerufen haben, dazu bereit erklärt oder vor allem betont, dass auf Parteisymbole oder verbotene Symbole verzichtet werden soll, weil nämlich einfach es hier um die Bevölkerung in Nordsyrien geht, und nicht um ein Parteiverbot oder irgendwelche kurdischen Politiker, sondern wir wollen den Krieg und die Situation in Nordsyrien in den Fokus stellen, und nicht uns hier mit illegalen Symbolen beschäftigen.
Kurdendemonstrationen sind "Familienveranstaltungen"
Engels: Nun haben Sie diese Distanzierung deutlich gemacht. Auf der anderen Seite besteht ja immer die Gefahr, dass es doch zu Ausschreitungen kommt. Wie groß ist die Gefahr, dass bei vielen Bürgern, die derzeit ja noch große Sympathie für kurdische Anliegen haben, diese Sympathie deutlich abnimmt, wenn es immer wieder zu Gewalt kommt?
Basar: Das kann ich durchaus nachvollziehen, wenn natürlich die Tumulte und Gewalttätigkeiten, die am Rande von Demonstrationen stattfinden, tatsächlich das eigentliche Thema überlagern, die Menschenrechtsverletzungen und den Angriffskrieg der Türkei gegen die Kurden. Und deshalb ist es auch für uns von einem ganz besonderen Interesse, dass es eben zu keinen Tumulten, keinen Straßenschlachten oder dergleichen kommt, denn Sie müssen wissen: Wenn die Kurdinnen und Kurden an solchen Demonstrationen teilnehmen, dann sind das in der Regel Familienveranstaltungen. Man nimmt seine Eltern mit, man nimmt seine Kinder mit, seine Familie mit und demonstriert gemeinsam. Wer mit seinen Kindern und Großeltern unterwegs ist und für die Sache an sich demonstriert, der hat keine Straßenschlachten und Polizeikämpfe im Sinn. Und daher legen wir hier großen Wert darauf, dass wir uns a) nicht provozieren lassen wollen, nicht selber provozieren möchten, weil wir genau sehen und auch erkennen, wie stark die Sympathien der Öffentlichkeit auch aufseiten der Kurdinnen und Kurden sind. Und dies gilt es, weiter zu behalten und die Menschen gegen die Menschenrechtsverletzungen dort zu sensibilisieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.