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Obdachlose in New York
Streit um Zwangsrettung vor dem Kältetod

Es gehe um Liebe und um Mitgefühl, sagt Andrew Cuomo, Gouverneur des Staates New York. In einer Verordnung hat er festgelegt, dass Polizei und Behörden Obdachlose zwangsweise in geeigneten Unterkünften unterbringen sollen - um sie vor dem Kältetod zu bewahren. Der harsche Ton der Anordnung kommt bei Helfern nicht gut an. Doch der Gouverneur bleibt unbeirrt.

Von Kai Clement | 05.01.2016
    Ein Obdachloser sitzt im Hauseingang einer Straße in der US-Metropole New York.
    New York City hat die meisten Obdachlosen der USA – mehr als 59.000 Menschen verbringen die Nächte in Heimen. (picture alliance / dpa / Maxppp)
    Es gehe um Liebe, um Mitgefühl – schlicht darum, einander zu helfen, sagt der eine. Das ist Andrew Cuomo, Gouverneur des Staates New York. Für ihn ist seine ab heute geltende Verordnung ein Gebot der Nächstenliebe, wie er telefonisch dem Fernsehsender NY1 erklärt. Für andere, vor allem Betroffene wie Michael Booth, bedeutet Verordnung Nr. 151 dagegen eine Entmündigung: "Wir sind bisher noch nie gezwungen worden, in ein Heim zu gehen, wurden immer gefragt."
    In der Verordnung des Gouverneurs heißt es wörtlich: "Alle sozialen Dienste, Polizei- (...) und staatlichen Behörden sollen (...) diejenigen Individuen ausmachen, die obdachlos und nicht willens oder fähig sind, den Schutz zu suchen, der für Gesundheit und Sicherheit bei schlechtem Winterwetter erforderlich ist und sie in geeigneten Unterkünften unterbringen." Und zwar dann, wenn die Temperaturen unter Null fallen.
    Harscher Ton kommt nicht gut an
    Niemand widerspricht dem Ziel, Menschen vor dem Kältetod zu bewahren. Der harsche Ton dieser Anordnung, der nach Zwang und Bevormundung klingt, kommt dagegen nicht gut an, auch nicht bei dieser ehrenamtlichen Helferin. "Man kann sie doch nicht zwingen. Manche haben einfach Angst." Die hat auch Michael Booth. Er findet die Unterkünfte vor allem gefährlich – das müsste geändert werden. Erst Ende Dezember hatte eine städtische Untersuchung erbärmliche Zustände bei den meisten Unterkünften angeprangert: Ungeziefer, Schimmel, kaputte Fenster.
    Joshua Goldfein arbeitet für die Legal Aid Society, eine Organisation, die Menschen berät, die sich keinen Anwalt leisten können. "Es ist doch kein Verbrechen, obdachlos und auf der Straße zu sein. Polizeiliche Maßnahmen sind nicht die richtige Antwort darauf. Wir sollten die Menschen lieber ermutigen, Schutz aufzusuchen. Aber dafür gibt es bessere Methoden als Polizisten." New York City hat die meisten Obdachlosen der USA – über 59.000 verbringen die Nächte in Heimen. Viele tausend Weitere haben gar kein Dach über dem Kopf. Für sie ruft die Stadt bei Frost den so genannten Code Blue aus – dann werden vermehrt Streetworker losgeschickt, um die Menschen von der Straße zu holen. Für alles andere brauche es ein neues Gesetz – nicht einfach eine Verordnung, lässt der Bürgermeister mitteilen. Und: die Stadt habe bereits alle Mittel, um gefährdete Menschen von der Straße zu holen.
    Berater des Gouverneurs rudert zurück
    Der Gouverneur bleibt unbeirrt. Wenn man ihn wegen seiner umstrittenen Verordnung verklagen wolle, dann sei das eben so. Er wolle die Menschen nur schützen. "Es ist nicht richtig, Brüder und Schwester an der Straßenecke zurück zu lassen. Es ist nicht richtig, Kinder dort zu lassen. Es ist nicht richtig, Heime zu haben, die so dreckig und unsicher sind, dass die Leute draußen bleiben."
    Einer seiner Berater rudert dagegen schon zurück – zwar gelte die Zwangsmaßnahme für psychisch kranke Obdachlose, nicht aber für mündige Menschen. Wer nun aber diese Schnellanalyse machen soll – und wer dafür bezahlt – das bleibt unklar. Wo Liebe und Mitgefühl drauf steht, scheint am Ende doch wieder nur der Dauerstreit zwischen Gouverneur und Bürgermeister drin zu sein. Sind die beiden doch nur pro forma Parteifreunde – tatsächlich aber liebste Feinde, die sich gegenseitig Versagen und falsche Politik vorwerfen, auch beim Thema Obdachlosigkeit.