Donnerstag, 28. März 2024

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NSA-Untersuchungsausschuss
"Herr Snowden hat alle niedrigstschwelligen Angebote abgelehnt"

Der NSA-Untersuchungsausschuss soll Edward Snowden als Zeugen vorladen. Gegen diese Entscheidung des Bundesgerichtshofes werde die Große Koalition möglicherweise Rechtsmittel einlegen, sagte Christian Flisek, SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss, im DLF. Snowden lasse sich auf IT-Konferenzen zuschalten, lehne eine Videokonferenz mit dem Ausschuss aber ab.

Christian Flisek im Gespräch mit Bettina Klein | 25.11.2016
    Der SPD-Abgeordnete Christian Flisek bei einer Rede im Bundestag am 6.5.2015.
    Der SPD-Abgeordnete Christian Flisek bei einer Rede im Bundestag. (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Bettina Klein: Der Bundesgerichtshof hatte Anfang der Woche entschieden: Er unterstützt die Forderung, dass der Bundestag den Ex-Geheimdienstler Edward Snowden für eine Aussage nach Berlin holt, so wie die Vertreter der Opposition bereits gefordert hatten. CDU/CSU und SPD hatten sich bislang gegen eine direkte persönliche Vernehmung auf deutschem Boden gestellt. Nun hatte man eigentlich erwartet, dass gestern bei der gestrigen Ausschuss-Sitzung eine Entscheidung fällt. War aber nicht so: Die Entscheidung vertagt.
    Wir können darüber jetzt sprechen mit Christian Flisek. Er ist Obmann für die SPD im NSA-Untersuchungsausschuss. Guten Morgen, Herr Flisek.
    Christian Flisek: Schönen guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Sagen Sie uns doch mal: Weshalb konnte das gestern nicht entschieden werden?
    Flisek: Frau Klein, wir haben diese Entscheidung der Ermittlungsrichterin beim Bundesgerichtshof erst vor kurzem zugestellt bekommen. Das ist eine Entscheidung, die wir grundsätzlich erst einmal sorgfältig prüfen werden. Da sind komplizierte, komplexe juristische, aber auch natürlich politische Sachverhalte abzuwägen. Und wir haben jetzt gesagt, dass dieser Prüfungsvorgang sich voraussichtlich noch etwas hinzieht. Sprich: Wir haben in der nächsten Sitzungswoche wieder eine Sitzung des Untersuchungsausschusses und wir werden bis dahin eine Entscheidung treffen, wie wir damit umgehen in der Koalition.
    Klein: Geben Sie uns ein Beispiel. Was genau muss da jetzt noch geprüft werden?
    Flisek: Grundsätzlich ist es ja so, dass sich eine solche Entscheidung nicht nur auf den Fall Snowden bezieht. Die Ermittlungsrichterin hat nun geurteilt, dass die Frage, wie ein Beweis zu erheben sei, von den Minderheitenrechten umfasst ist. Wir halten das für falsch. Im Übrigen ist das auch nicht vereinbar mit der ständigen Verfassungsrechtsprechung, mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Und das bedeutet am Ende aller Tage, dass wir natürlich hier jetzt prüfen, ob wir ein Rechtsmittel einlegen. Wir stehen da in Kontakt mit unserem bisherigen Prozessbevollmächtigten. Und wir werden wie gesagt sorgfältig diese Frage prüfen. Sie ist nicht simpel, sie ist nicht einfach und deswegen haben wir uns jetzt einfach ausbedungen hier noch mal eine Woche für diese Prüfung, dass wir die Zeit bekommen. Ich glaube, das ist nicht zu viel verlangt.
    "Nicht alles, was der Opposition nicht gefällt, ist ein Rechtsbruch"
    Klein: Die Opposition schäumt im Augenblick, oder schäumte gestern schon verbal, fährt schwere Geschütze auf und spricht von Rechtsbruch. Denn es gibt ja nun mal diesen Richterspruch. Halten Sie den nicht für bindend für sich?
    Flisek: Man muss erst einmal sagen: Wir haben jetzt hier eine Entscheidung der Ermittlungsrichterin des Bundesgerichtshofs, bei allem Respekt. Das ist eine Entscheidung eines Spruchkörpers eines höchsten deutschen Gerichts. Aber es gibt natürlich dann noch mal die Entscheidung des Senats des Bundesgerichtshofs, und es wäre nicht das erste Mal, dass eine Entscheidung einer Ermittlungsrichterin auch von der höheren Instanz, wenn Sie so wollen, aufgehoben wird. Insofern geht es hier nicht um Respekt, sondern es geht einfach um die Frage, ob diese Entscheidung, die jetzt getroffen worden ist, mit der Verfassungsrechtsprechung vereinbar ist. Ich bin der Ansicht, nach ersten Prüfungen - und wir werden das jetzt noch mal genau uns anschauen -, dass es hieran berechtigte Zweifel geben kann. Und im Übrigen: Nicht alles, was der Opposition nicht gefällt, ist ein Rechtsbruch. Ich verweise wie gesagt darauf, dass wir hier eigentlich mit unserer Interpretation der Rechtslage in der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen. Man muss ein bisschen aufpassen mit dem inflationären Umgang dieses Begriffes. Nicht alles, was einem nicht gefällt, ist immer gleich ein Rechtsbruch.
    Klein: Okay. Da wir aber nicht alle Rechtsexperten sind, auch nicht alle unter unseren Hörerinnen und Hörern, würde ich das gerne noch mal abschließen. Das heißt, Sie werden jetzt den Senat im Bundesgerichtshof noch mal anrufen, oder wie ist das weitere Prozedere jetzt rechtlich, wenn Sie sagen, Sie gehen davon aus, dass die höhere Instanz möglicherweise das wieder kassiert?
    Flisek: Diese Möglichkeit besteht. Und wie gesagt, Frau Klein: Sehen Sie es mir nach, dass ich jetzt zu dem laufenden Prüfungsverfahren Ihnen hier heute nichts verkünde. Wir sind in der Entscheidungsfindung, wir prüfen das und wir werden bis nächste Woche spätestens entscheiden, wie wir damit umgehen.
    "Tatsache, dass wir U-Ausschuss haben, wird von USA schon als Affront gesehen"
    Klein: Okay. Dann schauen wir noch mal auf die politische Ebene der ganzen Geschichte: Sind denn die außenpolitischen Bedenken, die die Große Koalition immer wieder vorgetragen hat, bei einer möglichen Vernehmung von Edward Snowden in Berlin, weiter noch relevant und halten Sie sie so aufrecht wie bisher?
    Flisek: Die Bundesregierung hat uns ja in vielen, vielen Beratungssitzungen, bei denen ja auch die Opposition zugegen war, grundsätzlich immer wieder ihre Bedenken mitgeteilt. Und man muss ja mal folgendes wirklich sehen: Allein die Tatsache, dass wir in Deutschland einen Untersuchungsausschuss haben, wird ja von der US-amerikanischen Seite schon als Affront gesehen. Die Tatsache, dass dieser Untersuchungsausschuss einstimmig Edward Snowden als Zeugen beschlossen hat, wird als Affront gesehen. Dass wir seit vielen Monaten versuchen, mit Edward Snowden eine Zeugenvernehmung sicherzustellen, mit allen möglichen Angeboten, die wir gemacht haben, von einer Videokonferenz bis zu einer Reise nach Moskau - wir haben ihm sogar angeboten, als Sachverständiger auszusagen -, alles das ist bisher negativ von ihm beschieden worden. Er selber ist allerdings gleichzeitig jede Woche irgendwo auf der Welt bei einer IT-Konferenz zugeschaltet. Das alles ist hier natürlich mal grundsätzlich mit abzuwägen und die Amerikaner sehen das natürlich mit Argusaugen. Das ist doch kein Geheimnis.
    Klein: Jetzt steuern wir in den USA auf eine neue Ära zu unter Donald Trump. Vieles ist da noch offen. Wenn Sie von den Bedenken der US-Regierung sprechen, dann sprechen Sie ja von der amtierenden US-Regierung. Das wird sich ändern im Januar. Manches ist jetzt offen, was jetzt passiert. Es könnte allerdings sein, dass der Snowden nicht als Verräter betrachtet und behandelt. Es könnte durchaus sein, dass diese außenpolitischen Bedenken dann gar nicht mehr gültig sind.
    Flisek: Na ja, gut. Es gibt auch Stimmen, die sehen das genau jetzt gegenteilig aufgrund des Wechsels zur Trump-Administration. Man muss jetzt mal abwarten, wie sich die neue Administration zu dieser Frage äußert. Nur eines ist auch klar: Wenn man die Äußerungen der Obama-Administration gehört hat, dann ist zu erwarten, dass sich in dieser Frage grundsätzlich nicht viel in der amerikanischen Auffassung ändern wird. Im Übrigen hätte sich auch nicht viel geändert oder es würde keinen Unterschied machen in dieser Frage, wenn jetzt Hillary Clinton Präsidentin werden würde. Ich glaube, dass unabhängig von der Frage, welcher Präsident, welche Administration da gerade am Ruder ist, sich in der grundsätzlichen Einschätzung der US-amerikanischen Administration zu Snowden nichts ändert.
    Sorgfältig die Entwicklung unter Trump beobachten
    Klein: Das wissen wir jetzt alle nicht. Trump hat getwittert im Jahre 2013, man solle sich entschuldigen bei Snowden und ihn direkt wieder zurückholen in die Vereinigten Staaten. Nur hat er vieles gesagt und auch wieder das Gegenteil davon. Aber noch mal nachgefragt: Bei so viel, was jetzt offen ist und wo ja auch gerade in Deutschland die Befürchtungen überschäumen, was sich jetzt alles verändern wird, möglicherweise zum Negativen, aber vielleicht auch nicht unbedingt, gehen Sie nicht davon aus, dass man das vielleicht eventuell noch mal abwarten sollte, um sich dann mit der neuen amerikanischen Regierung zu verständigen?
    Flisek: Schauen Sie, der Untersuchungsausschuss, Frau Klein, macht weiterhin seine Arbeit. Wir sind nach wie vor im intensiven Kontakt auch mit den Rechtsanwälten von Herrn Snowden über eine Zeugenvernehmung, über die Frage, wie wir das klären können. Und wir werden natürlich sorgfältig auch die Entwicklung in den USA betrachten. Sie haben gerade einen Tweet vom gewählten Präsidenten Donald Trump genannt. Ich meine, es gibt auch Äußerungen aus seinem Bereich, die wieder in die genau gegenteilige Richtung gehen. Also man muss abwarten. Es ist jetzt zu früh. Nur wir müssen natürlich am Ende aller Tage eine eigene Entscheidung treffen, eine eigene juristische und eine eigene politische Entscheidung. Die werden uns die Amerikaner dann auch nicht abnehmen.
    Erstmal Entscheidung des Ermittlungsrichters prüfen
    Klein: Und in der Sache noch mal abschließend gefragt, Sie haben es angedeutet: Snowden lehnt bisher eine Videobefragung ab und möchte gerne persönlich erscheinen, oder wie ist das?
    Flisek: Herr Snowden hat alle niedrigstschwelligen Angebote, die wir ihm gemacht haben, abgelehnt, und das nehmen wir im Ausschuss auch erst einmal zur Kenntnis und müssen damit jetzt zunächst einmal umgehen. Wie gesagt, es ist eigentlich Teil einer jeden Prozessordnung und eines jeden Verfahrens, dass nicht der Zeuge bestimmt, wie er zu vernehmen ist, sondern das macht das Gericht beziehungsweise in dem Fall der Untersuchungsausschuss. Insofern haben wir jetzt alle Möglichkeiten mal sondiert. Wir sind auch weiterhin noch in Verhandlungen. Aber im Umkehrschluss: Wir werden jetzt erst mal diese Entscheidung des Ermittlungsrichters prüfen und werden dann entscheiden nächste Woche, wie damit umzugehen ist.
    Klein: Niedrigschwellig heißt, um das noch mal klarzustellen, alles unterhalb einer persönlichen Vernehmung hat er bisher abgelehnt?
    Flisek: Na ja. Niedrigschwellig habe ich so verstanden, dass wir ihm sogar angeboten haben, dass er nicht als Zeuge im Zweifel aussagen müsste. Er könnte sogar als Sachverständiger aussagen, weil wir vielleicht gedacht haben, dass es grundsätzlich für irgendwelche Verhandlungen, die im Hintergrund mit der US-amerikanischen Seite vielleicht laufen mögen, erträglich wäre, wenn er als Zeuge aussagt, in der Rolle eines Zeugen. Wir haben Angebote gemacht, dass wir ihm noch nicht einmal einen Fragenkatalog präsentieren, sondern er frei selber erst einmal was sagen kann. Alles das ist bisher abgelehnt worden und das passt eigentlich, sage ich, auch mal nicht zusammen, dass dieser Kontakt bisher nicht zustande kam. Wir sind der einzige Untersuchungsausschuss weltweit, der sich mit dieser Frage ernsthaft auseinandersetzt, seit vielen, vielen Monaten jetzt, fast zweieinhalb Jahren, und insofern ist, finde ich, das alles andere als eine Kooperation.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.