Freitag, 19. April 2024

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NRW-Ministerpräsident Armin Laschet
"Der Wähler hat kompliziert gewählt"

Eine Regierungsbildung hält NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) nach dieser Wahl für eine große Herausforderung. Die Demokraten müssten über eigene Parteischatten springen und Kompromisse finden. Doch dabei "sollten wir uns auf das Lösen von Problemen konzentrieren und nicht auf das Ausstiegsszenario Neuwahlen", sagte er im Dlf.

Armin Laschet im Gespräch mit Moritz Küpper | 12.11.2017
    Der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende Armin Laschet spricht am 20.02.2017 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) während einer Pressekonferenz.
    Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen (picture alliance/dpa - Federico Gambarini)
    Moritz Küpper: Armin Laschet, seit mehr oder weniger auf den Tag genau viereinhalb Monaten sind Sie jetzt Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, der elfte in der Geschichte. Und als stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU sind Sie ja auch Verhandlungsführer jetzt - Energie, Klima - Ihrer Partei bei den Sondierungsverhandlungen in Berlin. Ist das Amt des Ministerpräsidenten schon so sehr Routine geworden, dass man die Aufgabe des Ministerpräsidenten sozusagen nebenher erledigen kann?
    Armin Laschet: Nein, nebenher erledigt man die natürlich nicht. Man muss viel hier präsent sein. Aber gleichzeitig fallen natürlich auch wichtige Entscheidungen für das Land derzeit in Berlin. Was die Zukunft des Industrielandes angeht, was die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie angeht, was die künftige Energiepolitik angeht ist alles für Nordrhein-Westfalen von großer Bedeutung und insofern muss man im Moment zwischen Berlin und Düsseldorf hin und her pendeln.
    "Wir haben eine lange Sondierungsphase und wahrscheinlich eine kürzere Koalitionsverhandlungsphase"
    Küpper: Über Berlin, über die Koalitionsverhandlungen, nein, Sondierungsgespräche - aber zu Koalitionsverhandlungen wird es kommen, oder?
    Laschet: Ja, das erscheint zunehmend möglicher, aber der Charakter dieser Sondierung ist ja etwas, als seien das Koalitionsverhandlungen. Sondieren tut man …
    Küpper: Insofern ist es gar nicht so falsch, wenn man das …
    Laschet: Nein. Normalerweise sondiert man ja nach einer Wahl mit einem potenziellen Partner, ob man sich denn vorstellt, mit dem eine Koalition einzugehen. Das dauert in der Regel einen Tag. Mit CDU und FDP hat es circa eine Stunde gedauert, in einem Düsseldorfer Hotel. Und dann war man klar: Ja, wir wollen. Hier ist der Weg jetzt ein historisch auch völlig anderer. Substanziell wird in zwölf Arbeitsgruppen gearbeitet mit vier Parteien - CDU, CSU, FDP und Grünen -, die alle im Wahlkampf diese Koalition jedenfalls nicht wollten, aber die der Wähler jetzt dazu gebracht hat, miteinander zu reden, zu sprechen und je nachdem eine Regierung zu bilden. Und das Ganze ist noch mal rückgekoppelt an die Basis. Deshalb haben wir eine lange, lange Sondierungsphase und wahrscheinlich eine kürzere Koalitionsverhandlungsphase. Und das ist unüblich.
    Küpper: Das heißt, Sie können den Bürgerinnen und Bürgern Hoffnung machen, dass jetzt sozusagen das alles ausverhandelt wird, und dass am Ende sozusagen es relativ schnell geht, sprich: Vor Weihnachten kann das Ding gut durch sein?
    Laschet: Wenn das alles glatt läuft, wenn die Parteitage, die Mitgliederbefragungen alle ja sagen, wenn die Sondierungsergebnisse wirklich in der nächsten Woche dann zu einem Abschluss gebracht werden, dann kann man mit gutem Willen bis Weihnachten fertig sein.
    "Wir wollen vor allem gute Politik machen"
    Küpper: Über Berlin, über diese Sondierungen oder Koalitionsverhandlungen, wie man es auch immer nennen mag, wollen wir gleich noch sprechen. Bleiben wir noch mal kurz hier in Nordrhein-Westfalen. Wir treffen uns hier im Landeshaus, direkt am Rhein gelegen. Hier sind Sie gerade erst eingezogen mit der Staatskanzlei. Jahrzehntelang saßen die Ministerpräsidenten auch hier, aber bis vor Kurzem saß die Ministerpräsidentin, die letzte zumindest, in einem gläsernen Hochhaus über Düsseldorf. Und Sie haben immer salopp gesagt, von da verliert man so ein bisschen den Kontakt auch zum Land. Warum ist es gerade wichtig, hier sozusagen wieder auch auf Augenhöhe mit den Bürgern zu agieren, gerade in diesen Zeiten?
    Laschet: Also, ich glaube, dass der Umzug damals, 1999, in ein gläsernes Bürohaus, wo das Land die Etagen vier bis zwölf anmietet, damals modern erscheinen sollte. Ich glaube, heute ist Bürgernähe, ist auch ein historisches Gebäude so etwas, was Heimatgefühl und Tradition und Geschichte mitvermittelt ...
    Küpper: Also, all das, was jetzt en vogue ist.
    Laschet: … eher gefragt, ja, en vogue, kann man sagen. Und deshalb habe ich entschieden, die Landesregierung geht in dieses Gebäude zurück. Man darf das nicht überhöhen. Man kann auch in einem alten Gebäude die falsche Politik machen und in einem neuen Gebäude eine richtige Politik. Wir wollen vor allem gute Politik machen. Aber der Zustand, dass wir dort zur Miete wohnen und man mit der Rolltreppe hineinfährt, der ist jetzt beendet.
    "Möglichst viel mit denen sprechen, die Protest artikulieren"
    Küpper: Sie haben es gesagt, Sie wollen gute Politik machen. Heißt gute Politik heutzutage auch mehr zuhören, auch angesichts der Ereignisse, die wir jetzt hatten, die auf der weltpolitischen Bühne - Brexit, Trump -, aber auch in Deutschland. Wir hatten in diesem Jahr Wahlen und letztendlich wohl eine Konstante war jedes Mal der Einzug der AfD am Ende in das jeweilige Parlament.
    Laschet: Ja, das ist ja das Erstaunliche, dass es zu Protestparteien kommt, in denen es dem Land, vergleichbar mit anderen europäischen Ländern, relativ gut geht. Hohe Beschäftigung, hohes Wirtschaftswachstum.
    Küpper: Also, hat das andere Gründe?
    Laschet: So ist es. Es muss - in früheren Zeiten wurde man abgestraft bei Wahlen, wenn die Arbeitslosigkeit hoch war, oder wenn die Wirtschaft nicht lief. Die Wirtschaft läuft, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, der Wohlstand steigt für alle - nicht nur für die Oberen, sondern für viele -, und trotzdem gibt es eine Unzufriedenheit. Und das heißt, man muss politische Entscheidungen fällen, die für die nächsten Jahre richtig sind, Digitalisierung, Bildung, vieles, was oft für viele Leute theoretisch wirkt, aber für den Einzelnen viel bedeutet. Und man muss gleichzeitig möglichst viel mit denen sprechen, die diesen Protest artikulieren. Und das ist natürlich gar nicht so einfach zu identifizieren: Was ist es denn eigentlich? Es ist sicher auch das Flüchtlingsthema, aber es ist längst nicht nur das Flüchtlingsthema. Und es ist in den deutschen Ländern auch sehr unterschiedlich. In Sachsen …
    Küpper: Was ist es hier in Nordrhein-Westfalen?
    Laschet: Ja, hier - in Sachsen ist es sicher auch zu Lasten der CDU stark gegangen, auch in ländlichen Räumen.
    Küpper: Und was ist es da? Also, das ist ja dann das Ergebnis.
    Laschet: Ja, da ist es vielleicht der Frust, auch das Gefühl, wenn ich jetzt mal eben ostdeutsche Länder versuche zu interpretieren als Westdeutscher, dass man doch 27 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch abgehängt ist, immer noch auch in der Anerkennung der eigenen Lebensleistung nicht so gewürdigt wird, und dann viele Probleme, die ohnehin bestehen. Das Migrationsthema kann es nicht alleine sein, weil die Zahl derer, die dort sind als Migranten oder als Muslime viel, viel geringer ist als bei uns und trotzdem der Protest so groß ist. In Westdeutschland, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, ist in den ländlichen, katholisch geprägten, konservativen Gegenden der Wert der AfD fast durchgängig unter 5 Prozent, der niedrigste Wert in der Stadt Münster, in ganz Deutschland. Und der höchste Wert in Gelsenkirchen - 17 Prozent, in prekären Vierteln des Ruhrgebiets, wo Strukturwandel, Verlust von Arbeitsplätzen, mangelnde Bildungschancen, zum Teil No-Go-Areas, Problemen mit Einwanderung aus Bulgarien und Rumänien - gar nicht so sehr Flüchtlinge -, das ist das, was da scheinbar viele aufbringt. Und das sind Wähler, die früher links gewählt haben und jetzt nach ganz rechts gehen. Und das macht es so kompliziert, die wieder zu gewinnen, aber trotzdem haben wir uns das vorgenommen.
    Küpper: Oder, die vorher gar nicht gewählt haben.
    Laschet: Oder das.
    "Nach Neuwahlen wird es nicht viel anders aussehen"
    Küpper: Es wird ja jetzt durchaus auch das politische System, zumindest ein Stück weit infrage gestellt. Ist das vor dem Hintergrund, wenn wir jetzt gerade auch noch mal nach Berlin schauen - wäre es überhaupt vermittelbar, Neuwahlen auf Bundesebene, wenn das jetzt, Sondieren, Koalieren sozusagen, nicht klappt?
    Laschet: Ja, beides ist schwierig. Man könnte sagen: Sind Neuwahlen vermittelbar? Man kann aber auch sagen: Ist nicht eine solche Koalition, wo jeder so viele Kompromisse machen muss, eigentlich vermittelbar?
    Küpper: Was meinen Sie?
    Laschet: Aber der Wähler hat entschieden. Das Wahlergebnis ist jetzt wie es ist. Ich glaube auch, nach Neuwahlen wird es nicht viel anders aussehen.
    Küpper: Aber es gab ja keinen Wähler, der Jamaika gewählt hat.
    Laschet: Nein, aber die Wähler haben sechs Parteien beziehungsweise sieben in den Bundestag entsandt. Und jeder Wähler wusste, es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder die Große Koalition wird fortgesetzt oder es gibt ein Bündnis zwischen CDU und FDP oder es gibt ein Linksbündnis. Der Wähler hat aber so kompliziert gewählt, dass ein Linksbündnis rechnerisch nicht möglich ist und eine große und eine kleine Partei - wie in Nordrhein-Westfalen beispielsweise - im Bund keine Mehrheit hat. Also sind jetzt Demokraten aufgefordert, eine Regierung zu bilden, auch über eigene Parteischatten zu springen und so viel Identität wie möglich von der eigenen Programmatik zu erhalten, aber trotzdem einen Kompromiss im Sinne des Ganzen zu machen. Und das ist das, vor dem wir jetzt stehen.
    Küpper: Das heißt, Sie halten es aber auch durchaus für erklärbar, wenn es Neuwahlen geben müsste?
    Laschet: Wenn alles scheitert, wenn es nicht geht, wenn es fundamentale Gegensätze gibt, dann darf man die auch nicht verkleistern. Ja, dann muss man sagen, es geht nicht. Aber auch der Weg von den Neuwahlen wird mir aus meiner Sicht viel zu leichtfertig gebraucht, denn verfassungsrechtlich ist das gar nicht so einfach. Die, die da sitzen jetzt zum Verhandeln, können nicht sagen einfach, wir machen Neuwahlen. Der Weg zu Neuwahlen liegt beim Bundespräsidenten. Es muss Vertrauensfragen, Kanzlerwahlen und Ähnliches geben, ehe sie überhaupt zu dem Schritt Neuwahl kommen. Und deshalb, finde ich, sollten wir uns auf das Lösen von Problemen konzentrieren und nicht auf das Ausstiegsszenario Neuwahlen.
    Die Themen der CDU sind breit angelegt
    Küpper: Sie hören das Interview der Woche. Zu Gast ist Armin Laschet, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen von der CDU. Herr Laschet, wir waren gerade beim Thema Neuwahlen, also sozusagen bei gescheiterten Sondierungen. Wenn wir direkt mal bei den Sondierungen so bleiben, man hat den Eindruck, dass - die Grünen stehen sozusagen fürs Klima, also die kleinen Parteien haben ihre Themen. Die FDP für die Wirtschaft, vielleicht auch noch ein Stück weit für die Digitalisierung. Die CSU für die innere Sicherheit. Für was steht die CDU in diesen Jamaika-Sondierungen? Was könnte da am Ende rauskommen? Bisher ist es - salopp gesagt - Macht und Merkel?
    Laschet: Nein, das ist ja Unsinn. Also …
    Küpper: Unsinn ist es nicht.
    Laschet: Doch, es ist totaler Unsinn, weil die CDU natürlich eine Volkspartei ist, die jetzt gerade die Bundeskanzlerin stellt. Aber die Programmatik der CDU ist natürlich eine, die in einer Regierung stattfinden muss. Nur die CDU hat jetzt nicht ein einziges Thema, wenn das nicht kommt, dann sagt die Basis nein.
    Küpper: Aber sie muss ja schon erkennbar sein.
    Laschet: Ja, das ist sie auch. Wenn wir eine vernünftige Wirtschaftspolitik machen, wenn wir Soziale Marktwirtschaft als Prinzip haben, wenn wir Familien stärken, wenn wir auf Bildung setzen, wenn wir auf einen föderalen Staatsaufbau setzen, wenn wir auf einen klaren Kurs in der inneren Sicherheit setzen, der Rechtsbrüche nicht duldet, wenn wir für eine weitergehende europäische Integrationspolitik stehen, ich könnte jetzt endlos fortfahren, dann ist das Programmatik der CDU seit Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Nur es gibt nicht ein einziges Thema, mit dem wir sagen, wenn das nicht kommt, dann gehen wir nicht in die Koalition. Und so ähnlich klingt das manchmal bei Grünen, bei FDP und auch bei der CSU, dass es vor allem ein einziger Themenkomplex ist, für den man ein Ergebnis braucht. Das ist in der CDU in der Tat breiter angelegt.
    "Dass NRW ohne Schulden auskommt, ist ein wichtiger Punkt"
    Küpper: Ist es vielleicht auch solide Haushaltsführung? Sie haben jetzt hier in Nordrhein-Westfalen in der vergangenen Woche Ihren Haushalt eingebracht. Eine "Schwarze Null", erstmals sozusagen seit Jahrzehnten in der Planung. Eine "Schwarze Null", das ist durchaus historisch zu sehen, vor allem, weil Nordrhein-Westfalen ja traditionell eigentlich eher für was anderes steht und immer noch das am höchsten verschuldete Bundesland der Republik ist. Wie wichtig ist das, auch dann vielleicht mahnend den Finger in Berlin zu heben, wenn es da darum geht, Wahlversprechen einzulösen?
    Laschet: Ja, das ist ein sehr wichtiges Thema. Es ist übrigens auch ein Thema der Nachhaltigkeit. Lässt diese Generation heute den kommenden Generationen auch noch all die Schulden? Die werden es ohnehin schwer haben in der älter werdenden Gesellschaft. Aber dass dann die Jungen in 20, 30 Jahren auch noch unsere Schulden bezahlen, das war immer ein moralisches Prinzip. Ich erinnere mich an meine ersten Wahlkämpfe in der Jungen Union Anfang der 80er-Jahre, wo schon das Thema‚ der Staat soll mit dem Geld auskommen, was er einnimmt, ein großes Thema war. Und dass nun erstmals gelungen ist, dass Nordrhein-Westfalen seit 1973 ohne neue Schulden auskommt, ist ein wichtiger Punkt. Und deshalb ist mein Appell an die Bundespolitik: Das muss dann auch in Berlin gelten, wenn selbst Nordrhein-Westfalen es schafft, kann Berlin keine Koalition machen, in der es neue Schulden gibt. Und da ist auch schon ein großer Konsens zwischen CDU, FDP und Grünen.
    Küpper: Sie haben gerade das Wort "Nachhaltigkeit" benutzt. Das verwenden wir momentan vor allem Dingen in der Klimadiskussion, nicht so sehr bei der Finanzdiskussion.
    Laschet: Ja.
    Küpper: Stört Sie das?
    Laschet: Nein, aber da braucht man es genauso. Und in der Tat sind die Steuereinnahmen aufgrund einer guten Wirtschaftsentwicklung, die man übrigens auch nur erreicht hat, weil man nicht immer weiter Steuern erhöht hat, sondern Anreize gegeben hat, auch zu investieren, deshalb ist die Wirtschaftslage derzeit gut. Je mehr Menschen Beschäftigung haben, desto weniger sind soziale Kassen belastet und desto mehr zahlen sie ein in den gemeinsamen Steuertopf. Also, es hängt vieles miteinander zusammen. Dann hilft uns derzeit natürlich die günstige Zinslage. Auch das muss man sagen. Aber auch die wird sich irgendwann ändern. Und darauf muss man vorbereitet sein in dem Moment, wo die Zinsen wieder ansteigen. Und der wird kommen. Dann darf nicht wieder alles wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Und deshalb muss man neben den guten Einnahmen auch darauf achten, dass man da in den Haushalten konsolidiert und Bürokratie abbaut, wo unnötige Kosten entstehen. Und das wollen wir beides machen.
    "Friedrich Merz kann seine Kompetenzen einbringen"
    Küpper: Ihr Haushalt, das war ein Thema in Nordrhein-Westfalen aus der vergangenen Woche. Das andere war die Berufung von Friedrich Merz zum Brexit-Beauftragten der NRW-Landesregierung. Was macht ein Brexit-Beauftragter?
    Laschet: Nordrhein-Westfalen wird in ganz besonderer Weise von den Folgen eines Brexit - erst recht, wenn es ein unkalkulierbarer Brexit wird, was heute noch niemand weiß - betroffen sein. 30.000 Briten leben in Nordrhein-Westfalen. Viele Nordrhein-Westfalen sind zurzeit in Großbritannien. Und viele Unternehmen sind betroffen, weil es einen ganz engen Handel gibt mit Großbritannien, einem unserer größten Handelspartner. Und das Ziel ist, hier die Probleme zu identifizieren, sich zu kümmern, dass man rechtzeitig auch Lösungen hat. Und bei den Unternehmen aus dem Nicht-EU-Ausland, beispielsweise aus Japan, haben mir mehrere geschildert, sie haben einen Sitz in Großbritannien, wollen aber in der Europäischen Union bleiben. Und hier kann ein Brexit-Beauftragter helfen, Nordrhein-Westfalen zu erklären, zu vermitteln. Und Friedrich Merz ist einer, der mit seinem globalen Blick, mit seinen guten Beziehungen auch zu den Vereinigten Staaten als Vorsitzender der Atlantik-Brücke - kann hier helfen, diese Kompetenz einzubringen. Und er macht das ehrenamtlich und darüber freue ich mich.
    Küpper: Es gab auch Kritik an der Personalie. Es gab ja jetzt in den letzten Wochen und Monaten auch Schlagzeilen aus Ihrem Kabinett, dass Ihr Medienminister, ehemaliger, Stephan Holthoff-Pförtner, Miteigentümer einer der größten Verlagshäuser des Landes, sozusagen sich zurückgezogen hat aus dieser Funktion, eben weil es Kritik gab an dieser Verquickung. Jetzt ist es im Fall Friedrich Merz ja ähnlich. Er ist Statthalter von BlackRock, sitzt auch in anderen Aufsichtsräten. Warum ist es klug, wirtschaftliche und politische Interessen in dieser Person dann mitunter zu verquicken?
    Laschet: Ja, wenn einer in vielen Aufsichtsräten sitzt, wenn einer viel Kompetenz in wirtschaftspolitischen Fragen hat, wenn einer international vernetzt ist, ist das genau der Typ, den wir brauchen. So, da brauche ich nicht …
    Küpper: Sie haben keine Sorge vor Interessenskonflikten?
    Laschet: Nein, also das ist etwas albern, bei einem Unternehmen von BlackRock, die weltweit tätig sind, auch ohne, dass jetzt einer Brexit-Beauftragter der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ist, zu glauben, dass das irgendeinen Einfluss A auf Landespolitik und B auf das Unternehmen selbst hat. Nein, ich finde, wir müssen in einem wirklich solch historischen Moment alle nutzen, die irgendeine Verbindung haben, um die für das Land zu nutzen. Und, wenn dann jemand sagt, der wirtschaftlich tätig ist, ich bin ehrenamtlich bereit, mich auch für mein Land mit einzubringen und mit meinen Kontakten zu helfen, da was Gutes zu tun, dann ist das nur wünschenswert. Er wird nicht Teil der Landesregierung. Er kriegt auch kein Büro und er kriegt auch keine Mitarbeiter und er hat auch keinen Einblick in geheime Akten. Er ist schlicht und einfach mit seiner Kompetenz da, Botschafter unseres Landes zu sein.
    "Ich kann nicht nach der einen Energiewende gleich die nächste schnell machen"
    Küpper: Im Interview der Woche im Deutschlandfunk Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen, CDU Ministerpräsident. Herr Laschet, in diesen Tagen findet die Weltklimakonferenz aktuell in Bonn statt, einige Kilometer rheinabwärts von hier. Das ist natürlich ein riesiger Faktor. Sie als Bundesland sind sozusagen Gastgeber. Ist das ein glücklicher Gastgeberort angesichts der skeptischen Haltung hinsichtlich eines Kohleausstiegs von Ihrer Seite?
    Laschet: Ja, aber wenn ich mich richtig erinnere, hat man sich im Pariser Klimaabkommen auf die Reduktion von CO2-Zielen verständigt.
    Küpper: Haben Sie richtig in Erinnerung.
    Laschet: Ja. Ich höre immer nur noch Kohle, Kohle, Kohle. Kohle ist …
    Küpper: Vielleicht, weil das ein wichtiger Faktor in dieser Diskussion ist.
    Laschet: Ja, das ist ein Faktor, aber es ist nicht der einzige Faktor. Und Nordrhein-Westfalen ist ein vorbildliches Land. Wie werden auch hier Projekte zeigen, wo wir an Klimaprojekten arbeiten. Klima ist Verkehr. Klima ist Wohnungsbau. Klima ist Wärmepolitik, ist Schifffahrt auf dem Rhein, wo CO2 ausgestoßen wird, ist Flugverkehr, also ist viel mehr als die Frage des Energie-Mixes. Und das Zweite: Wenn ich jetzt höre, dass Frankreich sagt: Wir erreichen unsere Klimaziele, indem wir unsere maroden Kernkraftwerke weiterlaufen lassen, dann frage ich mich: Ist das eigentlich die richtige Priorität? Bis vor wenigen Jahren ist Deutschland als Hauptziel aus der Kernenergie ausgestiegen. Und dadurch ist natürlich der Kohleanteil gestiegen. Ist ja logisch. Jetzt kann ich aber nicht, nachdem ich die eine Energiewende gemacht habe, gleich die nächste so schnell machen, dass am Ende die industrielle Substanz gefährdet ist. Dann findet Klimawandel auch in der Welt keine Anerkennung, wenn ein Industrieland wie Deutschland daran scheitert. Und deshalb müssen wir zeigen: Wir sind nachhaltig. Wir sind klimaschützend, aber wir sind trotzdem ein erfolgreiches Industrieland. Und dann sagen andere: Wenn Deutschland das schafft, dann schaffen wir es vielleicht auch.
    "Etwas mehr Rationalität täte der Politik gut"
    Küpper: 2020 ist sozusagen das nächste Ziel, dann 2030. Ausstiegsdaten fliegen ja auch gerade so ein bisschen rum, nicht nur in Berlin bei den Sondierungen. Ist es überhaupt sinnvoll aus Ihrer Sicht, mit solchen Ausstiegsdaten zu arbeiten? Sie haben gerade den Atomausstieg angesprochen. Der kam ja dann auch relativ plötzlich und hat eine vollkommen neue Situation hervorgebracht.
    Laschet: Ja, aber das ist der Aberwitz, wie Politik reagiert. Erst wird ein Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen - Rot-Grün. Dann kommt ein Regierungswechsel, da wird die Laufzeit verlängert. Wenige Monate später wird das alles wieder rückgängig gemacht und der Totalausstieg verkündet. Das ist …
    Küpper: Also, weg mit den Ausstiegsdaten?
    Laschet: Ja, das ist keine rationale Politik, sondern man muss sagen: Wo wollen wir denn hin? Wir wollen in das Zeitalter der Erneuerbaren Energien. Dazu brauchen wir mehr Wind und mehr Sonne im System. Dazu müssen wir aber auch Netze bauen, damit, wenn der Strom an der Nordsee produziert wird, er im Stahlwerk in Duisburg ankommt. Also, etwas mehr Rationalität in dem, was wir machen, täte der Politik gut. Der Bundesgesetzgeber kann mit noch so großer Mehrheit keine Naturgesetze außer Kraft setzen. Und Energie braucht nun irgendeine Form von Stoffen, wie denn der Strom dann am Ende an die Industriestandorte kommt. Und da wünsche ich mir etwas mehr Rationalität.
    "Im Ziel sind wir einig, im Weg etwas mehr Maß und Mitte"
    Küpper: Und auch Flexibilität hinsichtlich Ausstiegsdaten? Oder wie könnten solche Fahrpläne letztendlich aus Ihrer Sicht aussehen?
    Laschet: Ja, klar. Ich meine, mich wundern auch manchmal die Grünen. Jede Tonne Braunkohle, die jetzt abgebaggert wird, ist eine "grüne Tonne". Die haben die Grünen nämlich beschlossen. Noch 2016 Garzweiler genehmigt bis 2045. Ich würde nicht mal so weit gehen, ob wir 2045 noch Braunkohle brauchen.
    Küpper: Aber, wenn ich Sie richtig verstanden habe, kann es ja auch sein, dass über 2045 hinaus Braunkohle …
    Laschet: Ja, aber vielleicht sind wir auch schneller. Dann muss aber doch das …
    Küpper: Aber es kann auch sein, dass es langsamer … wenn Sie sagen, Daten sind …
    Laschet: Man muss es rational diskutieren, was dann möglich ist. Wenn wir in der Speichertechnologie, im Netzausbau, in dem Anstieg der regenerativen Energien Tempo aufnehmen, die Technologie erfolgreich ist, kann eine CO2-Reduktion, ein Kohleausstieg auch noch schneller gehen. Wenn die Fragen alle nicht gelöst sind, wenn im Jahre 2040 wir genauso weit sind wie 2017, ja, dann muss man dann trotzdem überlegen: Wo kommt denn unser Strom her? Und die Kernkraft ist 2040 ganz erledigt. Dann gibt es seit 20 Jahren keine Kernkraftwerke mehr. So, und diese vorsichtigere Herangehensweise an immer neue Daten, an immer neue Prozentzahlen würde ich mir wünschen. Im Ziel sind wir einig, im Weg etwas mehr Maß und Mitte.
    "Ich bleibe ein Skeptiker der Maut"
    Küpper: Ich möchte noch kurz auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen. Als Landesregierung haben Sie angekündigt, die Wirtschaft zu entfesseln, bürokratische Hindernisse zu entfernen. Nordrhein-Westfalen ist ja auch Grenzland. Sie selbst kommen ja aus Aachen, also sozusagen aus dem Dreiländereck. Das Thema Maut stört dort viele Menschen. Wenn ich das jetzt richtig sehe, ist das aktuell aber in den Sondierungen, in all diesen Neuausrichtungen, auch von Ihrer Seite aus gar nicht so das Thema.
    Laschet: Ja, von niemandes Seite ist das ein Thema, weil so ein unausgesprochener Konsens ist, dass die Gesetze, die da sind, die eine frühere Regierung beschlossen hat, jetzt in einer solchen Konstellation nicht komplett infrage gestellt werden. Das ist der Grund …
    Küpper: Aus politischer Rücksicht lässt man das dann?
    Laschet: Ja, ich meine, man müsste - da müssten jetzt die Grünen sagen oder die SPD oder auch die CDU: Wir wollen, dass die Maut wieder geändert wird. Und dann sagt die CSU: Aber die ist ja Gesetz. Und damit ist das Thema erledigt. Eine Koalition nimmt sich vor, was machen wir in den nächsten vier Jahren, aber wickelt nicht rück alles ab, was in der Vergangenheit war. Dennoch bleibe ich ein Skeptiker dieser Maut.
    "Ich sehe nicht irgendeinen Zweifel an der Bundesvorsitzenden"
    Küpper: Im Interview der Woche Armin Laschet, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen. Zum Abschluss noch kurz der Blick auf Ihre Partei. Angela Merkel ist ja amtierende geschäftsführende Bundeskanzlerin. Sie wird - sollte alles funktionieren - auch wieder Bundeskanzlerin werden. Wie sehr besorgt Sie die Tatsache, dass es auch in Ihrer eigenen Partei, in der CDU, ja dann doch einen, ja, sichtbaren Vertrauensabriss hinsichtlich der Vorsitzenden, hinsichtlich Angela Merkel gibt, der wohl auch nicht mehr zu kitten sein wird. Wenn ich jetzt mal …
    Laschet: Woran machen Sie das fest?
    Küpper: … den Deutschlandtag der Jungen Union nehme, wo es da auch offene Rücktrittsforderungen gab, dann hat man schon den Eindruck, dass …
    Laschet: Na ja, also, ich habe den Deutsch- …
    Küpper: Die kamen aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen.
    Laschet: Mal ganz langsam. Ich habe den Deutschlandtag erlebt, habe die Rede der Bundeskanzlerin gesehen, habe die Jubel-Arien gesehen, als sie den Saal wieder verlassen hat, und habe gesehen, als ein einzelner Delegierter sie zum Rücktritt aufgefordert hat, wie der Rest des Saales gebuht hat. Also, so ist das sicher nicht.
    Küpper: Also, die Partei steht geschlossen hinter ihrer Vorsitzenden?
    Laschet: Natürlich. Also, ich - was heißt geschlossen? Eine Partei diskutiert immer. Aber sie hat bei allen Wahlen immer große Unterstützung gehabt. Jeder weiß, dass sie auch die ist, die im Moment in diesen Sondierungen am besten alles zusammenhält und das CDU-Profil sichtbar macht. Und insofern sehe ich nicht irgendeinen Zweifel an der Bundesvorsitzenden.
    "Es gibt nicht Gewinner und Verlierer"
    Küpper: Ein bisschen anders sieht das bei Ihrer Schwesterpartei aus. Horst Seehofer muss sich sozusagen an der Heimatbasis offener Rücktrittsforderungen stellen, während er in Berlin verhandelt. Er hat das selber auch beklagt. Wie groß ist eigentlich Ihre Sorge, dass, sollte dieses - Sie haben es selber gesagt - historische, dieses neue Bündnis zustande kommen, dass Horst Seehofer dann vielleicht ab Dezember gar nicht mehr in Amt und Würden in München ist und sich sein Nachfolger/seine Nachfolgerin, wer auch immer, gar nicht mehr so an diesen Verhandlungsstand gebunden fühlt?
    Laschet: Na gut, egal, was da verabredet wird, es gilt für alle. Es sitzt ja auch nicht nur Horst Seehofer am Tisch, sondern die von der CSU-Führung entsandte Verhandlungsdelegation. Und ansonsten …
    Küpper: Dennoch, so ein Machtwechsel hat natürlich auch Wirkung.
    Laschet: Ja, natürlich hat das oder hätte Wirbel. Ich weiß auch nicht, ob es allzu klug ist, einem, der solch schwierige Verhandlungen führt, nun durch solche Resolutionen auf Landestagungen eher in den Rücken zu fallen. Aber das ist eine interne CSU-Frage.
    Küpper: Dennoch kann es ja jetzt so sein, dass eine Regionalpartei und ihre anstehende Landtagswahl am Ende diese Koalitionsverhandlungen, Sondierungen in Berlin ja ein Stück weit dominiert.
    Laschet: Den Eindruck habe ich aber nicht. Es sind starke Forderungen der Grünen da mit auf dem Tisch. Die FDP hat ihre klaren Wünsche und auch wir als CDU bringen uns da ein. Da dominiert keiner und am Ende der Sondierung sollte auch kein Ergebnis stehen, wo einer gewonnen hat. Dann wäre es nämlich schlecht. Eine Koalition ist gut, wenn jeder Partner sagen kann, ich kann gut damit leben. Es gibt nicht Gewinner und Verlierer.
    Küpper: Armin Laschet, vielen Dank für dieses Gespräch.
    Laschet: Bitte schön.