NS-Olympiade in ästhetisch-heroisierenden Bildern

Von Beatrix Novy · 20.04.2013
Leute, die behaupteten, auf die Nazis nur hereingefallen zu sein, gab es viele. Leni Riefenstahl war eine von ihnen. Aber sie war ein besonderer Fall: Ihre Filme waren fraglos künstlerisch bedeutend, warfen aber auch die Frage nach einer faschistischen Ästhetik auf - und was die Regisseurin dazu beigetragen hatte.
"Propaganda? Nicht in diesem Film!"

So energisch wie der Rezensent der "Hollywood Citizen News" verteidigten nur sehr wenige Amerikaner Leni Riefenstahl, als im Herbst 1938 ihre Olympia-Filme "Fest der Völker" und "Fest der Schönheit" in den USA angekommen waren - nach einer bis dahin höchst erfolgreichen Welttournee. Aber mittlerweile hatte in Deutschland die Reichspogromnacht unmissverständlich den Charakter des Regimes demonstriert, dem Riefenstahl ihr Werk zu Füßen gelegt hatte: Am 20. April 1938, Hitlers Geburtstag, war der Olympia-Zweiteiler im Berliner Ufa-Palast uraufgeführt worden.

Bilder von Tempeln, Göttern und Natur, rauchumwölkt, gleiten stumm ineinander - sieben Minuten lang wird am Anfang des ersten Films "Fest der Völker" die verschollene Antike aufgerufen, bevor die Skulptur des altgriechischen Diskuswerfers vom modernen Sportler in derselben Haltung überblendet wird und das Oval des Berliner Olympia-Stadions erscheint.

Leni Riefenstahl beließ es nicht beim Abfilmen der Wettkämpfe. Sie inszenierte neu, was sie von einer Heerschar fähiger Kameraleute hatte drehen lassen, bewaffnet mit den modernsten Gerätschaften. Kameras wurden auf Schienen gesetzt, unter Sportgeräten installiert, unterwassertauglich gemacht, mit Fesselballons in die Höhe geschickt. Nie zuvor war das Kameraauge so dicht an den Sportlern gewesen, hatte ihre perfekt funktionierenden Körper aus so vielen Perspektiven gezeigt. Das zum Gesamtbild zu montieren, kostete Leni Riefenstahl fast zwei Jahre.

"Sie wundern sich wahrscheinlich. Alle Leute verstehen nicht, warum der Olympia-Film so lange gedauert hat. Wir haben 100.000 Meter Film gehabt. Das war eine wahnsinnige Arbeit, daraus einen Film zu machen. Nur das Material anschauen, dafür brauchte ich zehn Wochen. Und da habe ich jeden Tag zehn Stunden am Schneidetisch gesessen. Gibt Ihnen das eine Vorstellung?"

Leni Riefenstahl schuf aus den Bildern menschlicher Anstrengungen eine Choreografie übermenschlicher Posen. Ihre raffinierten Einstellungen sollten Generationen von Regisseuren und Werbeleuten beeinflussen. Stabhochspringer fliegen dem nächtlichen Himmel entgegen, schwingende Mädchenarme weiten sich zum wogenden Massenornament, Siegerflaggen fliegen an ihren Masten symmetrisch hoch ins Sommerblau. Oft ist minutenlang nur die Reporterstimme zu hören, ehe die Musik von Herbert Windt ihren drängenden Rhythmus dazu gibt.

Bei ihrem Parteitagsfilm "Triumph des Willens" hatte Leni Riefenstahl die in ihren Augen reichlich unzulängliche Performance von Hitler und Konsorten am Schneidetisch mühsam optimieren müssen. Die Olympiade lieferte ihr eindeutig bessere Hauptdarsteller. Und doch ähnelten sich die Filme in der Machart frappierend. Beide beziehen ihre Wirkung aus dem vom Faschismus instrumentalisierten heroischen Stil – einer expressiven Ästhetik von Masse und Übermensch, die Leni Riefenstahl nicht erfunden, aber genial ins Medium des Films übertragen hatte.

Als 1988 eine mit dem IOC herausgegebene hymnische Buchdokumentation über Leni Riefenstahls Olympiafilme erschien, wollten viele schon nichts mehr von ihrer Nähe zum Naziregime hören und übernahmen willig ihr Rechtfertigungsmuster von der Naivität der Künstlerin, die nur im Dienst des inneren Auftrags lebt – woran sie wohl selbst glaubte.

Und wenn Leni Riefenstahl in späten Jahren ungebrochen verzückt ihre filmischen Innovationen erläuterte - "das ist doch interessant", rief sie immer –, dann sprach aus ihr der technokratische Enthusiasmus vieler ihrer Zeitgenossen. Sie glaubte, jenseits von Politik für den Fortschritt zu arbeiten und begriff nicht, dass sie es für die Nazis tat.

Aber auch andere hatten zunächst nichts gemerkt. Der französische "Figaro" beschrieb am 6. Juli 1938 enthusiastisch das bombastische Filmende in "Fest der Völker":

"Und dann die olympische Flamme, die mit den Nationalhymnen in eine Atmosphäre steigt, wie sie günstiger für den Frieden in der Welt niemals geschaffen wurde."