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NS-Symbole auf Glocken
Das Hakenkreuz schwingt mit

Nazi-Symbole auf Kirchenglocken: Nach Funden in Berlin-Spandau und Rudow ließ die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg die dortigen Glocken schweigen. Ruhe kehrt trotzdem nicht ein, denn das NS-Erbe war lange bekannt - und geduldet.

Von Thomas Klatt | 15.08.2018
    Wie hier in der Kirche St. Jakob in Herxheim am Berg (Rheinland-Pfalz) wurde auch in der Philipp-Melanchton-Kapelle in Berlin-Rudow eine Bronzeglocke mit Hakenkreuz entdeckt
    Die Glocke von St. Jakob in Herxheim am Berg. Eine ähnliche Glocke wurde in der Philipp-Melanchton-Kapelle in Berlin-Rudow entdeckt. (picture alliance / Uwe Anspach / dpa)
    In Berlin-Rudow, im sogenannten Glockenblumenviertel zwischen beschaulichen Einfamilienhäusern, steht die kleine Philipp-Melanchton-Kapelle aus den 1930-er Jahren. Einsam hört man nur noch eine Glocke läuten. Bei der anderen kleineren Kapellen-Glocke wurde vor gut einem halben Jahr der Seilzug eingerollt. Pfarrerin Karin Singha-Gnauck kann erklären warum:
    "Sie sehen da zwei Glocken aufgehängt, zwei dicke schwere Glocken. Und auf der einen Glocke ist eben von 1935 die Zahl auch drauf mit einem Reichsadler und einem Emblem, ein nationalsozialistisches Symbol, ein Hakenkreuz. Und als wir das entdeckt haben, haben wir sofort einen GKR-Beschluss herbeigeführt und haben die Glocke stillgelegt."
    Denn nach dem Nazi-Glockenfund im pfälzischen Herxheim und dem anschließenden Presserummel schrieb die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg Schlesische Oberlausitz, kurz EKBO, sämtliche Kirchengemeinden an. Man möge doch bitte mal nachschauen, ob nicht auch unter dem eigenen Kirchendach…? Pfarrerin Karin Singha-Gnauck ist schon seit 2001 in der Gemeinde tätig. Wieso hat sie aber erst jetzt hingeguckt?
    "Es ist nicht ganz einfach, dort die Glocke anzugucken, denn sie hängt ja in einer gewissen Höhe."
    Pädagogische Aufarbeitung statt stillschweigende Beseitigung
    Die Landeskirche gab klare Anweisung: Erst mal stilllegen. Warum erklärt Pfarrerin Marion Gardei, Beauftragte für Erinnerungskultur in der EKBO:
    "Glocken sind ja Teil des liturgischen Geschehens. Sie rufen zum Gottesdienst. Viele Menschen haben auch eine emotionale Beziehung zu ihren Glocken. Und insofern verändert sich diese Beziehung, wenn ich weiß, das sind Glocken, die verfälscht wurden durch Symbole, die nicht für Nächstenliebe stehen, sondern für ein brutales, totalitäres System."
    Zusätzlich hat ein wissenschaftlicher Beirat zur Erinnerungskultur in der Landeskirche getagt. Und der empfiehlt die Glocken nicht einfach zu entsorgen oder sie gar einzuschmelzen, zumal dies aus Denkmalschutzgründen kaum möglich ist. Auch abschleifen oder übermalen sei keine gute Idee. Vielmehr sollten sich die betroffenen Gemeinden ihrer Geschichte stellen.
    Nicht einschmelzen, sondern sich der Geschichte stellen
    Marian Gardei: "Wir wollen sie nicht irgendwie stillschweigend beseitigen, sondern wir wollen sie pädagogisch nutzen. Wir wollen an ihnen zeigen heutigen und zukünftigen Generationen, dass das möglich war und aufklären, dass so was nicht wieder passiert."
    Für Rudow wird mit landeskirchlicher und wissenschaftlicher Unterstützung nun ein Konzept erarbeitet. Pädagogisch-geschichtliche Aufarbeitung, aber mit Fragezeichen. Denn gerade in Rudow würden rechte Parteien größeren Zuspruch erfahren und da wolle man keine schlafenden Hunde wecken, meint Pfarrerin Gardei.
    "Es gibt hier in der Gegend schon viele Menschen, die so ein nationalsozialistisches Gedankengut haben. Und die Angst war da, dann könnte das solche Menschen hierher locken, dass das dann zu einer Art Kultstätte wird. Und das wollen wir natürlich vermeiden."
    Die Glocke ist nicht käuflich
    Auch in Berlin-Spandau in der kleinen Wichern-Fachwerkkirche hing bis letztes Jahr eine Glocke mit Hakenkreuz. Nun lagert sie gut versteckt in der Gemeinde. Ein brisantes Gut, versammeln sich doch jedes Jahr Hunderte Neo-Nazis aus dem In- und Ausland, um mit einem Gedenkmarsch an den Stellvertreter Adolf Hitlers zu erinnern, den bis 1987 in Spandau inhaftierten Rudolf Heß.
    "Da sammelt man sich am Bahnhof und das Ganze versucht dann zu dem Areal zu gehen, wo das Gefängnis stand, in dem der Herr Rudolf Heß einsaß bis zuletzt. Als er tot war, wurde es abgerissen, um es nicht zu einem Wallfahrtsort werden zu lassen", sagt die Vorsitzende des Gemeindekirchenrates Heide Schorlemmer.
    Natürlich beteilige sich auch die Wichern-Gemeinde an den demokratischen Protesten gegen den alljährlichen braunen Aufmarsch. Dass die Neo-Nazis nun in Ermangelung eines historischen Gedenkortes zur kleinen Wichern-Kirche marschieren könnten, um an der originalen Hakenkreuz-Glocke zu feiern, befürchtet sie nicht.
    "Die Glocke haben wir sicher verstaut. Sie ist nicht zugänglich für Menschen, die hier fremd sind. Es gab, nachdem das öffentlich geworden war mit dieser Glocke immer wieder Anfragen von Leuten, die diese Glocke kaufen wollten. Aber wir haben gesagt, dass die nicht käuflich ist."
    Die Hakenkreuz-Glocke soll ins Museum
    Ob es sich bei den Kaufinteressenten um besorgte Bürger, Ewiggestrige oder gar Neonazis handelt, kann die Vorsitzende des Gemeindekirchenrates nicht sagen. Bald aber soll das Metall in ein Museum überführt werden und der Geschichtsaufarbeitung dienen. Wer nun genau die Hakenkreuz-Glocke kaufen will, verrät die Vorsitzende des Gemeindekirchenrates nicht. Bald aber soll das Metall in ein Museum überführt werden und der Geschichtsaufarbeitung dienen. In der Gemeinde hat sich eine Geschichts-Arbeitsgruppe gebildet. Die hat Erstaunliches herausgefunden: Es war nie ein Geheimnis, dass hier eine Kirchenglocke mit Nazisymbol hing. Geschichts-AG-Mitglied Jürgen Elmen:
    "Pfarrer Schroth, 1962, schreibt er an den Gemeindekirchenrat, ihm sei in Zusammenhang mit Arbeiten an der Kirche bekannt geworden, dass dort eine Glocke hängt, die neben dem Spruch von Wichern und dem Christus-Kreuz das Hakenkreuz trägt. Und er ist aufs Tiefste empört, dass heute noch in der Wichernkirche eine Glocke mit dem Symbol der Nazis geläutet wird und zum Gebet ruft und man unter ihrem Klang das Vaterunser betet und er bittet und beantragt mit sofortiger Wirkung, diese Glocke zu entfernen und nicht mehr läuten zu lassen, zu ersetzen, einschmelzen zu lassen und eine neue Glocke gießen zu lassen."
    "Wenn die wunderbar läutet, lassen Sie sie weiterläuten"
    Daraus wurde aber nichts. Nur halbherzig wurde versucht, das eingeritzte Hakenkreuz mit Metallkitt verschwinden zu lassen. Noch in den 1980-er Jahren wird im Buch "Die Glocken von Berlin (West)" die Spandauer Hakenkreuzglocke beschrieben, was aber auch keinen Kirchenverantwortlichen zu stören schien. 2014 dann reagierte auf erneute Anfrage der Gemeinde der Glockensachverständige der Landeskirche wie folgt:
    "Ach die Glocke, wenn die wunderbar läutet, dann lassen Sie sie weiterläuten!"
    Was verbirgt sich noch in Glockentürmen, aber auch in Sakristeien und Gemeindekellern? Immerhin hat die hiesige Landeskirche erst spät damit begonnen, ihren gesamten Bestand zu inventarisieren und längst noch nicht alles ist erfasst. Wenn es auf dem Gebiet der Landeskirche läute, schwinge ziemlich sicher kein Hakenkreuz mehr mit, sagt die zuständige Beauftragte für Erinnerungskultur Marion Gardei:
    "Ich denke schon, dass die Gemeinden ein großes Interesse hatten diese Frage auch aufzudecken. Und es kamen ja auch nicht so viele Kirchen in Frage, die in der Nazizeit gebaut wurden oder aber in der Nazizeit neue Glocken bekommen haben, die dann auch nicht eingeschmolzen wurden, weil viele wurden ja als Kriegsmittel eingeschmolzen. Ich kann nicht hundertprozentig ausschließen, dass es noch irgendwo eine Glocke gibt, aber ich halte es für sehr unwahrscheinlich."