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Online-Konzerne bestimmen die Entscheidungen, die wir treffen

Datenschutzgesetze allein reichen nicht, um die digitale Privatheit der Nutzer zu schützen. Auch starke zivilgesellschaftliche Kräfte sind wichtig. Denn die großen Digitalkonzerne machen mit diesen Daten ihre Milliardengeschäfte - und verfügen international über eine starke Lobby.

Peter Welchering im Kollegengespräch mit Manfred Kloiber | 18.05.2019
Die Logos von WhatsApp und Facebook leuchten auf einem Smartphone-Bildschirm.
Kontrolle über die eigenen Daten? Das sei eine Illusion, meinen Experten. (picture alliance / Jaap Arriens)
"Es gibt internationale Vorschriften. Ich bin zuversichtlich, dass es weiterhin viele internationale Aktivitäten geben wird und viele internationale Vorschriften, unabhängig davon, ob diese Vorschriften funktionieren oder nicht. Das ist nämlich eine ganz andere Frage."
Manfred Kloiber: Diese ganz anderen Fragen warf Professor Colin Bennett, Politikwissenschaftler an der Universität von Victoria in Kanada, auf der Konferenz über Online-Privatheit auf, die am Donnerstag und Freitag an der Universität Hohenheim stattfand. Hatten die Wissenschaftler denn konkrete Vorschläge, wie wir Privatheit absichern können, Peter Welchering?
Datenschutzgesetze allein reichen nicht
Peter Welchering: Auf der Hohenheimer Tagung wurde ein ganzer Strauß von Maßnahmen diskutiert. Und dabei wurde eben deutlich, dass Datenschutzgesetze allein eben nicht ausreichen. Auch technische Maßnahmen allein reichen nicht aus. Wir brauchen starke zivilgesellschaftliche Kräfte, die für die Privatsphäre der Menschen kämpfen. Und wir brauchen ein Problembewusstsein bei den Plattformanbietern. Wenn man sich da die großen Datenkonzerne anschaut, also Facebook, Google & Co., dann ist dieses Problembewusstsein bei diesen Internetkonzernen überhaupt nicht ausgeprägt. Da muss politischer Druck her. Den aber wollen weder die Europäische Kommission in Brüssel, noch der Deutsche Bundestag, noch die meisten Regierungschefs ausüben. Mit der Datenschutzgrundverordnung ist ein exzellentes gesetzliches Instrument geschaffen worden, um Privatheit durchzusetzen. Allerdings muss dieses Instrument politisch durchgesetzt werden, damit seine Anwendung auch wirklich Konsequenzen hat. Da gilt mal wieder der alte Spruch: Gesetze müssen mit Leben gefüllt werden.
Klober: Nicht nur um die Frage, wie Datenschutzbestimmungen mit Leben gefüllt werden können , damit sie tatsächlich Wirkung zeigen, ging es auf der Hohenheimer Tagung, sondern auch um technische und kommunikationswissenschaftliche Aspekte.
Online-Konzerne diktieren die Entscheidungen
Colin Bennett: "Wir können dieses Problem nicht nur gesetzlich angehen. Wir brauchen auch technisches Design für Privatsphäre. Wir brauchen auch eine angemessene Selbstregulierung durch Organisationen. Wir brauchen prominente Anwälte der Zivilgesellschaft, die die Bürger über ihre Rechte aufklären können. Und wir brauchen auch internationale Abkommen. Es ist nicht die eine Lösung. Es ist eine Vielzahl von verschiedenen Instrumenten, die verwendet werden müssen, um dieses Problem anzugehen."
Das gab Colin Bennett gewissermaßen als Motto vor. Doch eine solche Vielzahl von verschiedenen Instrumenten, um Privatheit zu stärken, erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit. Schon allein die technische Entwicklung erzwingt das, meint Sabine Trepte, Professorin für Medienpsychologie an der Universität Hohenheim.
"Ich kann mir vorstellen, dass ein Grund ist, dass Technik generell mehr usable geworden ist. Wenn Sie überlegen, für was wir früher alles Administratoren brauchten und technischen Support und wie wenig das heute erforderlich ist, wie viel ich mir zu Hause aufbauen kann und etablieren kann, ohne irgendwann oder irgendwie mit jemandem gesprochen zu haben, der sich damit auskennt, dann bedeutet das ja, dass die Techniker, die Informatiker immer mehr verstehen müssen was die User wollen, um diesen hohen Standard aufrechtzuerhalten. Und da kommen natürlich die Kommunikationswissenschaftler ins Spiel, die sagen: Ja, so denken Menschen, so fühlen Menschen, und das ist das Verhalten, was sie zeigen, wenn sie die Angebote nutzen."
Das setzt eine Menge empirischer Arbeit voraus.
Sabine Trepte: "Wir fangen oft an mit qualitativen Studien, einfach um zu verstehen, was die User umtreibt und was wir möglicherweise vergessen. Wir arbeiten aber auch viel mit quantitativen Studien, zum Beispiel mit einer Längsschnitt Studie über sechs Jahre, wo wir begleiten wollen: Was treibt Menschen um im Hinblick auf Privatheit, im Hinblick auf ihren Anspruch an Sicherheit und wie sie umgehen mit ihren Daten."
Aus solchen empirischen Bestandsaufnahmen zu den Ansprüchen an Privatheit und den Umgang mit den eigenen Daten und den Daten fremder Menschen, entstehen dann detaillierte Analysen. Ein solches Analyseergebnis hat Woodrow Hartzog, Rechtsprofessor und Computerwissenschaftler an der Northeastern University in Boston vorgetragen.
"Kontrolle ist doch eine Illusion, weil Unternehmen die Entscheidungen, die wir treffen, diktieren. Wir können nur aus wenigen Optionen auswählen, und es kann sehr schwierig sein, diese Entscheidung zu treffen. Das alles ist eine Illusion, denn wir werden so oft gefragt, dass wir schlicht überwältigt sind. Das ist wie bei einem Kind, das um ein Eis bittet. Irgendwann können wir diese Bettelei nicht mehr hören, und geben nach und sagen ja. Auf diese Weise können Unternehmen den Kontext, in dem wir Entscheidungen treffen, manipulieren, um zu einem Ja zu gelangen."
Die Datenschutzbehörden müssen daraus Konsequenzen ziehen, fordert Woodrow Hartzog.
"Mein Argument ist, dass die Aufsichtsbehörden sensibler für den Kontext sein müssen, in dem wir diese Entscheidungen treffen müssen. Es reicht also nicht aus, nur die Zustimmung zu fordern, sondern die Zustimmung muss in einem Kontext erfolgen, in dem wir nicht manipuliert werden, wo wir nicht überwältigt werden und in dem wir wirklich ein Gefühl für die Entscheidungen haben, die wir treffen."
Facebook & Co. schätzen Privatheit nicht
Klober: Mit anderen Worten, mit einem Button samt schnellem Klick für die Einverständniserklärung, dass meine Daten vom Plattformbetreiber weiterbearbeitet, zu Profilen verdichtet werden und ähnliches, soll es nicht mehr getan sein. Das gehörte ja mal zu den politischen Programmen der kritischen Informatiker wie "Privacy by Design". Werden die wieder wichtiger, Peter?
Welchering: Die werden zumindest weiterentwickelt. Ob "Privacy by Design" dann Wirkung zeigt, hängt ganz wesentlich davon ab, wie ernst solche Forderungen von Google, Facebook & Co. genommen werden, ob die überhaupt bereit sind, das umzusetzen. Und da sieht es schlecht aus. Die großen Internet-Konzerne schätzen Privatheit ihrer Nutzer nicht allzu sehr. Denn das erschwert ihr Geschäftsmodell. Und da sie ein aufwändiges Lobbying betreiben, in Brüssel, in Berlin, in Paris nutzt eben auch eine Datenschutzgrundverordnung nur sehr bedingt. Denn mit einer Einverständniserklärung ist immer noch sehr viel machbar für die Konzerne. Und deshalb bekämpfen Facebook und andere natürlich auch solche Forderungen nach Kontextualisierung.
Zivilgesellschaft ist gefragt
Klober: Wie sieht es mit der Zivilgesellschaft aus? Die haben ihren Kampf um Privatheit ja beachtlich verstärkt, in Europa wie in den USA.
Welchering: Ja, das Problem dabei liegt in der mangelnden Förderungen und der oftmals zu geringen finanziellen Ausstattung zivilgesellschaftlicher Gruppen. So wurde in Hohenheim etwa das Prinzip "Privacy by Obscurity" diskutiert. Ein sehr mächtiges Prinzip. Um hier entsprechende Anwendungen zu schaffen, braucht’s gut aufgestellte gesellschaftliche Gruppen.
Klober: Na, von "Security by Obscurity" haben wir uns doch gerade verabschiedet. Wie soll denn da Privatheit durch Verdunkelung funktionieren?
Welchering: Das geht nach dem Prinzip der Nadel im Heuhaufen. Damit die nicht so schnell gefunden werden kann, muss es möglichst viele Heuhaufen geben. Angewandt aufs Tracking etwa würde das bedeuten: Ein Plugin sorgt dafür, dass mein Browser zehntausende von Seiten ansurft. Dann hat er so viele Trackingdaten ohne Bedeutung produziert, dass aus der Gesamtheit meiner Trackingdaten nicht mehr so einfach wie bisher meine Interessen analysiert werden können. Und darüber hinaus müssen wir bei allen Techniken, die neu entwickelt werden, stets daran denken: Beseitigt die vielleicht Obscurity. Ich weiß zum Beispiel nicht mehr, neben wem ich gestern in der S-Bahn saß, Obscurity. Eine in die Brille integrierte Gesichtserkennung mit Speicherfunktion würde diese Obscurity beseitigen. Ich könnte mir im Nachhinein anschauen, er denn da neben mir in der Bahn gesessen hat.
Klober: Vom Prinzip der Obscurity werden Google & Co aber auch nicht gerade begeistert sein?
Welchering: Natürlich nicht, das schränkt den Handel mit Profildaten massiv ein. Deshalb ist es so wichtig, dass zivilgesellschaftliche Gruppen sich hier engagieren. Allein der Privacy-Stick von Digitalcourage hat bei nicht wenigen Facebook-Managern zu massivem Unwohlsein geführt. Solche Initiativen und solche Anwendungen sind enorm wichtig, damit Privatheit im Netz weiterhin möglich ist. Die Diskussion um die Klarnamenpflicht samt Anmeldezwang für bestimmte Netzdienste, die aber gerade geführt wird, zeigt aber auch, dass genau diese Zivilgesellschaft es schwer hat. Sie steht nämlich einer ziemlich unheiligen Allianz gegenüber. Da sind Sicherheitspolitiker, die Privatheit aus teilweise ziemlich schräg gedachten sicherheitspolitischen Voraussetzungen heraus einschränken wollen. Und die sind dann plötzlich auf der Linie mit den großen Datenkonzernen, die Privatheit nicht mögen, weil das ihr Geschäft mit den Daten einschränkt. Da liegt die eigentliche Gefahr.
Klober: Über die Illusion der Privatheit im Netz berichtete Peter Welchering, danke.