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Null-Zins-Entscheidung der EZB
"Nicht weniger, sondern mehr sparen"

Wegen der Zinspolitik der EZB könne es in Deutschland zu großen Problemen beim Vermögensaufbau und der Altersvorsorge kommen, sagte Michael Breuer, Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes, im Deutschlandfunk. Denn die Verbraucher investierten jetzt lieber in den Konsum. Doch eigentlich müsse man jetzt mehr sparen, statt weniger.

Michael Breuer im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 12.03.2016
    Michael Breuer, Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes
    Michael Breuer, Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes (imago stock & people)
    Der Vermögensaufbau mit Sparplänen oder Lebensversicherungen werde enorm erschwert, wenn man nur etwas mehr als null Prozent Zinsen erhalte. Es sei aber "gefährlich zu sagen, ich bekomme keine Zinsen, also spare ich nicht". Beim Sparen gehe es nämlich darum, "für bestimmte Dinge oder Lebensumstände vorzusorgen", sagte Breuer im DLF. Wenn man keine Zinsen bekomme und der Zinseszinseffekt verpuffe, dann müsse man nicht weniger, sondern mehr sparen. Doch Konsumenten und die Volkswirtschaften machten derzeit genau das Gegenteil.
    Klug sei es, sein Geld anders anzulegen. Doch hätten nur Bevölkerungsgruppen mit hohem Einkommen auch die Möglichkeit, in Immobilien und Wertpapiere zu investieren. Gerade bei den Immobilien könne es aber auch zu Blasen kommen, warnte Breuer.
    Er betonte, die Europäische Zentralbank sei damit gescheitert, Vertrauen wiederherzustellen, weil sie eine "unstetige Politik" betreibe. Sie müsse stärker auf Konsolidierung setzen. Denn das Vertrauen in die Märkte sei noch nicht wieder hergestellt. Der Experte verwies auf die unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeiten in Nord- und Südeuropa. Mit ein Grund dafür sei, dass es bisher keine europäische Fiskal- oder Wirtschaftspolitik gebe. Alle Länder müssten sich auf die gleichen Prinzipien veständigen.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Die Europäische Zentralbank hat entschieden, es hat eine Menge Kritik gegeben auf der einen Seite, nur wenige Unterstützer, und dann passieren ungewöhnliche Dinge, dass Zentralbankratsmitglieder sogar öffentlich verteidigen, warum sie so eine Entscheidung getroffen haben. Also: Da wird weiter Geld geflutet. Welche Konsequenzen hat das? Wir wollen darüber reden mit Michael Breuer, dem Präsidenten des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes. Zunächst einmal sage ich: Guten Morgen, Herr Breuer!
    Michael Breuer: Guten Morgen!
    Zurheide: Herr Breuer, Sie sind natürlich ein Vertreter der Sparkassen und damit auch der vielen Sparkassenkunden. Von Ihnen erwarte ich jetzt auch erst mal eine Philippika gegen die Entscheidung. Erwarte ich das richtig?
    Breuer: Das tun Sie, ja. Das ist richtig, dass Sie das erwarten. Aber es liegt nicht nur an den Erwartungen, die Sie haben, sondern es liegt auch daran, dass wir mittlerweile wirklich an einen Punkt gekommen sind mit der EZB-Politik, wo ganz offensichtlich die EZB-Politik für das, was sie vorhat, nicht wirkt. Und schwierig wird es jetzt, wenn man erkennt, dass es nicht wirkt, dass man dann nicht die doppelte Geschwindigkeit an den Tag legt, sondern einfach mal innehält und sorgfältig überlegt, warum man mit dieser Politik auch keine Wirkungen erzielt.
    Zurheide: Jetzt ist das Verteidigungsargument, und ich habe es angesprochen, gestern hat es dann, was auch selten ist, hat es einzelne Zentralbankratsmitglieder gegeben, die sich öffentlich geäußert haben, die sagen, so sinngemäß in der Kurzfassung, wenn wir das nicht getan hätten, also dieses Fluten der Märkte, dann hätten wir inzwischen die Deflation, die wir ja eigentlich bekämpfen wollten. Also man sagt, wenn wir es nicht gemacht hätten, hätten wir es. Ist das Argument so falsch?
    Breuer: Ich glaube nicht, dass es wirklich zieht. Aber es zeigt auch, dass die Notwendigkeit der Begründung der EZB, auch öffentlich zu begründen, steigt. Die EZB hat natürlich gehofft, mit der Kombination aus weiteren Zinssenkungen, dem Ankauf von risikoarmen Wertpapieren private Haushalte, Kreditwirtschaft, Finanzmärkte und Unternehmen zu mehr Investitionen zu veranlassen. Ich glaube schon, dass man in den letzten Jahren sagen kann, ja, das sind Instrumente, die richtig sind, allerdings zeigt sich aus den letzten Monaten und auch aus den letzten zwei Jahren, dass mit Blick auf die Strukturreform zum Beispiel es ganz zarte Pflänzchen gegeben hat, die Wirkungen aber insgesamt sehr, sehr gering sind. Kreditnachfrage, besser gesagt eine Vermeidung von Kreditklemmen in Europa ist eigentlich nicht notwendig. Die Frage der Deflation, das scheint mir ein bisschen ein gekrücktes Argument zu sein. Das war ja in den letzten Jahren nur immer ein Randargument der EZB und wird jetzt ganz nach vorn geschoben.
    Zurheide: Jetzt haben wir zwei Aspekte, und die lassen wir Sie uns auseinanderhalten. Das eine ist, welche Konsequenzen hat das zumal in Deutschland auf all diejenigen, die ihr Geld immer noch zu Ihnen, zu den Sparkassen bringen? Und das zweite Argument wird dann sein, was müssten wir denn eigentlich tun, damit wir mehr investieren in Europa? Beginnen wir mit dem ersten Argument. Also, Sparer und Enteignung, das ist immer so das erste Argument, wenn man keine Zinsen mehr kriegt. Dagegen spricht ein Stück weit, wir haben früher auch Phasen gehabt, wo wir Inflation hatten, die wir jetzt nicht haben. Da wurden Sparer auch enteignet, da haben wir nicht geschrien. Stimmt dieses Argument, oder ist es falsch?
    Breuer: Ein bisschen ist es ja immer mit den Argumenten, dass natürlich ein Kern hinter beiden guten Argumenten und guten Seiten ist. Zurzeit muss man sich schon Sorgen machen, denn der Vermögensaufbau, der ja notwendig ist, der wird enorm erschwert, wenn man nur etwas mehr als null Prozent Zinsen erhält oder fast gar nichts mehr. Gesellschaftlich gesehen ist die derzeitige Nullzinsphase verheerend, denn wer mit Sparplänen oder Lebensversicherungen sein Alter absichert, erlebt derzeit sehr sinkende Erträge, und das wird auch noch eine Weile so bleiben. Obwohl es paradox klingen mag, man muss jetzt eigentlich mehr sparen anstatt weniger, denn es ist ja gefährlich zu sagen, ich bekomme ja keine Zinsen, also spare ich nicht. Denn es geht ja beim Sparen darum, für bestimmte Dinge oder Lebensumstände vorzusorgen. Und wenn man jetzt keine Zinsen bekommt und der Zinseszinseffekt verpufft, dann muss man nicht weniger sparen, sondern mehr sparen. Der Konsument und die Volkswirtschaften machen im Moment genau das Gegenteil. Sie sagen, wenn ich schon nichts kriege, dann kann ich es auch in den Konsum stecken oder für andere Dinge ausgeben, die vielleicht nicht für meine Altersversorgung richtig sind, sodass Sie auch an dieser Vermögensaufbau- und Altersversorgungsfront große Probleme in Deutschland haben.
    Zurheide: Darf ich einen Einspruch geben? Man könnte ja auch sagen, Herr Breuer, dann müssen die Menschen anders sparen als bisher. Der Deutsche ist da nicht besonders risikoaffin. Jetzt weiß ich, das Gegenargument ist, zu viele Risiken kann man auch nicht geben, aber ein bisschen mehr könnte es dann schon sein, oder?
    Breuer: Das stimmt. Man muss dann anders sparen. Auch das ist möglich. Gleichwohl besprechen wir ja jetzt auch nicht eine Bevölkerungsgruppe, die ein sehr großes Einkommen hat. Die haben sicherlich größere Möglichkeiten, in die Vermögen zu investieren. Die können in Immobilien investieren, die können natürlich auch an der Entwicklung am Wertpapiermarkt Anteil haben. Das trifft aber nur einen ganz kleinen Teil der Bevölkerung. Im Kern ist das noch mal innerhalb der Sparer und Vermögensaufbauer eine Umverteilung. Das heißt, Herr Zurheide, diejenigen, die eher ein kleines Salär haben und kleine Sparabschnitte organisieren können, die werden im Vergleich zu denjenigen, die intensive Wirtschaftsprüfer haben, die sie beraten, Steuerberater, Vermögensberater haben, die werden dann auch noch leichter partizipieren. Zusätzlich, wenn ich das noch sagen darf, zusätzlich entstehen natürlich auch mit der großen Geldflut Blasen. Und wir sind uns heute ja schon sehr bewusst darüber, dass die Immobilienpreise in den letzten zwei, drei Jahren überproportional angestiegen sind. Ist das schon eine Blasenentwicklung? Man weiß es nicht. Fest steht jedenfalls, dass die Entwicklung von Blasen und auch schnellen Volatilitäten, also einem schnellen Absturz auch dieser Immobilienpreise oder der Aktienmärkte oder der Unternehmenskäufe, dass das dazu führt, dass natürlich auch Fehlallokationen möglich sind.
    Zurheide: So. Kommen wir zum zweiten Argument. Was müsste passieren, damit die Wirtschaft besser läuft, dass sie auch in Deutschland nicht ganz schlecht läuft, aber es könnte ja auch hier besser sein. Oder müssen wir uns verabschieden von höheren Wachstumsraten? Oder sagen Sie, die vielen Investitionen, die wir eigentlich machen müssten in Infrastruktur oder sonst wo, wer müsste da was tun, damit die Wirtschaft besser läuft und damit auch vielleicht die Inflationsraten in die Richtung kommen, wie die EZB das möchte?
    Breuer: Ich glaube schon zum einen, dass die niedrige Inflation, die wir zurzeit haben, oder kurz vor der Deflation, sagt man manchmal, selbst, wenn man das annimmt, das Argument, darf die EZB nicht vergessen, dass sie natürlich mit ihrer Politik des lockeren Geldes und des Nullzinses auch einen Teil der Inflation, der niedrigen Inflationsrate herbeiführt. Was muss getan werden? Zunächst mal ist die EZB ja an dem Teil, wieder Vertrauen herzustellen, gescheitert, weil sie selbst eine sehr unstetige Politik macht. Wichtiger wäre, eine sehr ruhige, eine sachliche Politik zu machen. Das heißt für die Notenbanken und das heißt für die öffentlichen Haushalte, noch stärker auf Konsolidierung zu setzen, klug zu investieren und das Vertrauen auch Stück für Stück zurückzugewinnen. Wir sind in der jetzigen Situation eben nicht mehr in der Lage, durch eine Geldpolitik bestimmte Vertrauensmaßnahmen und Investitionsschübe zu organisieren. Es gibt eben keine Kreditklemme, deswegen auch keine Investitionsklemme, sondern es ist eher so, dass wir das Vertrauen insbesondere in Südeuropa, in die Märkte und in die öffentlichen Haushalte noch nicht wiederhergestellt haben.
    Zurheide: Jetzt haben Sie gerade die Länder in Südeuropa angesprochen. Die haben natürlich zum Teil einen anderen Bedarf, als wir das in Deutschland haben. Reden wir nicht wieder gerade über ein Problem, dass wir in einem Währungsraum sind, der im Kern sehr heterogen ist, der in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche zum Beispiel auch Politik der EZB brauchte, aber wir haben eben nun mal einen Währungsraum, und was für die einen zu viel ist, ist für die anderen zu wenig. Haben wir nicht wieder auch mit diesem Problem gerade zu kämpfen?
    Breuer: So ist das. Wir haben die unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit in Südeuropa, Mitteleuropa, in Nordeuropa in den letzten 30 Jahren, seit Beginn des Binnenmarktes eigentlich nicht richtig abgeschafft. Im Gegenteil. Die Unterschiede zwischen den Wettbewerbsargumenten und Wettbewerbsbedingungen in Deutschland und beispielsweise in Griechenland und Portugal ist sind eher auseinander gelaufen. Das hat etwas damit zu tun, dass wir nach wie vor keine europäische Fiskal-, also auch Haushalts- und Wirtschaftspolitik haben und dass die EZB eben zur Zeit der einzige ist, der europäische Maßnahmen – meistens am Donnerstag – dann durchsetzen kann. Wir haben natürlich in Europa unsere Hausaufgaben noch zu machen. Das Flüchtlingsthema hält alle in Atem. Aber wichtig ist eben, dass wir zu einer einheitlichen Wirtschafts- und Haushaltspolitik in Europa kommen. Erst dann kann sich in den nächsten Jahren Stück für Stück die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse wegen der Angleichung der Wettbewerbsverhältnisse auch durchsetzen.
    Zurheide: Die EZB ist sozusagen die Ersatzregierung und muss es tun, weil die anderen es nicht tun. Ich habe nur noch einen Einwand, Euer Ehren: Bei einer unterschiedlichen Lage in unterschiedlichen Ländern wird man nicht immer die gleiche Politik machen können, oder?
    Breuer: Nein, das kann man nicht. Aber man kann sich auf die gleichen Prinzipien verständigen. Und auch die gleichen Prinzipien sind natürlich in der europäisch Verfassung beziehungsweise in den Maastrichter Verträgen angelegt, nur haben wir zurzeit nationale Regierungen, die sich auf anderes konzentrieren als den Zusammenhalt auch in der Wirtschafts- und Fiskalpolitik in Europa zu organisieren.
    Zurheide: Das war Michael Breuer, der Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbands zu den Entscheidungen der EZB, der Ersatzregierung in Europa. Herr Breuer, ich bedanke mich heute Morgen für das Gespräch!
    Breuer: Ich bedanke mich!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.