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Nur wenige nutzen das "virtuelle Rathaus"

Internet.- Von der Möglichkeit, sich lästige Behördengänge zu ersparen und Anträge sowie Formulare über das Internet einzureichen, machen hierzulande weniger Menschen Gebrauch als in anderen Staaten Europas. Warum gegenüber dem sogenannten eGovernment so viel Skepsis herrscht, wurde nun auf dem Open Government Camp in Berlin diskutiert.

Von Wolfgang Noelke | 01.10.2011
    Nach einer repräsentativen Umfrage der Initiative D21 nutzen nur zwei von fünf deutschen Onlinern ihr virtuelles Rathaus. Im Ländervergleich zwischen Schweden, Österreich, Großbritannien und Deutschland liegen die Deutschen an letzter Stelle. In Schweden verzichten bereits 69 Prozent der Bürger mit Online-Anschluss auf die Wartemarke aus Papier und die harten Holzstühle in den schmucklosen Räumen der Ämteramtsstuben.

    "Wenn man jetzt differenziert in Online-Informationsangebote, dann sind Bekanntheit und Nutzung ausgeglichen über alle Länder hinweg, ergibt es über 50 Prozent Bekanntheit und irgendwas zwischen 30 und 40 Prozent Nutzung",

    ermittelte das Team um Dr. Petra Wolf vom an der TU-München angesiedelten Forschungsinstitut ipima.

    "Unterschiede gibt es dann bei Transaktionsangeboten, sprich vollständige Abwicklung von Anträgen oder anderen Behördengängen. Da wünschen sich Bürger deutlich mehr Angebote an durchgängigen Verfahren und auch einfachere, durchgängigere Verfahren."

    Wie zum Beispiel in Schweden. Dort benötigen die Bürger für ihre Steuererklärung weniger als einen von der Politik versprochenen Bierdeckel. Sie erledigen das per Mausklick:

    Petra Wolf:

    "Denn die schwedische Verwaltung fühlt gewissermaßen ihre Steuererklärung vorher aus und Sie müssen nur noch unterschreiben, dass sie einverstanden sind mit dieser Steuererklärung und diese Unterschrift können Sie sogar per SMS leisten. Das heißt, da ist für sie ein Aufwand von wenigen Sekunden erforderlich, um diese Steuererklärung einmal durchzulesen, zu sagen ja, da bin ich einverstanden - es passt zu den Vorjahren und sie schicken die entsprechende Antwort ab und damit war's das für Sie. Ich würde sagen, das ist sicherlich, was den Aufwand angeht, die einfachste Variante. Dazu brauche ich aber natürlich ein Vertrauensverhältnis, das ich dem Staat unterstelle, dass er mich hier nicht übers Ohr haut, sondern dass es auch für mich die steuerlich beste Möglichkeit ist."

    Transparente, für die Bürger nachprüfbare Entscheidungen seien Basis des gegenseitigen Vertrauens. In Ländern mit ausgeprägten staatlichen Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten hätten die Bürger auch weniger Vertrauen in die digitale Technik. Ganz erforscht, so Dr. Petra Wolf, seien diese Zusammenhänge jedoch noch nicht:

    "Es gibt unterschiedliche Ansätze in der Wissenschaft, wie das erklärt werden kann. Einer davon nennt sich power Distance. Das heißt, wie skeptisch sind Bürger gegenüber denen, die Macht haben in ihrem Staatsgefüge und das könnte ein Erklärungsansatz sein, der zeigt, dass gerade in Skandinavien diese Skepsis geringer ausgeprägt ist als beispielsweise in Deutschland und Österreich."

    Wo komplizierte Verwaltungsvorgänge bis vor kurzem noch verkündet wurden, statt sie mit den Bürgern zu diskutieren. Offensichtlich noch ein Relikt aus preußischer Kaiser-Zeit, das am Beispiel der einfachen schwedischen und der komplizierten, arbeitsintensiven deutschen Steuererklärung deutlich wird. Renate Mitterhuber, Leiterin eGovernment und IT Strategie der Hansestadt Hamburg, versucht die Behördenmitarbeiter dazu zu bewegen, sich auch im Internet und in Webforen über Hamburger Probleme zu informieren, um dort vielleicht auch dort Anregungen und Lösungsvorschläge zu finden:

    "Bei dem Thema Web 2.0, Social Media und Open Government schlägt natürlich zu, dass wir eine bestimmte Verwaltungskultur haben, die von bestimmten Prozessen geprägt ist und diese Prozesse stehen in einem doch - gewissen Widerspruch zu dem, wie die Kultur des Web 2.0 und Open Government ist."

    Deutschlands einzige Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, Gisela Erler im Staatsministerium aus Baden-Württemberg, beschäftigt sich derweil damit, wie Staat und Bürger auf Augenhöhe kommunizieren können:

    "Politisch geht es bei Bürgerbeteiligung schon darum zu sagen, wie schaffen wir es, die Informationen, die in den Daten stecken, wirklich herauszubringen und zu verknüpfen mit den Menschen, im Stadtteil, in der Schule auch in der Regionalplanung, in der kleinen Kommunalpolitik, damit sie damit wirklich etwas anfangen können, von unten her. Und mich jetzt einfach - ich sag's mal krass - zu opfern von Informationsmaklern und Beratungsunternehmen werden?"