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NSA-Skandal
Mit Netzpolitik die digitale Zukunft gestalten

Fluch oder Segen? Nach der NSA-Affäre will sich offenbar niemand mehr festlegen, wie es um das Internet bestellt ist. Markus Beckedahl und Andre Meister, Fürsprecher eines freien Internets, ziehen ihre Schlüsse aus dem Fall Snowden und fordern Konsequenzen - in dem Buch "Überwachtes Netz".

Von Ulrike Westhoff | 13.01.2014
    Demonstranten protestieren im Juni 2013 gegen die US-amerikanische Überwachung
    Demonstranten protestieren im Juni 2013 gegen die US-amerikanische Überwachung (dpa / picture-alliance / Kay Nietfeld)
    "Ich möchte nicht in einer Welt leben in der alles, was ich sage, alles was ich tue, aufgezeichnet wird. Das ist nichts, was ich bereit bin zu unterstützen. Das ist nichts, was ich zu leben bereit bin."
    Mit diesem Zitat von Edward Snowden, dem wohl weltweit bekanntesten Whistleblower, beginnt der ambitionierte Sammelband zum NSA-Skandal. Sein Titel "Überwachtes Netz" ist ein Statement, das die beiden Herausgeber Markus Beckedahl und Andre Meister damit gleich zu Beginn abliefern. Es sind durchweg kritische Positionen, die hier die Diskussion um die Gefahr der Massenüberwachung vorantreiben und den Leser eher nachdenklich stimmen dürften.
    Mehr als drei Dutzend Aktivisten, Juristen und Technikpublizisten bilanzieren die Snowden-Enthüllungen und blicken voraus. Das macht das Buch auch zu einer illustren Begegnung mit Mitstreitern der internationalen Netzpolitik. Markus Beckedahl erklärt:
    "Uns ging es darum, viele kritische Stimmen aus unterschiedlichen Bereichen und aus der ganzen Welt zu sammeln. Was können wir lernen, was müssen konsequenterweise die nächsten Schritte sein, um unsere Privatsphäre und ein offenes Internet zu erhalten."
    Pointierte Analyse über den Kampf der Geheimdienste gegen Verschlüsselungen
    Der Band präsentiert Artikel aus Tageszeitungen und Blogbeiträge sowie eigens für das Buch ausgearbeitete Essays und Traktate. Meist verfasst in einer schlichten Schreibe, die Fakten mit Kommentaren und Theorien kreuzt - und über die sich schnell hinweglesen lässt. Man wühlt sich gerne durch die Vielfalt der Perspektiven. Für Orientierung sorgt die Unterteilung in drei Themenblöcke. In Bezug auf die "politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen" etwa mahnt Datenjournalist Lorenz Matzat, nicht den einflussreichen Industriezweig der Überwachung zu vergessen, an dem - Zitat – "mehrere Hunderttausend Jobs und Shareholder hängen", während Constanze Kurz und Frank Rieger vom Chaos Computer Club eine pointierte Analyse über den erneuten Kampf der Geheimdienste gegen Verschlüsselungen liefern. Unter dem Oberthema "Geheimdienste außer Kontrolle" liest man unter anderem den Appell von Caspar Bowden, bis vor zwei Jahren Datenschutz-Chef von Microsoft, Europa solle verstärkt in seine nationalen Internetfirmen investieren statt in die des Silicon Valleys. Der Schlussteil erklärt, "wie Überwachung funktioniert". Kryptographie-Größen wie der Amerikaner Bruce Schneier fordern hier ihre IT-Kollegen auf, das Internet von der US-Regierung zurückzuerobern.
    "Wir müssen genau wissen, wie die NSA und andere Behörden Router, Switche, Verschlüsselungstechnologien und Cloud-Dienste untergraben. Wir müssen herausfinden, wie wir das Internet überarbeiten müssen, um diese Art der massenhaften Überwachung zu verhindern. Wir benötigen neue Techniken, um Vermittler von Kommunikation daran zu hindern private Informationen preiszugeben."
    Dass neue Informationstechnologien hermüssen, damit sich das Netz von seinem Dasein als Spionagemaschinerie emanzipiert, ist nicht nur Schneiers Rezept, sondern lässt sich als Gesamtfazit ausmachen. Ebenso die Forderung, gegen die zunehmende Unsichtbarkeit der Technologien anzukämpfen, die den Bürgern sukzessive ihre Freiheit nehme. Das macht vor allem Katizta Rodriguez, Direktorin für internationales Recht der Electronic Frontier Foundation, in ihrem Rekurs auf die ältere Überwachungsgeschichte anschaulich klar.
    "Vor dem Internet hat die Polizei an der Tür des Verdächtigen geklopft, die richterliche Anordnung vorgezeigt und dem Betroffenen den Grund für die Hausdurchsuchung genannt. Elektronische Überwachung hingegen ist wesentlich verstohlener. Daten können abgefangen oder direkt von Drittparteien wie Facebook oder Twitter abgerufen werden, ohne dass der Einzelne davon erfährt. Daher ist es oftmals unmöglich zu wissen, dass jemand unter Beobachtung stand, es sei denn die Beweise haben zu einer Anklage geführt."
    Das Ausmaß der Spionjage verschlägt einem den Atem
    Doch statt mit den eigenen Daten sparsam umzugehen, wurde in der ersten Dekade dieses neuen Jahrtausends fleißig gepostet und auf den "Gefällt mir Button" gedrückt. Aus diesem Grund rückt der britische Technologie-Autor Glyn Moody besonders eindrücklich in den Blick, wie sehr die Erfolgsgeschichte der US-Geheimdienste auch vom eigenen Verhalten in der Web-2.0-Ära geprägt ist.
    "Das ist vielleicht auch ein Hinweis darauf, wie die momentane Totalüberwachung zustande kam. Denn obwohl viele wussten, dass unverschlüsselte Daten abgehört werden können, herrschte das generelle Gefühl, es sei nicht möglich, die interessanten Daten herauszufiltern - angesichts der riesigen und immer weiter wachsenden Menge an Daten, die jeden Tag durch digitale Rohre fließen und das Internet darstellen."
    Dennoch gebe es keinen Grund, hoffnungslos zu sein, so Moody weiter, auch wenn das Ausmaß der Spionage einem den Atem verschlage. Selbst die weitgehende Ignoranz in der Öffentlichkeit betrübe ihn nicht wirklich. Man könne die Privatsphäre schließlich mit stärkerer Verschlüsselung schützen. Nicht nur an dieser Stelle laden die meinungsstarken Beiträge den Leser förmlich zum Mitdenken ein - sie ist exemplarisch für das gelungene Nebeneinander der vielen Standpunkte. War man ein paar Seiten zuvor mit Abhandlungen über die geheimen "Hintertüren" der NSA beschäftigt, eine Software, mit der der Geheimdienst auch in angeblich sicheren Systemen mitlesen kann, scheint es nun wie mit dem Hasen und dem Igel. Selbst wenn Kryptografen Daten noch stärker verschlüsselt durch das Netz schicken, vermutlich haben sich die Geheimdienste auch hierzu längst Zugang verschafft.
    Mit ihrem Eifer und ihrer Expertise gelingt es den Autoren so immer wieder, dem Leser die Bedeutung der Enthüllungen vorzuführen und ihre politische Dimension verständlich zu machen. Auch wenn dieser Sammelband kaum das Potential zum akademischen Standardwerk hat, die Herausgeber leisten einen wichtigen Beitrag. Nicht zuletzt auch, weil das Buch eine Zustandsbeschreibung der Zeit unmittelbar nach Snowden ist. Es zeigt, dass Netzpolitik die digitale Zukunft konstruktiv angehen kann, statt sie ins Gestern zu befördern.
    Markus Beckedahl und Andre Meister (Hrsg.): "Überwachtes Netz - Edward Snowden und der größte Überwachungsskandal der Geschichte"
    Verlag epubli, 323 Seiten, 14,90 Euro

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