Donnerstag, 18. April 2024

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Obama in Kuba
"Eine neue Ära der US-Lateinamerika-Politik eingeläutet"

Der Kuba-Besuch des amerikanischen Präsidenten wird von vielen Seiten kritisiert. Für diese Kritik gebe es keinen Grund, sagte der Politikwissenschaftler Michael Werz vom Center for American Progress im Deutschlandfunk. Es habe große und wichtige Schritte gegeben, die das Vorgehen der Obama-Administration vollkommen legitimierten.

Michael Werz im Gespräch mit Bettina Klein | 22.03.2016
    Der deutsche Politikwissenschaftler Michael Werz.
    Der deutsche Politikwissenschaftler Michael Werz. (imago / GlobalImagens)
    Man müsse die Kuba-Aktivitäten von Präsident Obama im Rahmen einer größeren Strategie sehen. Es sei sein Anspruch eine westliche Hemisphäre zu schaffen, Nord- und Südamerika zusammenzuführen. Kuba sei bisher in diesem Prozess ein Stolperstein gewesen. Es habe ungeheure Öffnungen gegeben, die noch vor einem Jahr vollkommen undenkbar gewesen seien. Barack Obama habe eine neue Lateinamerika-Politik der Vereinigten Staaten eingeläutet.
    Der Präsident habe deutlich gesagt, dass in Sachen Menschenrechte keine Kompromisse gemacht würden. Das seien Dinge, die man verhandeln müsse, und man könne sich bei Barack Obama darauf verlassen, dass er sich auch in diesem Thema "so starrsinnig und dickköpfig gibt wie immer". Den Vorwurf zu formulieren, dass die Frage der Menschenrechte vollkommen ignoriert würde, sei einfach nicht fair.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Viele Exilkubaner haben inzwischen ihren Frieden gemacht mit der Annäherung der USA an ihre Heimat. Das haben wir in der vergangenen Stunde gerade hören können. Kritischer sehen das allerdings Menschenrechtsgruppen und viele Anhänger der Republikanischen Partei. Der politische Vorwurf der Gegner dieser Politik von Barack Obama, dieser Politik der Öffnung lautet: wir haben viel zu wenig bekommen, die USA sind in Vorleistung getreten, ohne substanzielle Fortschritte für Menschenrechte und Demokratie in Kuba erhalten zu haben.
    Michael Werz arbeitet als Senior Fellow am Center for American Progress, ein Think Tank, eine Denkfabrik in Washington, formal unabhängig. Sie steht allerdings inhaltlich der Obama-Regierung nahe. Ich habe ihn gefragt: Es gab ja selbst am Vorabend des Besuches noch Massenverhaftungen. Wie kann man angesichts dessen diesen Besuch eigentlich als Erfolg verbuchen?
    Michael Werz: Es ist ein großer Erfolg und man kann sich dieser Kritik eigentlich nur verschreiben, wenn man einen sehr beschränkten Eindruck davon hat, wie Politik funktioniert, und auch, wie Liberalisierungsprozesse innerhalb autoritärer Gesellschaften sich abspielen. Die Konzessionen, die die kubanische Regierung gemacht hat, was die Investitionen von Privatwirtschaft, den Zugang zu Telekommunikation (sehr wichtig für die Kubanerinnen und Kubaner), die Möglichkeit, auf niedriger Ebene privatwirtschaftlich aktiv zu werden, in die USA zu reisen mit Aufhebung der Ausreise-Visa, die die Kubanerinnen und Kubaner noch bis vor kurzem brauchten, das sind große und wichtige Schritte gewesen, die das Vorgehen der Obama-Administration vollkommen legitimieren. Und der Präsident hat ja auch darauf bestanden, dass die Situation nicht perfekt ist und dass es noch Jahre dauern wird, bis Kuba sich konsolidiert. Das wissen alle, auch Barack Obama, und er hat das auch so erwähnt.
    Klein: Andere sagen, es ist ein Sieg für die Castros, die sich durchgesetzt hätten, denn bisher lautete die Devise der USA ja: Keine Öffnung, solange die an der Macht sind.
    Werz: Ja, das war eine ziemlich dogmatische und unverantwortliche Politik, die von vielen Administrationen, demokratischen wie republikanischen, über ein halbes Jahrhundert hindurch gehalten wurde und auch ungeheure strategische Nachteile für die USA in der gesamten westlichen Hemisphäre mit Blick auf die anderen lateinamerikanischen Staaten bewirkt hat und zur Konsequenz gehabt hat. Man muss einen Schritt zurücktreten und die Kuba-Aktivitäten von Barack Obama im Rahmen einer größeren und weiter gefassten Strategie, zu der auch der Friedensprozess in Kolumbien, die engere Zusammenarbeit mit Mexiko, die Neuaufnahme der Beziehungen mit Argentinien und auch das enge kanadisch-amerikanische Verhältnis gehören. Barack Obama ist hier sehr ambitioniert und er will wirklich eine westliche Hemisphäre schaffen, Nord- und Südamerika zusammenführen, und da war Kuba ein Stolperstein, der beseitigt werden musste.
    Klein: Menschenrechtsgruppen protestieren dennoch dagegen, obwohl auf der anderen Seite die Mehrheit der Amerikaner sich ja auch längst für eine Öffnung ausgesprochen hat. Viele sind ganz wild danach, Kuba endlich zu sehen, möglichst solange es noch so aussieht wie vor 50 Jahren. Aber werden in der Praxis dann doch die Menschenrechte geopfert auf dem Altar des Business?
    "In Sachen Menschenrechte keine Kompromisse gemacht werden"
    Werz: Nein, das kann man so nicht sagen. Der US-amerikanischen Wirtschaft entgehen zwar schätzungsweise zwei Milliarden Dollar pro Jahr dadurch, dass sie in Kuba nicht aktiv sein können. Gemessen an einer Gesamtwirtschaftsleistung, die um ein Vielhundertfaches höher liegt, ist das überhaupt kein relevantes Argument. Es ist richtig, dass es ungeheures aufgestautes Interesse hier in den USA gibt. Der US-Tourismus und die Besucherzahlen sind explosionsartig angestiegen und nach dem Besuch von Barack Obama rechnet man auch damit, dass bis dass bis zu 110 Direktflüge etabliert werden zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba. Der Postverkehr wurde ja schon vor einigen Tagen aufgenommen. Zu sagen, dass sich die Frage von Menschenrechten, Selbstbestimmung und demokratischem Pluralismus nur daran bemisst, wie viele Leute jetzt im Knast stecken, so unentschuldbar das auch sein mag, das greift zu kurz.
    Veränderungen brauchen frische Luft zum Atmen, Zugang zu Informationen. Es werden neue Kubanerinnen und Kubaner in den politischen Prozess und die Frage darüber, wie man sich eine kubanische Zukunft vorstellt, eingebracht werden. Der Präsident hat es ganz deutlich gesagt und auch seine nationale Sicherheitsberaterin in einer Grundsatzrede vor zwei Tagen, dass in Sachen Menschenrechte keine Kompromisse gemacht werden. Das sind Dinge, die man verhandeln und auch politisch versuchen muss durchzusetzen, und bei Barack Obama kann man sich darauf verlassen, dass er so starrsinnig und dickköpfig sich geben wird wie immer.
    US-Präsident Obama und Kubas Staatschef Castro bei einer Pressekonferenz in Havanna
    US-Präsident Obama und Kubas Staatschef Castro bei einer Pressekonferenz in Havanna (dpa/picture alliance/Alejandro Ernesto)
    Klein: Das heißt aber, man appelliert dann an die Geduld der Leute, die weiterhin verzweifelt auf Änderungen warten, die eben nicht kommen in Kuba?
    Werz: Nein, überhaupt nicht. Ich meine, man muss ja sehen, was sich getan hat bisher. Die Tatsache, dass es mehr oder weniger freien Zugang zu Informationen gibt inzwischen, die Möglichkeit, dass Kubanerinnen und Kubaner in die USA reisen können, jetzt hier auch in der Lage sind, auf ihren kubanischen Visa Tätigkeiten auszuüben, bezahlt zu werden, an Universitäten sich einschreiben zu können, das sind ungeheure Öffnungen, die noch vor einem Jahr vollkommen undenkbar gewesen wären. Und dass die kubanische Regierung jetzt verzweifelt versucht, über das Zentralorgan Granma das als Sieg zu verkaufen, das mag in einem etwas engstirnigen Sinne ein Versuch sein, sich noch über die letzte Hürde zu retten. Aber es ist vollkommen klar, dass dieses System abgewirtschaftet hat und dass die Veränderungen Veränderungen sind, die mit rasender Geschwindigkeit vor sich gegangen sind in den letzten zwölf Monaten, und diese Geschwindigkeit wird sich nicht vermindern und das wird auch mittelfristig eine Lösung der Frage bringen, wie viele der Dissidenten und derjenigen, die sich jetzt noch in Haushaft oder in Gefängnissen befinden, dort verbleiben werden. Das ist eine der großen Prioritäten der Obama-Administration und jetzt hier den Vorwurf zu formulieren, dass hier die Frage der Menschenrechte vollkommen ignoriert würde, das ist einfach nicht fair.
    Klein: Die Hoffnung ist, "How do we end Communism”, mit John Lennon gesprochen, "with Coca Cola, Blue Jeans and Rock ’n’ Roll”. Darauf setzt die US-Regierung?
    Werz: Ja klar. Aber es ist ja auch kein doktrinärer Realsozialismus osteuropäischer Prägung. Fidel Castro hat ja selbst immer vom Socialismo Tropical, vom tropischen Sozialismus gesprochen. Die Beziehungen zu den USA sind auch traditionell eng, es gibt diese stark kulturellen Bindungen gerade nach Florida, darum ja auch diese Baseball-Diplomatie. Heute wird der Präsident zusammen mit Raul Castro ein Spiel der kubanischen Nationalmannschaft im Baseball gegen die Mannschaft aus Tampa Bay sich ansehen. Das legt die Grundlagen dazu, auch auf diesem Gebiet der Kultur, der kulturellen Öffnungen deutliche Schritte in die richtige Richtung zu gehen, und das wird natürlich auch Sekundäreffekte haben für alle diejenigen, die bisher ihre freie Meinung nicht äußern können.
    Klein: Eine knappe Mehrheit der Exilkubaner ist ja inzwischen auch für die Öffnung. Vielleicht noch ein Wort zum Embargo. Das bleibt ja weitgehend in Kraft, weil der Kongress es aufheben muss mit republikanischer Mehrheit, und die ist gegen die Aufhebung. Würde denn Obama, würden die Demokraten, denn es tatsächlich komplett aufheben, wenn sie könnten, oder ist auch aus Sicht der US-Regierung der Hintergedanke, das als eine Art Druckmittel zu behalten, bis wirkliche Reformen in Kuba greifen?
    Werz: Absolut. Das ist genau die Idee zu sagen, die Wirtschaftssanktionen werden sukzessive erleichtert und abgeschafft. Dazu bedarf es auch einer ganzen Reihe von Gesetzesänderungen. In 50 Jahren hat es einen ganz schönen Stau gegeben von Gesetzen, die Kuba versucht haben zu isolieren und in den ökonomischen Möglichkeiten einzuschränken. Aber es ist vollkommen klar, dass es hier ein "quid pro quo" gibt. Im Moment sieht es so aus, als ob die Kubaner sich darauf einlassen, weil auch die Regierung weiß, dass es in ihrem eigenen aufgeklärten Interesse ist und auch gegen die Mehrheit der Bevölkerung in Kuba nicht mehr anders durchsetzbar.
    Klein: Wir befinden uns mitten im Wahlkampf in den Vereinigten Staaten. Was könnte denn rückabgewickelt werden, wenn die Demokraten das Weiße Haus etwa im November verlieren würden?
    Werz: Nun ja. Die Chancen, dass die Demokraten das Weiße Haus verlieren, sind ja im Moment, soweit man das sagen kann mit der noch verbleibenden Vorlaufzeit, nicht besonders groß. Aber es ist auch schwierig, solche Prozesse der Öffnung wieder zu revidieren. Es wäre ja schwer vorstellbar, dass ein Präsident sagt, wir werden jetzt versuchen, nachdem es Fortschritte gegeben hat in bilateralen Beziehungen und auch die kubanische Community in Florida, die ja sehr groß ist und fast zwei Millionen Menschen insgesamt umfasst, dass man hier versucht, jetzt wieder Reisemöglichkeiten einzuschränken, den Finanztransfer, die Unterstützung von Familienmitgliedern. Das würde solche Kollateralschäden verursachen im sozialen und politischen Bereich, dass das nur sehr schwer vorstellbar ist.
    Klein: Obama wird ja heute am Dienstag in Havanna sprechen. Die Rede wird live übertragen werden im kubanischen Fernsehen. Das wurde schon angekündigt. Womit wird er denn versuchen, die Kubaner für sich und für die Werte der Demokratie zu gewinnen?
    "Ein schwarzer Präsident kann auf Kuba stark argumentieren"
    Werz: Nun ja. Barack Obama hat ja ein starkes Argument, weil er selbst auch jemand ist, der vom Rand der amerikanischen Gesellschaft in das Machtzentrum vorgestoßen ist und auch für dramatische Veränderungen in der politischen Kultur hier in den Vereinigten Staaten steht. Insofern hat er eine durchaus überzeugende persönliche Geschichte zu erzählen. Kuba ist eine Gesellschaft, in der Afrokubaner nominell gleichberechtigt sind, aber es immer noch Diskriminierungen gibt. Das heißt, er als schwarzer Präsident wird dort auch sehr stark argumentieren können, dass das Emanzipationsversprechen, dass alle an Gesellschaft und an Prosperität teilhaben können, eben eines ist, das auch über Hautfarbengrenzen hinweg formuliert werden muss. Und das stärkste Argument ist: Er ist der erste Präsident in fast einem Jahrhundert, der Kuba besucht. Der letzte amerikanische Präsident kam auf Kuba auf einem Kanonenboot an, weil damals der spanisch-amerikanische Krieg tobte. Und er hat ein starkes Argument, weil er sagt, wir versuchen, die Beziehungen zu den lateinamerikanischen Ländern in einer neuen Phase zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu reformieren, und zwar auf gleicher Augenhöhe in einem kooperativen Kontext.
    US-Präsident Barack Obama und Kubas Staatschef Raúl Castro beim Empfang mit militärischen Ehren im Präsidentenpalast in Havanna.
    US-Präsident Barack Obama und Kubas Staatschef Raúl Castro beim Empfang mit militärischen Ehren im Präsidentenpalast in Havanna. (picture alliance / dpa / Michael Reynolds)
    Das gilt auch für seine Angebote, die er nach Brasilien gemacht hat, die engere Kooperation mit Mexiko, die massive US-amerikanische Unterstützung für den Friedensprozess in Kolumbien, der hoffentlich in diesen Tagen zu einem Abschluss kommt, und auch sein Angebot an Argentinien. Er wird sofort nach dem Besuch in Kuba nach Argentinien weiterreisen und der neuen demokratisch gewählten Regierung in Argentinien auch Kooperationsangebote machen. Und das ist genau die Politik, die auch viele lateinamerikanische fortschrittliche und linke Kräfte sehen wollen, legitimer Weise, und Barack Obama hat in der Tat eine neue Ära der Lateinamerika-Politik der Vereinigten Staaten eingeläutet.
    Klein: Welche Fortschritte bringt der Obama-Besuch in Kuba? Das war heute Morgen der Sozialwissenschaftler Michael Werz, Senior Fellow am Center for American Progress. Wir haben ihn vor der Sendung in Washington erreicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.