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NPD-Verbotsverfahren
"Ein Verbot schwächt den Kern der Ideologie"

Das Verbotsverfahren gegen die NPD habe gute Chancen, sagte der Extremismusforscher Hajo Funke im DLF. Die Partei vertrete eine Ideologie, die "gegen die Menschenwürde und gegen das Grundgesetz" gerichtet sei. Sie sei "als Formation einer rassistischen Ideologie leider sehr erheblich". Und sie strahle auch auf Gruppen wie Pegida und AfD aus.

Hajo Funke im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 01.03.2016
    Der Politikwissenschaftler Hans Joachim Funke.
    Der Politikwissenschaftler Hans Joachim Funke. (Imago / IPON)
    Dirk-Oliver Heckmann: Jahrelang wurde darüber debattiert, sollen Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung einen zweiten Anlauf nehmen, um die rechtsextreme NPD verbieten zu lassen, oder sollte man lieber die Finger davon lassen. Am Ende rangen sich die Bundesländer dazu durch, den Schritt zu gehen, nach dem gescheiterten Verfahren im Jahr 2003. Bundestag und Bundesregierung unterstützen das Vorhaben, treten aber nicht als Antragsteller auf. Seit zehn Uhr heute Früh läuft das Verfahren, das so oder so Rechtsgeschichte schreiben wird.
    Uns zugeschaltet ist der Extremismusforscher Hajo Funke, emeritierter Professor an der Freien Universität in Berlin. Guten Tag, Herr Funke.
    Hajo Funke: Guten Tag.
    Heckmann: Welche Chancen geben Sie denn dem Verbotsverfahren gegen die NPD?
    Funke: Durchaus erhebliche. Die Antragsschrift, verfasst von Christoph Möllers, ist durchdacht und hat zwei Kernpunkte. Das eine ist die Ideologie, eine Ideologie gegen die Menschenwürde und gegen das Grundgesetz und die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne eines völkischen Nationalismus, dem alle anderen Rechte oder entsprechenden Bestimmungen untergeordnet sind, insbesondere das der Menschenwürde. Die Menschenwürde aber ist egalitär, sie gilt für alle, auch für Asylbewerber. Das Zweite ist, dass ausführlich eine Kette von Verhaltensweisen der Praxis der Partei beschrieben wird, wie sie tatsächlich die Handlungsfreiheiten der Menschen in der Republik einschränken, und sie haben dabei insbesondere auf Vorfälle und Tendenzen in Mecklenburg-Vorpommern hingewiesen, die auch soziologisch empirisch gut begründet sind.
    Heckmann: Eine ganze Menge konkreter Beispiele werden da dann offenbar genannt. Aber, Herr Funke, der Nachweis muss ja gelingen, dass die NPD aktiv kämpferisch gegen den Staat vorgeht. Tut sie das? Gibt es dafür Belege?
    Die NPD hat "Wirkung auch auf die Pegida-Bewegung und die AfD"
    Funke: Das tut sie und es gibt dafür Belege, ja. Das sind die eben genannten in Mecklenburg-Vorpommern, oder nehmen Sie einen Fall, der durch die Presse und durch die Öffentlichkeit gegangen ist, das Verhalten der NPD in Tröglitz, wo es zum Rücktritt des Bürgermeisters gekommen ist und später zu einem Brandanschlag auf ein errichtetes Flüchtlingsheim. Das ist nur wiederum ein Fall von sehr vielen. In Heidenau, in Schneeberg hat die Partei systematisch gegen Asylflüchtlinge gehetzt, Gewalt gefördert. Die Partei ist nach wie vor ein Gravitationszentrum des aggressiven Rechtsextremismus und hat ihre Wirkung auch auf die Pegida-Bewegung und auch auf die AfD, wie nun wiederum seit jüngerem vielfältige Belege zeigen. Das heißt, sie ist als Partei und als Formation einer rassistischen Ideologie leider sehr erheblich.
    Heckmann: Jetzt hat ja der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Urteil festgelegt: Eine Partei, die verboten werden soll, die muss auch in der Lage sein, den Staat zu gefährden. Er hat noch mal ein schärferes Kriterium herangezogen. Tut das die NPD, oder ist sie nicht eigentlich viel zu unbedeutend? Wenn man sich die Wahlergebnisse anguckt, läuft die NPD unter ferner liefen.
    Funke: Jein. Das Argument, was von Möllers vorgetragen wird, bespricht dieses und verweist auf die Spezifik, mit der die Europäer die jeweiligen Länder anschauen. Das heißt, der Europäische Gerichtshof hat in einem Fall die soziale Wirksamkeit oder politische Wirksamkeit als relevant erklärt, aber ist zugleich bemüht, doch sehr die lokalen, die nationalstaatlichen Besonderheiten mit zu beachten, und da ist das Argument, dass das Grundgesetz selbst als Gegenbild, Gegenkonzept zur nationalsozialistischen Ideologie entworfen ist, natürlich von Bedeutung. Das heißt, die Gründungsurkunde und die gesamte politische Kultur in Deutschland muss mindestens angeschaut werden, sodass diese Frage der sozialen Wirksamkeit nur ein Argument ist und nicht ausschließend.
    Heckmann: Aber die Frage ist ja, Herr Funke: Ist die NPD in der Lage, den Staat aus den Angeln zu heben, ihn wirklich zu beseitigen?
    "Beim V-Leute-Einsatz habe ich meine Zweifel"
    Funke: Das muss es nicht sein. Ich sage noch einmal: Im Grundgesetz steht was anderes, was ein Parteiverbot legitimiert, nämlich davon ausgeht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu zerschlagen, nicht, dass sie es gerade schon tut. Und das war auch ein Argument heute der Veranstaltung in Karlsruhe durch Herrn Möllers. Der sagte, der Zeitpunkt eines Verbotsverfahrens ist immer falsch. Wenn sie zu stark wird, ist es falsch, weil es dann nicht mehr praktisch durchsetzbar ist. Wenn sie zu schwach ist, ist es falsch, weil sie zu schwach ist. Das ist eine Abwägungsfrage und nicht einfach hermetisch entscheidbar, und insofern hoffe ich, dass das Gericht da klug ist.
    Heckmann: Herr Funke, das Verfahren 2003, das war ja an der V-Leute-Problematik gescheitert. Es hat sich herausgestellt, bevor die mündliche Verhandlung überhaupt angefangen hat, dass die Partei durchsetzt ist durch V-Leute des Verfassungsschutzes bis in die Führungsebenen hinein. Jetzt sagen die Bundesländer, diese V-Leute, die sind allesamt abgeschaltet, zumindest in der Führungsebene. Ist das eigentlich glaubhaft aus Ihrer Sicht?
    Funke: Ich hoffe, dass es glaubhaft ist. Die haben sich schon bemüht, das ist klar. Sie wurden durch das Bundesverfassungsgericht auch gezwungen dazu. Die haben noch mal nachlegen müssen, noch mal Belege geben müssen. Die Innenminister haben testiert, dass das nun seinen ordentlichen Gang genommen habe. Ich habe einen Restzweifel, dass insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz sich ohnehin nie in die Karten gucken lässt, leider. Sie ist praktisch eine Institution im Ausnahmezustand, im Grunde auch verfassungswidrig, nebenbei gesagt, jedenfalls nach dem Urteil vieler Verfassungsrechtler, und insofern auch nicht richtig verantwortlich, ob diese Testate, die von den Innenministern abgegeben wurden, auch tatsächlich das gesamte Verhalten hinsichtlich des V-Leute-Einsatzes des Bundesamtes abdecken. Ich habe da meine Zweifel.
    Heckmann: Herr Funke, Sie haben ja eingangs gesagt, Sie geben dem Verbotsantrag gute Chancen, dass der durchgeht in Karlsruhe. Die Frage ist allerdings: Was wäre denn eigentlich gewonnen, wenn die NPD verboten würde? Rechtsextremismus verschwindet ja nicht aus den Köpfen.
    "Bei einem Verbot ist der Kern der Ideologie entscheidend geschwächt"
    Funke: Nein. Aber es macht ja einen Unterschied, ob man im stillen Kämmerlein, oder am Stamm- und Schreibtisch sozusagen draufhaut, oder ob man eine Bewegung formiert, die tatsächlich eine Gewaltwelle erzeugt hat, und das ist gegenwärtig in Deutschland der Fall, die natürlich ausstrahlt auf Pegida und die andere Gruppen enthält wie der Dritte Weg und die AfD. Insofern: Es geht schon um was.
    Heckmann: Aber wäre dann die Nachfolgeorganisation, die Nachfolgepartei nicht schneller gegründet, als das Urteil ausgesprochen ist?
    Funke: Es kommt etwas hinzu. Wenn wir eine solche Debatte haben, diese Woche und nun doch offenbar in den nächsten Monaten, über den Charakter des Rassismus, über die Menschenfeindlichkeit und die Verletzung der Menschenwürde, das heißt, das Verfassungswidrige des Verhaltens vieler vor Asylflüchtlingsheimen heute, dann haben wir für die Öffentlichkeit und für die Politik und für die Polizei was gewonnen, weil die manchmal, wie Gerhart Baum sagte, verfassungsträge geworden sind. Das ist das eine. Und das andere: Wenn denn dann tatsächlich ein Verbot angemessen umgesetzt wird, dann kann man nicht gleich eine neue Organisation gründen. Dann ist diese, der Kern der Ideologie und der Kern der Praxis, entscheidend geschwächt, und dies umso mehr, je mehr Öffentlichkeit und Parlamente darauf gucken, dass das auch umgesetzt wird, was da verboten ist.
    Heckmann: Der Extremismusforscher Professor Hajo Funke zum NPD-Verbotsverfahren, das derzeit in Karlsruhe läuft. Herr Funke, danke Ihnen für Ihre Zeit.
    Funke: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.