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O'zapft is!

Das Oktoberfest ist so selbstverständlich wie Ostern oder Weihnachten. Dennoch gab es immer wieder Pausen, die längste Pause zwischen 1939 und 1948. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg fand ein Herbstfest statt. Gegen Brot- und Fleischmarken gab es Dünnbier, Fischsemmeln und gebratene Würste.

Von Carola Zinner | 17.10.2010
    München im Oktober 1810. Der bayerische Kronprinz Ludwig heiratet Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen. Und Bayern feiert. Fünf Tage lang reiht sich eine Veranstaltung an die andere. Für das Volk gibt es Freibier, kostenloses Essen – und am 17. Oktober ein Pferderennen, veranstaltet von der Nationalgarde auf einer weiten Freifläche draußen vor der Stadt. Der Erfolg ist so groß, dass den König noch während des Festes die Bitte erreicht, das Rennen im nächsten Jahr zu wiederholen und

    "… die Wiese zum bleibenden Andenken Theresiens Wiese benennen zu dürfen."

    Die Braut Therese kann sich nur mäßig über die Ehre freuen - sie leidet schon seit Tagen an Zahnweh. Ihr Mann hingegen, Kronprinz Ludwig, zeigt sich entzückt:
    "Volksfeste freuen mich besonders. Sie sprechen den Nationalcharakter aus, der sich auf Kinder und Kindes-Kinder vererbt. Ich wünsche nun auch Kinder zu erhalten; und sie müssen gute Baiern werden."

    Erst seit wenigen Jahren ist Bayern Königreich. Gleichzeitig hat es - dank Napoleon - neue Gebiete dazu gewonnen. Allerdings fehlt es den fränkischen, schwäbischen und altbayerischen Untertanen noch am richtigen Gemeinschaftsgefühl. Und genau da soll das Nationalfest Abhilfe schaffen. Der Oktoberfest-Experte Florian Dehring vom Münchner Stadtmuseum.Florian Dehring:

    "Zum Beispiel hat man bayernweit die Leute aufgefordert, mit ihren Produkten und mit ihren Tieren nach München zu kommen und die sind dann vorm Königszelt mit ihren Kühen und Pferden und Schafen vorbeigezogen und haben dann diese Medaillen gekriegt. Und wenn man einen Preis gewonnen hat, dann hat man richtig Geld gekriegt."

    Ehrenmedaillen für treue Dienstboten, freie Verköstigung für brave Feiertagsschüler - es gibt sogar einen "Weit-Preis" für den Besucher, der von seinem - bayrischen - Heimatort aus den weitesten Weg zur Hauptstadt zurückgelegt hat.
    Über 60 Jahre lang finden die Veranstaltungen rund um den 12. Oktober statt, dem Namenstag des bayerischen Königs Maximilian. Erst 1872 rutschen sie im Kalender nach vorne: Nun beginnt das Fest bereits in der letzten Septemberwoche - des besseren Wetters wegen. Das Volk kommt prompt in Scharen. Florian Dehring:

    "Da waren 50.000, 100.000 Leut’ an diesen Haupttagen manchmal da, und die königliche Familie im Königszelt, wenn die gekommen sind, das war praktisch der Höhepunkt des Festes. Dass man der Monarchie huldigt und dass man der königlichen Familie huldigt."
    Natürlich wollten die vielen Besucher auch essen und trinken. Die Verköstigung auf der "Wiesn" begann recht bescheiden mit kleinen Ständen, an denen es Obst und Brezen zu kaufen gab; Bier wurde in Hütten ausgeschenkt, die Kundschaft saß im Freien.

    Mitte des 19. Jahrhunderts dann begannen Münchner Brauer die neuen technischen Möglichkeiten zu nutzen, die Lindes Kühlmaschine bot. Bier wurde zur "Münchner Spezialität" - und zum zentralen Element des Oktoberfestes. Heute ist es Höhepunkt jeder "Wiesn", wenn der Oberbürgermeister bei der Eröffnungszeremonie das erste Fass anzapft. Danach geht es rund: Millionen von Besuchern trinken Millionen Liter Bier, tanzen auf den Tischen und schreien laut die Melodien mit, die aus Verstärkern dröhnen. Aus dem einstigen National-Fest wurde der Welt größter National-Rausch.

    Der Aufstieg - oder Abstieg - des Oktoberfestes begann ab etwa 1960, als die Tourismusindustrie anfing, die "Wiesn" in der ganzen Welt als "typisch deutsch" zu vermarkten und damit Besucher aus aller Welt nach München holte. Heute ist Werbung überflüssig - es geht eher darum, die Massenströme im Griff zu behalten: An vielen Tagen hängen schon um elf Uhr vormittags die gefürchteten Schilder vor den Zelten: wegen Überfüllung geschlossen!

    Rauchverbot, Sicherheitssperren, Bombenalarm: Der Reiz des Riesenfestes ist anscheinend durch nichts zu brechen. Und doch, so Florian Dehring, gilt auch in diesem Falle: das einzige, was von Dauer ist, ist die Veränderung:

    "Es kann durchaus sein, dass das sich einmal wieder wandelt, und dass wir vielleicht in zehn oder 20 Jahren die Jugendlichen sagen, geh hör mir doch auf mit dem Schmarren."

    Und es kann durchaus auch sein, dass mancher Bewohner der Stadt dann erleichtert aufatmet.