Freitag, 29. März 2024

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NS-Raubkunst
Ein Meilenstein für die Suche

In der Nazizeit wurden tausende Kunstbesitzer enteignet. Ihre Erben suchen noch heute nach der geraubten Kunst. Dabei soll jetzt ein Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste helfen. Darauf haben sich Bund, Länder und Kommunen geeinigt. Angehörige und Erben der Opfer sollen sich künftig nicht mehr als Bittsteller wahrnehmen.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Dina Netz | 10.10.2014
    Der Ausschnitt einer historischen Museums-Akte zeigt den handschriftlichen Eintrag "Zugang 1943"
    Das neue Zentrum soll sich um die Herkunft geraubter Kunstwerke kümmern. Hier ein Blick in eine Akte des Museums Wiesbaden, in der die Ein- und Ausgänge zwischen 1933 und 1945 aufgezeichnet sind. (dpa / Fredrik Von Erichsen)
    Dina Netz: Im Dezember 1998 kamen 44 Staaten und zwölf nichtstaatliche Organisationen zur "Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust" zusammen. Die nichtstaatlichen Organisationen waren vor allem jüdische Opferverbände, denn nach 30 Jahren war der Diebstahl von NS-Raubkunst verjährt. Aber nach dem Fall der Berliner Mauer wurden plötzlich viele Archive überhaupt zum ersten Mal zugänglich, und so sollte die 1998 verabschiedete "Washingtoner Erklärung" mit elf Leitsätzen den Opfern doch noch zu ihrem Recht verhelfen. Die Unterzeichner verpflichteten sich, geraubte Kunstwerke aus der NS-Zeit und deren Erben und Lösungen für die Entschädigung zu finden.
    Stefan Koldehoff, Deutschland gehört auch zu den Unterzeichnern dieser Washingtoner Erklärung. Trotzdem hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste angeregt, auf das sich Bund, Länder und Kommunen jetzt geeinigt haben. Warum hat denn die Washingtoner Erklärung nicht ausgereicht?
    Stefan Koldehoff: ...weil es viele Gründe gab, sie nicht umzusetzen, und diese Gründe lauteten: Kein Geld, kein Personal, keine Zeit. So haben lange Zeit viele Museen - man darf da nicht verallgemeinern, es gibt auch Häuser, die ganz wunderbare Arbeit seit '98, '99 geleistet haben - aber sehr viele Museen haben so argumentiert: Wir haben kein Geld, wir können noch nicht mal mehr uns die Ausstellungen leisten, die wir machen, geschweige denn neue Werke ankaufen. Da haben wir für die Provenienz, also für die Herkunftsforschung, überhaupt kein Geld zur Verfügung.
    Dann ist der Bund 2008 hingegangen und hat gesagt: Gut, dann stellen wir euch Geld zur Verfügung. Dann gibt es jetzt eine Stelle in Berlin, da könnt ihr Projekte einreichen und Gelder für die Forschung bekommen. Das hat dann ein bisschen was verbessert, aber Monika Grütters musste vor einigen Wochen noch in der Generaldebatte des Deutschen Bundestages sagen, gerade einmal knapp ein Drittel der deutschen Museen sieht überhaupt Provenienzforschung als Thema an und macht das, und nicht einmal zehn Prozent aller Museen steht auch Geld dafür zur Verfügung, und da wollte sie jetzt was dran ändern.
    Netz: Nun ist das Thema Provenienzforschung und Raubkunst ja kein ganz neues. Warum geht Monika Grütters, die Kulturstaatsministerin, damit genau jetzt so nach vorne? Hat das auch mit dem Schwabinger Kunstfund und der Sammlung Gurlitt zu tun?
    Fall Gurlitt als Gelegenheit
    Koldehoff: Ja. Ich glaube, das ist der eine wesentliche Punkt. Der andere ist, dass ihr da als Kunsthistorikerin und als Frau, die lange im Max-Liebermann-Haus am Brandenburger Tor gearbeitet und dort mit solchen Themen in Berührung gekommen ist, sicherlich auch ein Anliegen ist. Aber natürlich ist sie seit langem Politikerin und hat gemerkt, dass dieser sehr öffentlichkeitswirksame Fall Gurlitt natürlich ein Fenster öffnet und ein Fenster öffnet insofern, als dass nicht der Bund allein da tätig werden kann und muss, sondern viele der betroffenen Museen von Kommunen oder von Ländern geführt und getragen werden, und man deswegen alle Länderkulturminister oder Kultusminister - mal heißen sie so, mal heißen sie so - mit an den Tisch bekommen muss. Das ist ihr gelungen in erstaunlich kurzer Zeit. Monika Grütters ist erst seit Anfang des Jahres Kulturstaatsministerin. Nun steht diese Stiftung kurz vor der Gründung. Da hat sie sicherlich, wie es immer so schön kitschig heißt, die Zeichen der Zeit erkannt und genutzt.
    Netz: Sie sagen schon, das ist erstaunlich, dass Bund, Länder und Kommunen sich so schnell geeinigt haben - hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass ein wesentlicher Teil des Geldes vom Bund kommt. Wie genau soll denn dieses Zentrum, das in Magdeburg sitzen soll, nun arbeiten?
    Koldehoff: Es gibt schon eine Reihe von Institutionen, die seit längerer Zeit sich mit dem Thema befassen. Es gibt eine Koordinierungsstelle in Magdeburg, an der es allerdings immer wieder Kritik gibt, weil sie inhaltlich offenbar nicht so sorgfältig arbeitet, wie man das machen könnte. Es gibt diese Arbeitsstelle für Provenienzforschung, von der ich erzählt habe. Es gibt diese Task Force, die sich nur um die Sammlung Gurlitt kümmern soll, an der es aber auch massive Kritik gibt, eine Forschungsstelle Entartete Kunst und und und. Die sollen nun alle unter einem Dach zusammengefasst werden, um Synergieeffekte, wie es immer so schön heißt, zu schaffen, also dafür zu sorgen, dass nicht alle dieselben Auktionskataloge suchen, nicht alle über dieselben Sammler, die im Nationalsozialismus ums Leben gekommen sind, forschen, sondern man Informationen austauscht und sie aber vor allem auch den eigentlich Betroffenen transparent zugänglich macht, nämlich den Vertretern und den Erben der Opfer.
    Meilenstein für die Suche nach NS-Raubkunst
    Die kritisieren bis heute, dass sie suchen müssen, dass sie zum Teil - auch da darf man nicht verallgemeinern - von Museen wie Bittsteller abgefertigt werden, obwohl doch '98 in Washington versprochen worden war: Wir suchen, wir veröffentlichen, wir arbeiten mit euch zusammen. Was stattdessen vielerorts geschehen ist, ist: Man hat Forschungsstellen gegründet, Dissertationsthemen gefunden, Lehrstühle sind gegründet worden und und und. Das Ganze ist akademisiert worden. Und das ist das zweite große Ziel dieses Zentrums: Es soll wieder näher an die eigentliche Aufgabe heranführen, nämlich an die Arbeit für die NS-Opfer.
    Netz: Jetzt bezeichnet Monika Grütters selbst dieses neue Zentrum Kulturgutverluste als einen "Meilenstein für die Suche nach NS-Raubkunst". Gehen Sie da mit? Nennen Sie es auch so?
    Koldehoff: Politisch sicherlich. Wann haben wir es zum letzten Mal erlebt, dass 16 Länder und der Bund in Kulturdingen an einem Strang ziehen. Inhaltlich bin ich noch ein bisschen skeptisch, denn für das, was in den letzten Jahren alles nicht gut gelaufen ist, sind zum Teil die Institutionen zuständig, die jetzt in dieses Zentrum rein sollen. Da ist mit Sicherheit auch nötig ein Wechsel in den Prioritäten, weg von der Akademisierung, hin zur Arbeit für die Opfer, und da muss man abwarten, ob das gelingt.
    Netz: Stefan Koldehoff über das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste, dessen Gründung heute als letzte Instanz auch die Kultusministerkonferenz zugestimmt hat.