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Nummer statt Personalausweis

Technik. - In Indien hat jeder vierte Bürger keine Papiere, um seine Identität schriftlich zu belegen. Die indische Regierung arbeitet daher an einem Mammutprojekt. Sie will biometrische Daten von den 1,2 Milliarden Menschen im Land speichern und in einer zwölfstelligen Nummer festhalten.

Von Julia Beißwenger | 02.07.2012
    "Wir haben Sozialprogramme für arme oder kranke Menschen, auch für Witwen zum Beispiel. Bei diesen staatlichen Programmen erhalten Leute Gelder oder bezuschusste Nahrungsmittel. Wenn sich die Menschen nun bei einem solchen Programm melden, werden sie zuallererst nach ihrer Identität gefragt. Wer sich nicht ausweisen kann, wird aus dem System ausgeschlossen."

    Für 300 Millionen Menschen in Indien trifft das zu. Sie verfügen über keinerlei Identitätsnachweis. Andere haben gefälschte Dokumente und nehmen mitunter gleich mehrere Identitäten an, um wiederholt von Sozialprogrammen zu profitieren, sagt der Regierungsvertreter Ram Sevak Sharma. Um Chaos, Betrug und Korruption einzudämmen, nahm die indische Regierung im August 2009 ein Projekt in Angriff, das im Prinzip einfach ist: Jeder Einwohner, der mindestens fünf Jahre alt ist, erhält eine zufällige Identifikationsnummer, wenn er oder sie seine biometrischen Daten abgibt.

    "Wir nehmen alle zehn Fingerabdrücke. Allerdings verrichten viele Menschen in Indien schwere körperliche Arbeit und deshalb hatten wir Angst, dass die Abdrücke mit der Zeit an Qualität verlieren könnten. Wir nehmen daher zusätzlich einen Iris-Scan von jedem Menschen, das erlaubt uns eine Zuverlässigkeit der eindeutigen Identifizierung von 99,99 Prozent."

    Bei der Registrierung gibt jeder Name, Geschlecht, Wohnort und Alter an. Die Daten kommen dann mit der Identifikationsnummer auf einen zentralen Server und sind von dort jederzeit abrufbar. Ram Sevak Sharma erklärt den Nutzen anhand eines Bankkontos. Bisher, so sagt er, konnte man ohne Ausweispapiere kein Konto führen. Durch die neue Nummer soll dies nun möglich sein, selbst wenn keine Filiale am Ort ist. In abgelegenen Dörfern soll eine ausgewiesene Person, etwa eine Ladeninhaberin, die Bank vertreten. Dafür bekommt sie ein Handy, das mit einem Fingerabdrucklesegerät verbunden ist. Möchte jemand Geld abheben, übermittelt sie das Anliegen und die Daten des Kunden zunächst ihrer Bank.

    "Und von dort aus gelangen die Daten zu unserem Server, auf dem alle Identifikationsnummern gespeichert sind. Wir sagen dann, ob die Daten des Fingerabdrucks mit der Nummer übereinstimmen. Ist das der Fall, geht der Auftrag an die Bank des Kunden. Sein Konto wird um den gewünschten Betrag belastet und das Geld auf das Konto der Frau überwiesen. Sie zahlt den Kunden vor Ort aus und gibt ihm einen Beleg. Das Ganze dauert nur wenige Sekunden."

    Zurzeit testet die indische Regierung in einem Teil des Landes dieses Verfahren sowohl mit Fingerabdrucklesegeräten als auch mit Iris-Scans. Währenddessen beantragen jeden Tag eine Million Menschen an rund 25.000 Stellen im Land eine Identifikationsnummer. Gut 200 Millionen Bürger haben sich bisher eingeschrieben. Die Registrierung ist freiwillig, pro Person kostet sie den Staat rund 3 Euro, sagt Ram Sevak Sharma. Bei den Menschen kommt das Projekt gut an, Kritiker allerdings fürchten, dass die Daten nicht sicher sind, sagt Christoph Busch vom Fraunhofer Institut für Graphische Datenverarbeitung.

    "Das Horrorszenario ist: Jemand dringt in die Datenbank ein und stellt dann die ganzen Fingerbilder ins Internet. Man könnte sich auch vorstellen, dass ein Täter Bilder vergleicht mit einer anderen Datenbank. Sagen wir mal, der Administrator dieser Datenbank baut eine Beziehung auf mit dem Administrator der FBI-Fingerbilddatenbank in den USA und dann kommen die beiden auf die Idee zu sagen: Oh, lass uns mal vergleichen, welche Fingerbilder in der US-Datenbank der gesuchten Kriminaltäter sind und welche Fingerbilder in der indischen Datenbank sind."

    Um Missbrauch möglichst auszuschließen, gibt es zum Beispiel in Deutschland keine zentrale Datenbank, die Personal- oder Reispassinformationen sammelt, so Christoph Busch. Dennoch befürwortet er das indische Projekt.

    "Man muss das Risiko des Angriffs im Verhältnis sehen zu dem Nutzen, den das System den Menschen bringt und insofern ist das ein sehr ausgewogenes Verhältnis. Aber auf der anderen Seite muss man, finde ich, auch mit den Indern ganz offen über dieses Risiko, dass jemand in diese Datenbank eindringt, sprechen. Das ist schon ein Thema, das man weiter verfolgen sollte."

    Zumal in Indien parallel zur Vergabe der Nummern seit 2011 eine Volkszählung läuft. Sie verpflichtet die Bürger zur Auskunft, etwa über ihr Einkommen, ihre Religion oder ihre Unterkunft. Kritiker fürchten, dass diese Informationen mit denen der Identifikationsnummer verknüpft werden könnten. Der Großteil der indischen Bevölkerung bleibt dennoch eher gelassen. Sie sehen vor allem die Vorteile, die es bringt, sich endlich ausweisen zu können.