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Norwegen
Der Abschied vom Öl und die Folgen

Jahrzehntelang sprudelten die Erdölreservoirs vor Norwegens Küsten viel Geld in die Staatskasse. Aber irgendwann werden die Quellen versiegen. Durch den Einbruch der Energiepreise und die Drosselung der Fördermenge haben einige Norweger schon jetzt eine Vorstellung davon bekommen, wie sich das Ende des Überflusses anfühlt.

Von Gunnar Köhne | 21.10.2016
    Die Brage-Plattform in der Nordsee.
    Die Brage-Plattform in der Nordsee liegt nordwestlich von Bergen. (picture alliance / dpa )
    Björn Poppe hat einen doppelten Hamburger bestellt, dazu Pommes frites und eine große Cola. Der Hüne mit dem kahlen Kopf und dem Vollbart schaut auf den Teller vor ihm und lächelt:
    "Wie sie sehen: Wir müssen nicht hungern (lacht). Wir kommen über die Runden. Haben auch genug zum Anziehen. Dafür sorgt der norwegische Wohlfahrtsstaat. Aber früher konnte es passieren, dass man zuhause saß, und sagte: Wir könnten uns mal wieder ein Sofa kaufen. Und dann ging man einfach los und kaufte sich eines, auch wenn es einen Wochenlohn kostete. Das ist vorbei."
    Seit der Ölpreis im freien Fall ist, steigt die Arbeitslosenquote
    Björn Poppe ist arbeitslos, einer von über 3.700 Erwerbslosen in seiner Heimatstadt Stavanger an Norwegens Südwestküste. Dort herrschte vor ein paar Jahren noch Vollbeschäftigung, schließlich ist die 130.000-Einwohner-Stadt das Zentrum der norwegischen Ölindustrie. Doch seit der Ölpreis im freien Fall ist, steigt die Arbeitslosenquote. Inzwischen liegt sie bei fünf Prozent - so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr. Poppe, Vater von drei Kindern, hat 24 Jahre auf Öl- und Gasplattformen in der Nordsee gearbeitet, zuletzt verdiente er über 100.000 Euro im Jahr. Eine Stelle habe er nie suchen müssen, ständig sei er abgeworben worden. Nun suche er seit über einem Jahr vergeblich nach einer neuen Anstellung, doch außer Gelegenheitsarbeiten habe er nichts finden können.
    "Hier in Stavanger sind es inzwischen so viele! Wenn man Bekannte an einem Samstag Vormittag auf der Straße trifft, fragt man nicht mehr: 'Hallo, wie geht’s?' sondern 'Hallo, hast du noch Arbeit?'"
    Knapp ein Jahr vor den Parlamentswahlen ist die sogenannte "Rekordarbeitslosigkeit" das bestimmende innenpolitische Thema. Die Opposition wirft der Minderheitsregierung aus konservativer Høyre und rechtspopulistischer Fortschrittspartei Untätigkeit vor. Dazu der Parteichef der Sozialdemokraten, Jonas Gahr Støre, der mit seiner Partei derzeit in Umfragen weit vor den Konservativen liegt:
    "Es wird immer deutlicher, dass sich die Arbeitslosigkeit festsetzt. Sie ist so hoch wie noch nie. Und das, obwohl die Regierung immer mehr Geld ausgibt. 100 Milliarden Kronen hat sie aus dem Ölfonds herausgenommen, aber viel zu wenig fließt davon in die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Wenn man die Arbeitslosigkeitszahlen runter bekommen will, muss man in Fortbildung und technische Innovationen investieren."
    Regierungschefin Erna Solberg setzt vorerst weiter auf Öl
    Dass sich die Regierung in dieser von manchen "Ölkrise" genannten Zeit aus dem Pensionsfond bedient, empört Kritiker besonders. Schließlich handelt es sich bei den dort angehäuften rund 800 Milliarden Euro um eine eiserne Reserve für die Zeit, nachdem die letzten Gas- und Ölquellen versiegt sind. Finanzministerin Siv Jensen wiegelt ab: Der Ölpreis werde wieder steigen, sagte sie in Oslo bei der Vorstellung des Haushaltes 2017.
    "Wir müssen uns nun darauf konzentrieren, in anderen Branchen das Wachstum zu fördern. Sollte es in der Ölindustrie weiter bergab gehen, haben wir Notfallmaßnahmen vorbereitet. Wir fürchten dennoch, dass die Arbeitslosigkeit noch ein wenig steigen könnte. Die Ölindustrie wird in Zukunft nicht mehr der Motor der norwegischen Wirtschaft sein. Aber das Öl bleibt natürlich ein wichtiger Teil unserer Wirtschaft. Das heißt, wir dürfen nicht allein auf neue Wirtschaftszweige setzen, sondern müssen auch die Rahmenbedingungen für die Öl- und Gasförderung verbessern."
    Darum setzt Regierungschefin Erna Solberg vorerst weiter auf’s Öl. Im Norden des Landes hat die Regierung etliche unerforschte Areale in der Barentssee zur Exploration freigegeben.
    Björn Poppe würde auch tausende Kilometer bis weit hinter den Polarkreis für eine Arbeitsstelle fahren. Denn gerade in einer so wohlhabenden Gesellschaft wie der norwegischen schmerze die eigene Arbeitslosigkeit sehr.
    "Man fühlt sich als Arbeitsloser weniger Wert als Mensch. Weil man nicht mehr so viel zur Gemeinschaft beitragen kann."