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Nur versehentlich davon erzählen

Gegen die Texte von Nadja Einzmann wirken die Kurzgeschichten von Raymond Carver geradezu geschwätzig. Die junge Frankfurter Autorin porträtiert Zeitgenossen auf nur zwei bis vier Seiten, selten mehr. Sie lässt sie in einfachen, ja banal wirkenden Sätzen erzählen von ihrer Kindheit, von der Familie, von ihrem Leben. Leicht, fast unverbindlich beginnen die Texte, – wie etwa das Porträt von Vanessa:

Von Eva Pfister | 26.06.2006
    "Sie hatte sich manches anders vorgestellt, aber so ist es dann nicht gekommen, und so schlecht war das dann auch wieder nicht". "

    Nur ein paar Sätze später ist aber plötzlich der Schrecken da – über eine verfahrene Situation, über ein tragisches Schicksal oder über eine beziehungslose Existenz.
    Oliver, zum Beispiel, erzählt von seinen Schulfreunden, von der Angst, als er in eine neue Klasse kam und allerhand fremde Augen ihn anblickten. Eine Seite später outet er sich als jemand, der es aufgegeben hat, engeren Kontakt zu Anderen zu suchen, schon gar nicht zu Frauen:

    ""Und die Sache mit den Frauen. Mit Frauen war das schon immer so eine Sache. Er jedenfalls hat nie gelernt, wie man etwas anstellt mit ihnen, wie man es anstellt."

    Dennoch beklagt sich Oliver nicht. Er findet, es gehe ihm gut. Nadja Einzmann überträgt gekonnt den Tonfall von Menschen, die anscheinend keine Probleme haben und nur versehentlich davon erzählen.

    Eindeutig hört man die Porträtierten sprechen, aber die Autorin hat nicht einfach Tonbänder protokolliert. Sie schreibt in der 3. Person, in einer literarisierten Sprache, die
    auf der Sprechweise ihrer Interviewpartner basiert.

    "Als sie ein Kind war, hat sie davon nichts und nichts begriffen. Jetzt begreift sie beinahe alles, das versteht sich."

    So beginnt die Geschichte von Cornelia, die ein braves und heiß geliebtes Einzelkind war, in ihrer Weltfremdheit jedoch von ihren Klassenkameraden nicht akzeptiert wurde.

    Manche der 31 Zeitgenossen können von einer Entwicklung als hässliches graues Entlein zum weißen Schwan berichten, haben sich also aus einer unglücklichen Kindheit in ein zufriedenes Dasein als Erwachsene gerettet. Andere bleiben in Abhängigkeiten stecken. Vanessa zum Beispiel kümmert sich seit Jahren um ihre krebskranke Mutter. Nur in gewundenen Gedankengängen scheint durch, dass sie dies kaum noch aushält:

    "Dass sie zum Beispiel einfach nicht weiß, ob sie ihre Mutter eines Jobs wegen alleine lassen soll, ob sie einfach fortziehen soll nach all den Jahren, in denen die Mutter nicht gestorben ist."

    Nadja Einzmann lässt oft die Sprache holpern. Sie reiht gerne Wörter oder Halbsätze aneinander, so wie es Sprechende eben tun, lässt die Sätze anderswo enden, als sie begonnen haben. Das kann auch schon mal manieriert wirken, vor allem, wenn man mehrere Texte hintereinander liest. Dann übersieht man leicht die Poesie dieser verdichteten Alltäglichkeiten.

    Manchmal stecken in einem einzigen Satz ganze Tragödien. Wenn Daniel etwa davon erzählt, wie er als Kind von Indien nach Deutschland gekommen ist und so gut Deutsch lernte, als hätte er nie etwas anderes gesprochen. Allerdings:

    "Seither ist ihm auch seine Mutter etwas abhanden gekommen."

    Das Wort Einsamkeit fällt nicht, solche Wörter – und alle, mit denen man psychische Zustände etikettiert, vermeidet die Autorin durchgängig. Auch im Porträt von Michael, der mit einer, wie es heißt "schwer beschädigten" Frau lebt, aus der immer wieder Stimmen von anderen Personen hervorbrechen. Michael kann damit umgehen, wie er erzählt:

    "Wie heißt du?, fragt er, wenn eine herauskommt, die er noch nicht kennt. Dann geben sie sich selbst einen Namen."

    Eigentlich wäre Michael zufrieden damit, sich um seine beiden kleinen Kinder und die Ehefrau zu kümmern, - sie zu beschützen, wie er sagt -, aber man treibt ihn die Rolle des Ernährers der Familie hinein: Der Musikwissenschaftler soll endlich das Studium beenden und Geld verdienen. Dies ist eines der Porträts, bei denen man bedauert, dass die Autorin bloß kurze Schlaglichter auf das Leben wirft, statt den Figuren auch einmal eine längere Erzählung zu widmen.

    Aber gerade das scheint Nadja Einzmann nicht anzustreben. Sie sucht lieber entlegene Details zusammen, die bei einer dramaturgisch flotten Kurzgeschichte vielleicht ausgeblendet würden, eben noch dies und das und das, wie der Titel des kleinen Bandes heißt. Zwischen ihre Porträts, die oft selbst nur kurze Skizzen sind, schiebt sie noch winzige Prosaminiaturen, die manchmal mit den Personen in Zusammenhang stehen, manchmal wie Solitäre aufblitzen. Zum Beispiel:
    "In seiner allerersten Erinnerung trägt er Weiß, einen Matrosenanzug oder etwas Ähnliches. Und wirft sich in eine Güllepfütze. So war das."