Mittwoch, 24. April 2024

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Nowottny: Wulff ist über seine eigene Dummheit gestolpert

Christian Wulff habe sich als Bundespräsident in eine ausweglose Lage hineinmanövriert, sagt der Journalist Friedrich Nowottny. Er habe Anlass genug gegeben, kritisch über ihn und sein Finanzgehabe zu berichten. Manchmal seien die Medien aber nicht mehr Herr über ihr eigenes Handeln gewesen.

Friedrich Nowottny im Gespräch mit Friedbert Meurer | 10.04.2013
    Friedbert Meurer: In 21 Fällen hat die Staatsanwaltschaft Hannover gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff ermittelt – wegen des Verdachts der Vorteilsannahme und Bestechlichkeit. Übrig geblieben von diesen 21 Punkten ist nur noch ein einziger Punkt. Der Filmunternehmer David Groenewold hat Wulff eine Hotelrechnung über 700 Euro erstattet und dafür soll sich Wulff nach Ansicht der Staatsanwaltschaft erkenntlich gezeigt haben. Wulff will es jetzt aber wissen. Er lehnt es ab, gegen eine Geldauflage von 20.000 Euro das Verfahren einstellen zu lassen. Er hält sich für unschuldig. Viele halten inzwischen das Beweismaterial der Staatsanwaltschaft für ziemlich dünn. Der Tenor vieler Medien, die vor gut einem Jahr Wulff in die Mangel genommen haben, lautet jetzt: Lasst es doch bitte einfach gut sein. Friedrich Nowottny war lange Jahre Leiter des Parlamentsstudios der ARD in Bonn, später Intendant des Westdeutschen Rundfunks. Guten Tag, Herr Nowottny!

    Friedrich Nowottny: Ich grüße Sie, Herr Meurer!

    Meurer: Es geht jetzt bei Wulff nur noch um eine Hotelrechnung, nicht mehr um Hauskredite, nicht mehr um Bobbycars. Müssen wir Journalisten in uns gehen?

    Nowottny: Journalisten sollten grundsätzlich immer in sich gehen und fragen, bin ich auf dem richtigen Pfad, habe ich eine Grenze überschritten, kann ich alles, was ich behaupte, beweisen oder nicht. Das ist eine Alltagsfrage. Ich finde, im Zusammenhang mit Wulff sollten die Journalisten kritisch nachdenken, was sie über den Durst dazu beigetragen haben, dass es so gekommen ist, wie es gekommen ist, oder ob sie immer richtig gelegen haben. Ich finde, etwas weniger "mea culpa" ist angebracht.

    Meurer: Etwas weniger "mea culpa"?

    Nowottny: Ja.

    Meurer: Wir sollten jetzt nicht auf die Knie gehen und uns schuldig bekennen?

    Nowottny: Um Gottes Willen, nein! Der Bundespräsident außer Diensten hat Anlass genug gegeben, kritisch über ihn, über sein persönliches Wohlergehen, über sein persönliches Finanzgehabe nachzudenken.

    Meurer: Aber die Staatsanwaltschaft hat von 21 Punkten an 20 offenbar nichts gefunden, worauf sich eine Anklage stützen lässt. Ein einziger Punkt bleibt übrig. Rechtfertigt das im Nachhinein die Härte, mit der die Medien über Wulff berichtet haben?

    Nowottny: Die Medien verrichten nicht die Arbeit von Staatsanwaltschaften. Die Medien schauen auf die Vorgänge um die Persönlichkeit, die ja, in diesem Fall an der Spitze des Staates stehend, sich ereignen. Der Umgang mit den Freunden, der Umgang mit den Finanzen, der Umgang mit den Urlauben, das wird alles einmal kritisch nachzufragen sein. Und der Staatsanwalt hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit herauszufinden, ob daran etwas strafrechtlich zu Beanstandendes ist. Und wenn der Staatsanwalt in 20 Punkten der Meinung ist, es ist nichts zu beanstanden, na gut, dann muss er sehen, wie er klarkommt. Die andere Sache ist das Parlament und das, was der damalige Bundespräsident dem Parlament in der Finanzfrage des Hauses geboten hat. Das muss das Parlament für sich entscheiden, was das ist.

    Meurer: Warum sind Sie heute noch der Meinung, wenn ich das richtig heraushöre, Herr Nowottny, dass der Rücktritt zwingend war und richtig?

    Nowottny: Der Bundespräsident hatte sich in eine ausweglose Lage hineinmanövriert. Er war in so viele Widersprüche verwickelt, wahrscheinlich hatte er zu viele oder gar keinen Berater, die ihm geholfen hätten, den Überblick zu behalten. Er ist von einer Sache, die man glaubte, beanstanden zu müssen, in die andere gerutscht, gestolpert, und ist am Ende über die eigenen Füße gestolpert. Er ist, um es mit Verlaub zu sagen und mit allem Respekt vor Herrn Wulff, er ist über die eigene Dummheit gestolpert.

    Meurer: Im Kern geht es doch darum, Herr Nowottny: Er hatte Freunde, er hat sich von Freunden in finanziellen Engpass-Situationen helfen lassen, hat dann mal eine Rolex verpfändet, das Geld dann auch wieder zurückbezahlt. Aber die Staatsanwaltschaft kann nicht nachweisen, dass er dafür sozusagen im Gegenzug politische Einflussnahme genommen hat. Mit Ausnahme dieses einen Punktes, der jetzt noch übrig geblieben ist. Was ist daran verwerflich, wenn man sich eine Rolex pfänden lässt von einem Freund?

    Nowottny: Da ich keine habe und sie nicht verpfänden kann, kann ich nur sagen, ich weiß es nicht. Das ist ein jedenfalls ungewöhnlicher Vorgang für den Bundespräsidenten oder für einen Ministerpräsidenten des Landes, glaube ich. Noch ungewöhnlicher ist, dass das herauskommt und in der Öffentlichkeit breitgetreten wird. Also was soll das? Das sind Alltagsgeschichten, denen auch ein herausragender Politiker nicht entgehen kann, wenn er einen Lebensstil führt, den er nicht finanzieren kann. Und auch seine wohlhabenden Freunde mit Häusern an allen möglichen schönen sonnigen Plätzen in aller Welt, Herr Maschmeyer und Herr Rossmann und wie sie alle heißen, die in Treue fest zu ihm stehen oder gestanden haben, Herr Geerkens, der gute alte Freund, dessen Frau zufällig 500.000 Euro für ihn aus der Schweiz rüberholen konnte – was macht das Geld übrigens in der Schweiz, frage ich mich. Aber gut, das ist ein anderes Thema. Nein, es sind eine Unmenge von widersprüchlichen Dingen gelaufen, die Gegenstand der Erörterung waren – denken Sie an die Telefonate mit der "Bild"-Zeitung, mit Chefredakteur Diekmann und dann auch gar mit dem Verleger des "Welt"-Konzerns, das ist doch alles absurdes Theater.

    Meurer: Aber es fiel schon auf, mit welcher Ausdauer wir Medien da berichtet haben. Etliche sagen heute, ihr habt auf Wulff eingetreten, als er schon am Boden lag. Was meinen Sie?

    Nowottny: Ein Politiker bestimmt selbst, ob er am Boden liegend noch einmal den Versuch nimmt, aufzustehen oder nicht. Wulff hat darauf verzichtet und ist zurückgetreten. Die Journalisten haben vielleicht einen Zahn zu viel aufgelegt in der allgemein aus Berlin ausstrahlenden Hysterie. Sie sind selbst nicht mehr Herr dessen gewesen, was sie da alltäglich veranstaltet hatten in dem Wettbewerb "Ich weiß was Neues". Da war doch so ein Bobbycar und da war doch was weiß ich, das Upgrade im Flugzeug. Und ein Ereignis jagte das andere und Wulff war nicht in der Lage, souverän die Dinge darzustellen. Und seine Berater? Oh mein Gott! Wenn seine Frau, seine Frau oder Ex-Frau – ich weiß nicht, ob sie noch verheiratet sind -, ihn als PR-Beraterin beraten hat, dann kann sie eigentlich ihr Türschild wieder abnehmen, das sie als PR-Beraterin ausweist.

    Meurer: Alles in allem, gehen wir Journalisten heute härter mit Politikern ins Gericht, als das damals zu Ihrer Zeit der Fall war?

    Nowottny: Die Welt ist transparenter geworden. Zu Zeiten Franz-Josef Strauß', zu Zeiten der Parteispendenaffäre war die Welt nicht so transparent. Da boten erst die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse die Möglichkeit, hinters Licht zu kommen. Also es ist heute ein anderer Stil, der Umgang von Journalisten und Politikern ist ein anderer. Und die Berliner Geschwätzigkeit auch unter den Politikern ist eine andere, als sie es früher war. Mit Verlaub gesagt, in Bonn konnten Politiker den Mund noch halten, wenn sie nicht genau wussten, worum es ging.

    Meurer: Der Journalist Friedrich Nowottny, ehedem WDR-Intendant, zur Frage, ob die Medien zu hart mit Ex-Bundespräsident Christian Wulff umgesprungen sind. Danke und auf Wiederhören.


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