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NS-Raubkunst in Heimatmuseen
Den Alltagsdingen auf der Spur

Es gibt viele Dinge, auch Alltagsgegenstände, bei denen nicht geklärt ist, ob sie während der NS-Zeit unrechtmäßig erworben wurden. Das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste finanziert einen "Erst-Check", um gerade in kleineren Museen nach NS-Raubkunst zu suchen. Ein Besuch bei einem Provenienzforscher in Zeitz in Sachsen-Anhalt.

Von Christoph Richter | 12.01.2017
    Der Ausschnitt einer historischen Museums-Akte zeigt den handschriftlichen Eintrag "Zugang 1943"
    Blick in die Eingangsakte eines Museums: Mit einem Erstcheck spüren Provenienzforscher auch bei Alltagsgegenständen Raubkunst auf. (dpa / Fredrik Von Erichsen)
    "Da schauen Sie mal: ein Ernst Fischer aus Freiburg aus Breisgau. Da wissen sie nicht - bei dem Museumsgeschenk, wie man sehen kann -, wer verbirgt sich hinter Ernst Fischer?"
    Der studierte Germanist Mathias Deinert ist Provenienzforscher. Ein jungenhafter Typ, Ende 30. Wie ein Detektiv blättert er in vergilbten dünnen Akten, den Museumseingangsbüchern, um nach NS-Raubkunst zu suchen.
    "Finde jetzt den Namen Fischer nicht verdächtig. Wir befinden uns hier aber im Jahr 1938. Und es kann sich herausstellen, bei einer Recherche, das sich hinter Ernst Fischer jemand verbirgt, der auswandern musste."
    Und vielleicht gezwungen wurde, seinen Besitz dem Museum zu überlassen. Derzeit sitzt der Potsdamer Provenienzforscher Mathias Deinert im Barockschloss Moritzburg Zeitz. Eine herrschaftliche Trutzburg, einst Residenz der Herzöge von Sachsen-Zeitz, im südlichen Sachsen-Anhalt. Berühmt ist Zeitz für Europas größte Kinderwagensammlung. Direkt daneben befindet sich das Zeitzer Heimatmuseum mit einer umfangreichen Möbel- und Gemäldesammlung.
    Für die Besucher ist aber nur ein Bruchteil zu sehen, denn in den Depots lagern noch über 300.000 weitere Exponate. Bei vielen Stücken weiß man überhaupt nicht, auf welchem Weg sie ins Museum gelangt sind, ob da vielleicht auch NS-Raubkunst drunter ist. Weshalb Provenienzforscher Deinert im Rahmen eines sogenannten Erstchecks recherchiert – das so etwas wie eine erste Provenienz-Vorprüfung ist –, ob Teile des Museumsbestands in der Nazizeit den eigentlichen Besitzern unrechtmäßig entzogen wurde.
    "Ich habe mir mal die kleine Mühe gemacht, um einfach mal durchzuzählen, wie sind den die Museumseingänge zahlenmäßig gewesen, ins Zeitzer Museum. Und da sehen sie relativ kontinuierliche Eingänge, die aber auf einmal 1942 nach oben schießen, und 1944. Da wäre auch mal zu prüfen, was das für Dinge sind, die damals ins Museum kommen."
    Kleine Dinge stehen im Vordergrund
    Bei der Suche nach NS-Raubkunst geht es in den kleinen Heimat- und Regionalmuseen nie um die großen Sachen, wie einen Rubens oder antike Plastiken, sondern man konzentriert sich auf die heimatkundlichen – weniger spektakulären - Alltagssammlungen. Aber auch hier sind die Herkunfts- und Eigentumsverhältnisse der nach 1933 eingelieferten Ausstellungsstücke weitgehend ungeklärt. Weshalb es für die Zeitzer Museumsdirektorin Kristin Otto ein moralisches Anliegen ist, nach Objekten zu suchen, auf denen eine dunkle Vergangenheit lastet.
    "Es gab eine jüdische Bevölkerung hier vor dem Zweiten Weltkrieg. Wir haben Nachweise, Forschungen dazu, wer gehörte alles der jüdischen Gemeinde an. Wenn diese Namen in den Museumsbüchern dann auftauchen, dann gibt es Anhaltspunkte, wo man weiter in die Tiefe gehen kann."
    Provenienzforscher Deinert muss auch in die Stadtarchive gehen, um in der Lokalpresse mehr über die Ankaufspolitik der Museen während der NS-Zeit zu erfahren, wenn beispielsweise von Schenkungen oder über Judenauktionen berichtet wird, wo der Besitz vertriebener oder deportierter Juden versteigert wurde. Für Museen war das damals eine Art Schnäppchenjagd, erzählt Provenienzforscher Deinert.
    "Es geht darum, im Zuge einer ideellen Wiedergutmachung wenigstens doch die historischen Vorkommnisse nachzuzeichnen und gerade in einem Stadtmuseum zu erzählen. Und der Bevölkerung zu vermitteln, dass sehe ich doch als sehr wichtig an. Fünf Regionalmuseen in Sachsen-Anhalt lassen derzeit ihre Bestände nach NS-Raubkunst durchforsten."
    Darunter ist auch das Altmärkische Museum in Stendal. Hier ist man auf 90 Bücher gestoßen, die mit hebräischen Inschriften versehen sind. Woher die Bücher gekommen sind, wem sie einst gehörten: alles unklar. Experten nennen so etwas einen "unsicheren Sammlungsbestand."
    Erinnerungsstücke von Holocaust-Opfern
    Bei der Suche nach NS-Raubgut erwartet Provenienzforscher Mathias Deinert keine sensationellen Restitutionsfälle wie die Gurlitt-Sammlung. Stattdessen geht es um kleine Objekte, wie das Porzellanservice, die Stadtansicht oder ein unscheinbares Buch. Dinge, die für die Nachfahren mitunter die einzigen Erinnerungsstücke sind, deren Familien in der Shoa getötet wurden.
    Dieses geraubte Bild wurde zurück gegeben.
    Dieses geraubte Bild wurde zurück gegeben. (Fredrik von Erichsen dpa/lhe (zu dpa-lhe 7137)
    Geraubte Museumsstücke, die keinen großen materiellen, aber für die Nachfahren einen unschätzbar hohen emotionalen Wert haben, betont Kunsthistoriker Uwe Hartmann vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg.
    "Und deswegen steht hinter jeder Provenienz, hinter jeder Geschichte eines Objektes, Geschichten von Menschen. Vielfach dramatische Schicksale."
    Und: Hinsichtlich der Provenienzforschung haben gerade die Heimat-und Regionalmuseen, wo sich Museumsleute durchaus auch als Handlanger und Profiteure des NS-Systems betätigt haben, deutlichen Nachholbedarf, so der Magdeburger Provenienz-Experte Uwe Hartmann weiter.
    Nach dem Erstcheck kommt es zur Tiefenbohrung
    Nach einem ersten oberflächlichen Erstcheck kommt es bei begründeten Verdachtsfällen an den Museen zur Tiefenbohrung. Wenn dann auch nicht geklärt werden kann, woher die Museumsstücke stammen, werden die Dinge in die Lost-Art-Datenbank eingestellt, wo Menschen nach ihren in der NS-Zeit entzogenen Raubgut suchen können. Eine zentrale öffentliche Einrichtung des Bundes und der Länder. Deren Bestrebung es ist, am Ende des Tages das Beutegut wieder seinem rechtmäßigen Besitzer zukommen zu lassen.
    Es gehe um Gerechtigkeit, die man den Opfern der Shoa zukommen lassen wolle, wie Provenienz-Experte Uwe Hartmann betont.
    "Da ist noch viel zu tun, dass wollen wir deutlich machen. Und das ist nicht mal so nebenbei in einem kleineren oder größeren Museum zu leisten. Das wird für alle Einrichtungen eine Daueraufgabe sein."
    Und: Das Ganze ist mehr als nur eine symbolische Geste, denn Deutschland ist Mitunterzeichner der sogenannten Washingtoner Erklärung. Damit hat man sich verpflichtet, eine gerechte und faire Lösung für diejenigen zu finden, denen während der Zeit des Nationalsozialismus Kunst entzogen wurde. Das heißt, es muss Opfern beziehungsweise deren Nachfahren und Rechtsnachfolgern ihr Eigentum zurückgegeben werden, auch, wenn es eben kein Canaletto, sondern nur eine profane Stadtansicht ist.
    "Im Grunde erweckt man Museumsobjekte, die bisher tot im Depot lagen, wieder zum Leben."
    Unterstreicht Provenienzforscher Mathias Deinert. Ein Museumsarchäologe, der NS-Opfern Gerechtigkeit zukommen lassen will.
    "Weil es möglicherweise das zuletzt gebliebene Erinnerungsstück an die Großmutter, den Urgroßvater ist, die im Nationalsozialismus ums Leben kamen."