Freitag, 29. März 2024

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NS-Dokumentationszentrum
Kein anklagender Unterton

Lange Zeit hat sich München mit der Aufarbeitung seiner Rolle während der NS-Zeit schwergetan. Nun wird das NS-Dokumentationszentrum am Königsplatz in der Landeshauptstadt eröffnet. Die Ausstellung über München und seine NS-Vergangenheit bietet Einblicke in allgemeine politische Geschehnisse und auch wissenschaftliche präzise Details - ohne einen anklagenden Unterton.

Christian Gampert im Gespräch mit Katja Lückert | 29.04.2015
    Blick auf den ehemaligen Führerbau und den Neubau des NS-Dokumentationszentrums in München.
    Der ehemalige Führerbau und der Neubau des NS-Dokumentationszentrums in München, das am 30. April 2015 eröffnet wird. (picture alliance / dpa - Sven Hoppe)
    Katja Lückert: Ein weißer Würfel steht jetzt dort, wo früher die NSDAP-Parteizentrale war. Mitten im Braunen Viertel von München auf dem Königsplatz. Bereits 1947 wurde abgerissen, was von der Parteizentrale nach den Luftangriffen noch übrig war. Auch die beiden "Ehrentempel", die Adolf Hitler als Grabanlage für 16 NS-Kämpfer errichten ließ, die bei seinem Putschversuch 1923 getötet worden waren, wurden gesprengt. Lange Zeit war das Grundstück eine Brachfläche, der noch bestehende Führerbau neben dem Braunen Haus beherbergte die Hochschule für Musik und Theater.
    Als "Hauptstadt der Verdrängung" hatte der Historiker Winfried Nerdinger einst München bezeichnet, die Stadt hat sich lange Zeit schwergetan mit der Aufarbeitung seiner Rolle während der NS-Zeit. Christian Gampert mit Antworten auf die Frage nach den Namen. Welche Münchner Familien haben Hitler salonfähig gemacht, welche Unternehmen haben ihn maßgeblich unterstützt?
    Christian Gampert: Das ist natürlich das prekärste Kapitel dieser Ausstellung, dass hier tatsächlich Täternamen genannt werden. Ja, Helene und Ernst Hanfstaengl zum Beispiel, die einen Münchner Kunstverlag betrieben haben, Hitler Zugang zur Münchner Gesellschaft verschafft haben. Sie haben ihn eingeladen, sie haben ihn finanziert, den "Völkischen Beobachter". Der Wirtschaftslobbyist Hermann Aust hat des gleichen getan. Edwin und Helene Bechstein, die ja eher als Klavierfabrikanten bekannt sind und eigentlich in Berlin wohnten, stiegen immer im Hotel Vier Jahreszeiten ab und empfingen Hitler. Elsa Bruckmann, die Frau eines Verlegers, unterstützte ihn und wurde dann auch Parteigenossin. Also es gab auch eine ganze Reihe völkisch gesinnter Professoren, den Theologen Bernhard Stempfle zum Beispiel, es gab den Kardinal Faulhaber, der die NS-Herrschaft später als Gottgewollt bezeichnete. Das ganze Münchner Bürgertum hatte mehr Angst vor dem Kommunismus als vor den Rechtsradikalen.
    Nach der Münchner Räterepublik kam ja nun als Reaktion sozusagen der reaktionäre Gegenschlag und da zog allerlei Gesindel in die Stadt, und mit diesen rechtsradikalen antisemitischen Massen solidarisierte sich das Bürgertum und unterstützte sie und machte Hitler hoffähig. Diese Leute sind jetzt namhaft gemacht, auch in dieser Ausstellung, und das ist natürlich gut, dass es überhaupt passiert.
    Bau des Zentrums als Störfaktor
    Lückert: Wie ist nun diese Ausstellung inszeniert in dem Kubus des Berliner Architektenbüro Georg Scheel Wetzel, das ja bewusst ein Störfaktor sein soll? Man geht von oben nach unten durch die Ausstellung?
    Gampert: Ja. Man fährt mit dem Fahrstuhl nach oben und es beginnt mit dem Ersten Weltkrieg und der Münchner Räterepublik. Man sieht dann, wie die Rechtsradikalen die Stadt sich quasi untertan machen und das Stadtleben zu beherrschen beginnen. Die NSDAP hatte ja quasi ihre Parteizentrale in München und auch ein ganzes Parteiviertel um diese Parteizentrale herumgebaut. 6.000 Menschen arbeiteten dort. Dann geht man immer weiter nach unten in die Nazi-Zeit, in die Hölle, und inszeniert ist das so, dass Sie Wände haben, die das allgemeine politische Geschehen zeigen in Bildern, Fotografien, auch ausgewählten Texten, und dahinter stehen dann Vitrinen, Leuchtkästen, wo man dann die Details nachschauen kann, wo man einzelne Personen in ihren Biografien nachverfolgen kann, Täter, aber auch Opfer, die auch genannt werden natürlich, und bestimmte Themen dann vertiefen kann.
    Lückert: Die Pläne für die Stadt, den Umbau Münchens waren gigantisch. Sind sie dort auch zu sehen?
    Gampert: Na ja. Wir schauen aus diesem Museum, aus diesem Würfel hinaus auf den Königsplatz, der von Klenze für Ludwig I umgebaut wurde zu einem hellenischen Paradeplatz quasi mit griechischen Tempeln und Propyläen. Das haben die Nazis natürlich als Aufmarschplatz genutzt dann und haben ihre klassizistischen Reihenbauten daneben gebaut, wo dann auch Verhandlungen mit Chamberlain und Daladier stattfanden, wo das Münchner Abkommen geschlossen wurde und so weiter. Man muss sich vorstellen, dass um die Parteizentrale herum es eine ganze kleine Stadt, Verwaltungsstadt gab, von wo aus die Nazis ihre Partei reichsweit organisiert haben, und das ist aus diesem Museum heraus noch zu sehen.
    Gelungene Ausstellung
    Lückert: Was ist denn Ihr Fazit, Christian Gampert? Aufklärung, Lernort, ist das gelungen?
    Gampert: Ja, absolut! Die Ausstellung ist didaktisch wunderbar. Man bekommt sowohl das allgemeine politische Geschehen als auch die Details wissenschaftlich präzise, zurückhaltend aufbereitet, ohne diesen anklägerischen Unterton, ohne Moral. Das ist genau richtig. Es kommt für meine Begriffe 20, 30 Jahre zu spät. Das hätte eigentlich in den 60er- oder 70er-Jahren passieren müssen, aber offenbar war damals die Zeit nicht reif dafür. Seien wir froh, dass es heute dieses Museum gibt, aber ich glaube, es ist auch ein bisschen spät.
    Lückert: Christian Gampert hat sich das neue NS-Dokumentationszentrum in München angesehen. Morgen soll es mit einem Festakt eröffnet werden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.