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NoViolet Bulawayos "Wir brauchen neue Namen"
Ein furioses Debüt

Aus Simbabwe kommt viel an hochklassiger Literatur. Und an Nachwuchs mangelt es auch nicht. Gerade mal 31 Jahre war NoViolet Bulawayo, als sie mit ihrem ersten Roman für Aufsehen sorgte. Er ist mit dem Titel "Wir brauchen neue Namen" nun auf Deutsch erschienen.

Von Gaby Mayr | 13.11.2014
    Die Schriftstellerin NoViolet Bulawayo wurde in Simbabwe geboren und lebt heute in den USA.
    NoViolet Bulawayo, in den USA lebende Autorin aus Simbabwe, hat unsere Rezensentin mit ihrem ersten Roman überzeugt. (AFP / Foto: Leon Neal)
    Schon der Name ist ein Ausrufezeichen: NoViolet Bulawayo. Bulawayo ist die zweitgrößte Stadt Simbabwes, Hauptstadt des Matabelelandes, der Heimatprovinz der Autorin. Die lebt heute in den USA und schreibt - selbstredend - auf Englisch. Der Vorname also eine Verneinung? No Violet - kein kleines Veilchen, keine Anpassung, keine Kompromisse? Mitnichten! "No" heißt in Bulawayos Muttersprache Ndebele "mit" - Violet war der Name ihrer Mutter, die sehr früh starb. "Mit Mutter" bedeutet also der Vorname der Autorin!
    NoViolet Bulawayo- die eigentlich wenig spektakulär Elizabeth Zandile Tshele heißt - hat nicht nur einen auffälligen Autorin-Namen gewählt. Für Aufsehen sorgte auch ihr erster Roman "Wir brauchen neue Namen". Er erzählt die Geschichte von "Darling" - die lebt als zehnjähriges Mädchen in Zimbabwe und später als Jugendliche in den USA. Das Buch ist ein spektakulärer Spagat zwischen diesen beiden Welten.
    Land lautmalerischer Namen
    In ihrem ersten Leben wohnt Darling in einer Hüttensiedlung. Darlings Vater ist nach Südafrika gegangen, als ihm seine Existenz in Zimbabwe unerträglich schien. Auf Überweisungen aus dem reicheren Nachbarland warten Darling und ihre Mutter jedoch vergebens. Die Mutter organisiert das Überleben. Nicht selten ist sie tagelang weg, Geld verdienen. Dann wohnt Darling bei der Großmutter. Noch lieber als ihre Enkelin im Blick zu behalten, geht Mother of Bones - die Knochenmutter - allerdings in die Erweckungskirche des wortgewaltigen, schweißtriefenden Propheten Revelations Bitchington Mborro. Lautmalerische Namen mit sinnreichen Anspielungen auf ihre Träger – nicht selten in Englisch – werden in Simbabwe gerne vergeben.
    Darling verbringt ihre Zeit am liebsten auf der Straße, sie ist Mitglied einer sechsköpfigen Kinderbande. Die Kids gehen nicht mehr zur Schule - ihre Eltern können sich Schulgebühr und Uniform nicht leisten. Stattdessen treiben sie sich zum Guavenklauen in "Budapest" herum, dem noblen Viertel hinter dem Stadion. Oder die Kinder vergnügen sich bei Spielen auf den staubigen Wegen der Siedlung. Ihre Sprache ist rau, sie sind unsentimental. Aber sie lassen niemanden ihrer Gruppe zurück. Auch nicht Chipo, die in letzter Zeit so langsam geworden ist. Denn Chipo ist schwanger:
    "Wann kriegt sie überhaupt das Baby?, fragt Bastard. Bastard mag es nicht, wenn wir anhalten müssen wegen Chipos Bauch. Er wollte uns sogar überreden, dass wir gar nicht mehr mit ihr spielen. Irgendwann kriegt sie´s schon, antworte ich für Chipo, sie redet nämlich nicht mehr. Sie ist nicht stumm-stumm, sie sagt nur einfach nichts, seit man ihren Bauch sehen kann.
    "Und wer hat es bei ihr reingetan?"
    "Woher sollen wir das wissen, wenn sie nichts sagt?"
    "Wer hat es reingetan, Chipo? Sag´s uns, wir sagen es auch nicht weiter".
    "Chipo guckt in den Himmel. In einem Auge ist eine Träne, aber nur eine kleine."
    "Wenn ein Mann es da reintut, warum holt er es dann nicht raus?"
    Weil die Frauen die Geburt machen, du Hohlbirne. Dazu haben sie ja Brüste, damit sie das Baby stillen und alles....
    "Los jetzt, können wir, Chipo?", frag ich. Chipo antwortet nicht, sie geht einfach los und wir hinterher."
    Klare Linien, krasse Farben
    In der ersten Hälfte des Romans erschafft NoViolet Bulawayo mit harten, klaren Linien und krassen Farben ein Graffiti des Einfache-Leute-Kinderlebens in Zimbabwe. Gewalt ist allgegenwärtig: Bulldozer rollen an, um angeblich illegale Hütten abzuräumen. In einem Guavenbaum sitzend, werden die Kinder Zeugen, als eine hasserfüllte Meute, wie sie von der herrschenden Partei des Langzeitpräsidenten Robert Mugabe immer wieder losgeschickt und finanziert wird, gegen vermeintliche Feinde wütet: Sie zerren ein weißes Paar aus seinem Haus und zertrümmern das Domizil. Gewalt nistet auch in den Familien der Sechs: Chipo ist schwanger von ihrem Großvater.
    Trotzdem: Voller Energie, mit Kaltschnäuzigkeit und Herzenswärme schlagen sich die Kinder durchs Leben. Ein Leben voller Vergnügen. Und voller Schrecknisse: Beim Stromern durch den Busch stoßen sie auf eine Tote. Eine Frau hat sich an einem Baum aufgehängt. Später stellt sich heraus: Die Frau wollte mit der "Schande" Aids nicht weiterleben.
    Stilmittel Verdopplung
    NoViolet Bulawayo versteht es, den Charakter ihrer Figuren sprachlich zu unterstreichen. Wenn Darling wütend ist, mischt sie Ndebele-Worte in ihre Ausbrüche. Auch wenn man kein Ndebele versteht, weiß man genau, was sie meint. Verdopplungen eines Wortes sorgen für Eindeutigkeit: Chipo ist nicht stumm-stumm, sie redet nur nicht mehr. Die Verdopplung ist ein Stilmittel aus Simbabwes einheimischen Sprachen, das auch Eingang ins simbabwesche Englisch gefunden hat. Und Mother of Bones, Darlings fromme Großmutter, redet ohne Punkt und Komma über die Welt und mit den Menschen, die sie oft nicht mehr versteht:
    "Wenn sie redet, purzeln die Wörter immer raus ohne Pause, als wenn sie Angst hat, dass sie sonst weggefegt werden."
    Sprachlich fulminant zeichnet NoViolet Bulawayo ein packendes Bild aus Zimbabwe nach der Jahrtausendwende. Genau in der Mitte des Buches dann der Schnitt: Darling hat eine Tante in den USA. Sie nutzt die Gelegenheit und verlässt Zimbabwe. Ein kurzes Kapitel an diesem Wendepunkt des Romans ist ein Klagegesang auf die verlorenen Töchter und Söhne des Landes.
    "Seht nur, sie gehen in Scharen, die Kinder des Landes, seht nur, sie gehen in Scharen. Die nichts haben, überqueren Grenzen. Die ehrgeizig sind, überqueren Grenzen. Die Verluste beklagen, überqueren Grenzen. Die Schmerzen haben, überqueren Grenzen. Fahren, laufen, ziehen, gehen, wandern, verschwinden, fliegen, fliehen - überallhin, in nahe und ferne Länder, Länder, von denen sie noch nie gehört haben, Länder, deren Namen sie nicht aussprechen können. Sie gehen in Scharen."
    Auf Englisch hören die Menschen weniger zu
    Darling, mittlerweile eine Jugendliche, lernt schnell, worauf es ankommt, wenn man in den USA mitmischen will. Man darf auf keinen Fall "wacklig reden", wie sie es nennt:
    "Das Problem mit den Leuten, die nur Englisch sprechen: Sie können nicht zuhören; sie gucken sich nur das Wackeln an und achten gar nicht drauf, was man gerade sagt. Ich habe beschlossen, dass amerikanisch zu klingen die beste Lösung ist, und das Fernsehen hat es mir beigebracht."
    Leben zwischen zwei Welten
    Zielstrebig macht sich Darling zur US-Amerikanerin: Mit zwei Freundinnen, die nicht ganz zufällig ebenfalls aus Afrika stammen, guckt sie im Internet Pornos. Darling geht in Diskos, auch wenn sie sich mit den von aggressivem Gangsta-Rap aufgeputschten Jungs nicht wohl fühlt. In der Schule kommt sie gut mit, obwohl sie manchmal schwänzt und sich mit ihren Freundinnen lieber in der Mall herumtreibt.
    Wie NoViolet Bulawayo dieses jugendliche Leben zwischen den Welten USA und Zimbabwe darstellt, beeindruckt. Gewalt und Härte sind in den USA anders als zu Hause in Zimbabwe, aber sie sind ebenso präsent. Auch in der neuen Umgebung trotzt Darling den Widerständen. Sie registriert, was um sie herum passiert - und mit ihr selbst. Sie vergleicht ihre Erfahrungen aus der alten Heimat mit denen in der neuen und hat sich doch längst für das neue Leben entschieden.
    NoViolet Bulawayo: Wir brauchen neue Namen, Aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow, Suhrkamp Verlag, 21,95 Euro