Donnerstag, 28. März 2024

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NSA-Affäre
"Die USA müssen tätige Reue zeigen"

Der SPD-Innenpolitiker Michael Hartmann sieht gute Chancen, die USA zur stärkeren Beschränkung ihrer Spähprogramme zu drängen. Der Innenexperte sagte im Deutschlandfunk, zum einen wachse auch in den USA der Widerstand gegen die Datensammlung. Auch habe die EU durchaus Druckmittel in der Hand.

Michael Hartmann im Gespräch mit Jasper Barenberg | 02.01.2014
    Jasper Barenberg: Viel haben wir in den vergangenen Monaten schon gelernt über die Überwachungsmethoden der NSA. Neue Dokumente aus dem Fundus von Edward Snowden liefern jetzt weitere Einzelheiten. Unter anderem der „Spiegel“ berichtet jetzt, wie raffiniert und in welchem Umfang der US-Geheimdienst auch in der Lage ist, praktisch jede Ebene des Internets anzuzapfen und zu überwachen, von der technischen Infrastruktur über die Geräte selbst bis hin zum Zubehör. Nicht nur maßgeschneiderte Strategien stellen die NSA-Experten demnach bereit, sondern auch spionierende Monitorkabel, Wanzen in USB-Steckern und elektronische Hintertürchen in den Geräten so ziemlich aller großer US-Hersteller. Am Telefon ist Michael Hartmann, der innenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag. Schönen guten Morgen!
    Michael Hartmann: Guten Morgen!
    Barenberg: Herr Hartmann, wenn ich das richtig verstanden habe, dann verfügt die NSA offenbar über Methoden und über technische Ausrüstung, um so praktisch jeden Rechner unbemerkt auszuforschen. Der frühere FDP-Innenminister Gerhart Baum hält diese neuen Informationen für ein weiteres Alarmzeichen, in seiner Dimension noch gar nicht recht abzuschätzen. Geben Sie ihm da recht?
    Hartmann: Ja, das ist durchaus äußerst bedenklich, was uns da an neuen Auskünften erreicht. Ich muss allerdings auch sagen: Seit diese ganze Affäre dank Edward Snowden bekannt geworden ist, will ich gar nichts mehr ausschließen, weder bei der NSA noch bei anderen Diensten. Wir konzentrieren uns ja aus gutem Grund im Moment Richtung USA, aber seien Sie sicher: Es gibt nicht nur die USA, die ein hohes Interesse daran haben, viele Informationen zu sammeln und das auf allen möglichen Wegen. Wir sind da bei einem großen Thema, nämlich Fluch und Segen des Internets, das uns vieles ermöglicht, aber das auch leider eine totale Ausspähung ebenso ermöglicht.
    Barenberg: Nun liegen die Informationen, die bekannt sind – darin geht es ja nun mal um die NSA vor allem. Wir können festhalten: Die NSA will ziemlich jeden Menschen überwachen, der ein elektronisches Gerät zur Kommunikation benutzt, die NSA kann so ziemlich jeden Menschen überwachen und schert sich auch nicht so recht um Regeln?
    Hartmann: Zunächst einmal wird die NSA, mit einer solchen Frage konfrontiert, antworten: Es geht uns doch nur um unser aller Sicherheit. Wir sind da aus gutem Grund misstrauischer geworden und versuchen ja auch, Gegenstrategien zu entwickeln. Ich bin mir sehr, sehr sicher, dass auch in den USA selbst, wo der Schlüssel zu allem liegt, der Wind sich dreht. Der US-Präsident hat bereits gesagt, es darf nicht alles gemacht werden, was gemacht werden kann, und der Widerstand dort wächst. Und auch wir müssen nicht nur als Deutschland, sondern innerhalb Gesamteuropas uns auf die Hinterbeine stellen und klar machen, dass wir bestimmte Praktiken nicht mitmachen, zumindest nicht einfach erdulden werden, sondern auch Gegenmaßnahmen ergreifen werden und müssen.
    Barenberg: Um das noch mal festzuhalten: Die NSA sagt ja, die USA tragen schon Sorge dafür, dass unbeteiligte Nutzer nicht betroffen sind. Sie haben also kein Vertrauen in diese Aussage?
    Hartmann: Nein, ich bin misstrauisch geworden, denn es gibt uns niemand eine Garantie, dass diese Information, die völlig anlasslos und völlig ohne Unterbrechung von den Behörden der USA – es gibt ja nicht nur die NSA dort – erhoben werden, nicht auch missbraucht werden, zum Beispiel für Zwecke der Industriespionage, nicht auch missbraucht werden für Zwecke der klassischen Spionage. Warum verwanzt man beispielsweise Vertretungen der Europäischen Union? Also mein Misstrauen ist groß, und die USA sind tatsächlich in der Pflicht, so etwas wie tätige Reue zu zeigen, wenn sie weiter mit uns kooperieren wollen in der Art und Weise, wie wir es wollen und im Übrigen, das sage ich allerdings auch, auch brauchen.
    Barenberg: Noch eine Frage zur Dimension. Ein Kollege von der „Zeit“ hat getitelt: „Das Internet gehört der NSA“, und andere sagen, die Privatsphäre jeder Person auf dieser Welt, auf diesem Planeten ist praktisch abgeschafft. Ist das übertrieben oder nähern wir uns wirklich dieser Dimension?
    "Das Internet gehört allen und niemanden"
    Hartmann: Nein, das ist mir zu stark, zu sagen, das Internet gehört der NSA ist zu weitgehend. Die NSA nutzt alle Möglichkeiten und Optionen des Internets offensichtlich, um Informationen zu erhalten, immer unter der Generalüberschrift, wir wollen doch für Sicherheit sorgen. Aber das Internet gehört allen und niemandem. Wir haben große Firmen, die eine erhebliche Macht ausüben. Wir haben – ich wiederhole das bewusst – auch andere Staaten, die einen unglaublichen Informationshunger entwickelt haben. Ich denke da beispielsweise an China. Und wir haben auch Verbrecher und Kriminelle, die sich im Netz austoben. Insofern ist das Netz eine Welt voller Chancen der Freiheit, der Bildung, aber auch der Risiken, nicht nur der Totalüberwachung, sondern auch der unmittelbaren physischen Bedrohung, man denke an Angriffe auf Kernkraftanlagen oder Infrastruktureinrichtungen.
    Barenberg: Sie haben angedeutet, dass Sie die Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen sehen. Nun hat die alte Bundesregierung im Juli einen Fragenkatalog in die USA geschickt, im Spätherbst noch mal nachgefragt und bis jetzt noch immer keine Antwort erhalten. Soll es mit der neuen nun Großen Koalition unter Ihrer Beteiligung so weitergehen in diesem Tempo?
    Hartmann: Ich habe festgestellt, dass unsere jetzigen Koalitionspartner sich mittlerweile sehr, sehr, sehr unseren Positionen, unserem kritischen Nachfragen angenähert haben, spätestens, seit bekannt wurde, dass wohl auch das Handy der Kanzlerin überwacht wurde. Das heißt, der Druck wird größer werden. Wir werden auch versuchen – das ist vereinbart im Koalitionsvertrag –, eine eigene Industrie- und Standortpolitik, die uns autarker macht, zu entwickeln. Wir werden dieses sogenannte No-Spy-Abkommen mit den USA hart weiterverhandeln. Und wir müssen natürlich auch überlegen, ob wir US-Unternehmen, die in Deutschland sind, noch Aufträge erteilen, wenn die nicht garantieren, dass die Daten, die sie sammeln, nicht stante pede weitergehen an die NSA. Wir haben das Fluggastdatenabkommen, wir haben das Swift-Abkommen, wir haben die Freihandelsabkommensverhandlungen, alles Ansatzpunkte, wo wir selbst Druck machen können und last not least: Unsere Dienste selbst müssen besser werden bei der Spionageabwehr und bei der Ermittlung eigener Informationen im Interesse unserer Sicherheit. All das sind mögliche Ansätze, auf die ich für 2014 sehr, sehr setze.
    Barenberg: Ich will mal einen herausgreifen, Herr Hartmann, das No-Spy-Abkommen, denn wenn ich das richtig gelesen habe, dann ist jetzt schon einigermaßen klar, dass es sozusagen einen vertraglich erkärten Verzicht der USA auf Spionage nicht geben wird. Müssen Sie sich damit jetzt schon abfinden?
    Hartmann: Also für mich ist das noch nicht klar. Die Verhandlungen laufen, und ich sage noch einmal wie bereits eingangs: Ich bemerke, wie sich das Thema in den USA selbst Gott sei Dank auch ändert, wo nicht mehr safety first vorne steht, sondern mittlerweile auch der Wert der eigenen Daten erkannt wird, auch beide Häuser des Kongresses sich anders positionieren. Wenn diese Entwicklung in den USA, gepaart mit nachhaltigem Druck aus Deutschland – und, bitte nicht vergessen, Gesamteuropa, nicht nur wir sind betroffen – anhält, glaube ich, dass wir weiter kommen werden, als die bisherigen Rohfassungen eines Entwurfs zeigen.
    Barenberg: Wir werden das natürlich verfolgen. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen, Michael Hartmann, der SPD-Politiker und innenpolitischer Sprecher im Bundestag. Danke Ihnen!
    Hartmann: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.