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OB-Wahl in Hannover
Historische Niederlage für SPD

Seit 1946 war die Stadt Hannover fest in SPD-Hand. Bis der bisherige Oberbürgermeister Stefan Schostok wegen einer Untreue-Affäre zurücktreten musste. In einer vorgezogenen Wahl bekam die Partei die Quittung: Ihr Kandidat hat es nicht in die Stichwahl geschafft. CDU und Grüne dagegen freuen sich.

Von Alexander Budde | 28.10.2019
Delegierte der SPD stimmen ab
Abstimmung bei der SPD (dpa / Sebastian Gollnow)
Eine Discokugel baumelt von der Decke, an den Wänden ringsum hängen signierte Fotos und Trikots der Hannover-96-Helden. Die SPD hat zur Wahlparty ins Vereinslokal Nordkurve geladen - doch schon mit den ersten Auszählungsergebnissen verflüchtigt sich die sportlich-heitere Stimmung. Beschämt schauen SPD-Anhänger auf ihre Mobiltelefone, andere zieht es bereits an die Bar, um ihren Kummer im Alkohol zu ertränken:
"Enttäuscht natürlich, was soll sein? Wir haben getan was wir konnten, aber der Wähler und die Wählerin haben das Wort."
"Die Hoffnung stirbt zuletzt, wie man immer sagt – aber, naja – es wird sehr, sehr schwierig. Im Moment ist es wie in der GroKo in Berlin – egal was passiert, die SPD wird abgestraft."
"Aber ich denke mal, irgendwann werden die Menschen merken, dass man die Sozialdemokratie braucht – und ich hoffe, dann ist es nicht zu spät!"
Für SPD-Kandidat Marc Hansmann ist das Spiel tatsächlich kurz darauf gelaufen. Die Sensation ist perfekt: Mit 23,5 Prozent der Stimmen scheidet Hansmann abgeschlagen bereits im ersten Wahlgang aus. CDU-Kandidat Eckhard Scholz und Belit Onay von den Grünen liegen mit jeweils 32,2 Prozent gleichauf und gehen in die Stichwahl in zwei Wochen.
"So, liebe Genossinnen und Genossen! Das sieht nicht gut aus. Das ist nicht mehr aufzuholen, da müssen wir ehrlich sein miteinander..."
Die SPD regiert Hannover - seit 1946 fast ein Naturgesetz
Die SPD regiert Hannover, das war seit 1946 so etwas wie ein Naturgesetz. Doch dann strauchelte der gewählte Oberbürgermeister Stefan Schostok über die so genannte Rathausaffäre. Schostok hat sich nicht selbst bereichert. Es geht um mögliche Vetternwirtschaft durch seinen Personaldezernenten und illegale Gehaltszulagen für seinen Büroleiter. Im Frühjahr klagte die Staatsanwaltschaft Schostok wegen schwerer Untreue an – das zwang ihn aus dem Amt. Mit der schnellen Nominierung ihres Kandidaten Hansmann, erfahren als Manager und Finanzdezernent, hatte die SPD die politische Konkurrenz zunächst noch geschockt. Nach seiner Wahlniederlage will der 49-Jährige auf seinen Vorstandsposten beim lokalen Energieversorger Enercity zurückkehren. In Sack und Asche geht er nicht von der politischen Bühne:
"Wir haben alles gegeben als SPD und ich selbst habe auch alles gegeben. Sicherlich ist der Bundestrend gegen die SPD gewesen. Wir hatten hier im Rathaus auch schwierige Zeiten die letzten zwei Jahre – und wieweit ich als Kandidat gezogen, oder auch eben nicht gezogen habe, müssen wir eben auch noch mal analysieren."
Zur Ikone reifte einst Herbert Schmalstieg, der 1972 als 28-Jähriger ins Rathaus einzog, erst 2006 dort als Verwaltungschef ausschied. Schmalstieg, im roten Pullover, die Stirn tief in Falten, spielt Schostock an diesem bitteren Abend für die SPD den Schwarzen Peter zu. Schostock, einnehmend aber entscheidungsschwach, sei im Grunde mit der Stadtverwaltung und ihrem Apparat von 11.000 Beamten überfordert gewesen, so Schmalstieg:
Schostok bekommt den Schwarzen Peter zugeschoben
"Ich habe Stefan Schostock sehr geschätzt als Menschen und er hat auch viele Bereiche gut gemacht. Aber er hat auch seinen Beitrag dazu geleistet, dass viele Menschen sagten: das hat die SPD hier in Hannover etwas verspielt."
Unterdessen lässt sich Eckhard Scholz auf der Wahlparty der CDU frenetisch bejubeln. Scholz, Jahrgang 1963, tritt als parteiloser Kandidat auf. Der Ex-Vorstand der in Hannover ansässigen Nutzfahrzeugsparte von VW wird aber von der Union unterstützt. Den staugeplagten Hannoveranern verspricht Scholz einen Neustart in der Verkehrspolitik, mehr Investitionen in Radwege und den öffentlichen Nahverkehr. In kürzester Zeit sollen tausende bezahlbare Wohnungen entstehen, indem Stadtquartiere verdichtet oder schlicht die Genehmigungsverfahren in den Amtsstuben beschleunigt werden. Für die schleppende Bürokratie macht Scholz die so wörtlich "jahrzehntelange Monokultur im Rathaus" verantwortlich. Um in der Stichwahl zu obsiegen, will Scholz nun Brücken bauen – als Oberbürgermeister müsste er sich mit der Ratsmehrheit von SPD, Grünen und FDP verständigen.
CDU vs. Grüne in der Stichwahl
"Ich bin ganz bewusst auch als parteiloser Kandidat angetreten, weil ich auch mehr Menschen erreichen will als über die übliche Wählerklientel der CDU hinaus. Auf der anderen Seite fühle ich mich natürlich auch den Werten und der Partei CDU sehr verbunden. Und bin da super dankbar für die Unterstützung, wir werden wieder als gemeinsames Team antreten."
Auch Grünen-Kandidat Belit Onay, an diesem Abend vielgefragtes Selfie-Motiv, hofft - mit oder ohne Wahlempfehlung der SPD - möglichst viele der traditionell linksgerichteten Wähler in Hannover auf seine Seite ziehen zu können. Onay wirbt für eine autofreie Innenstadt bis 2030 und will die Kulturhauptstadt-Bewerbung Hannovers nutzen, um Hannovers Start-up-Szene zu beflügeln.
"Ich bin selbst ja rot-grün sozialisiert, ich habe im Rat rot-grüne Politik gemacht, viele Jahre auch im Landtag. Ich glaube, für viele Wählerinnen und Wähler der SPD kann ich auch ein ernstes Angebot machen. Und ich bin froh, dass wir viele davon überzeugen konnten, dass die Stadt einen Aufbruch braucht. Und dass der eben für bezahlbaren Wohnraum, für ein besseres Klima und für soziale Teilhabe in dieser Stadt gelten muss."
Onay geht optimistisch in die Stichwahl – und versucht dabei auch mit seiner Biographie zu punkten. Seine Eltern sind aus der Türkei zugewandert. Onay hat als erster in seiner Familie studiert. Der Jurist ist gut vernetzt in der Stadtgesellschaft, profilierte sich zudem als Innenpolitiker im Landtag.