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Obszönes Spiel mit dem Tabu

Martin Kippenberger war der Hofnarr des Kunstbetriebs. Der Faxenmacher und Bürgerschreck stieß alle vor den Kopf, die mit Kunst Seriosität und schöpferische Substanz verbinden. Doch genau damit wurde er zum Idol vieler Gegenwartskünstler. Die Sammler reißen sich um seine Bilder, die auf Auktionen sechsstellige Preise erzielen.

Von Wolf Schön | 07.03.2007
    "Wenn der Schließmuskel nicht mehr funktioniert - pränatal, meinetwegen - Juppieduh."

    Ja, einen Song hatte Martin Kippenberger auch immer parat, der hyperaktive Alleskönner der 80er und 90er Jahre. Rastlos unterwegs war der schräge Shooting Star unter den Jungen Wilden als ungebremst bildender Künstler, als Sprachartist und Möchtegernschauspieler, als Impresario knallharter Punkbands und smarter Selbstvermarkter im Dandy-Look zwischen Köln, Berlin, Madrid und L. A.

    Kippi, wie ihn seine Freunde nannten, kam 1953 mitten im Ruhrgebiet auf die deutsche Wirtschaftswunderwelt. Der Vater war Zechendirektor, die Mutter Ärztin. Aber das bildungsbürgerliche Zuhause war nicht Kippis Milieu. Mit 17 machte der rebellische Sohn den ersten Drogenentzug, danach brach er alles ab, was mit Bildung und Ausbildung zu tun hatte: die Schule, die Lehre als Schaufensterdekorateur, das Kunststudium beim magischen Realisten Arnold Hausner. Der unheilige Martin taumelte in die Künstler-Bohème, und da war er in seinem Element. Denn den anarchietauglichen Mix aus kreativem Talent und subversiver Intelligenz besaß er im Überfluss, dazu den unbändigen Willen, berühmt zu werden, gekoppelt mit gnadenloser Arbeitswut. Christian Nagel, der Galerist und Freund, erinnert sich:

    "Kippenberger war inflationär. Das war auch sein Anliegen, so viel zu tun, dass es nicht mehr richtig erfassbar ist. Er hat dann auch gerne an irgendwelchen Kneipentischen noch mal drei Zeichnungen gemacht, hat die irgendwelchen Leuten geschenkt. Er hat das irgendwie genossen, überall seine Spuren zu hinterlassen."

    All die emsig gesetzten Duftmarken drohten in die Irre zu führen, denn der heute so Prominente wurde außerhalb seiner Entourage nicht ernst genommen, weder von der seriösen Kritik, noch von den strengen Museumsbeamten. Das Blatt wendete sich, als die zerstörte Leber dem Wirken des exzessiv lebenden Künstlers am 7. März 1997 in Wien ein Ende setzte. 44 Jahre alt war er da, schon reif für den Nachruhm, der mit dem posthumen documenta-Erfolg unaufhaltsam zu wachsen begann. Es folgten wichtige Museumsausstellungen, darunter vor einem Jahr die imposante Werkschau in London. Zu Lebzeiten hatte es der Frühvollendete seinen Verächtern nur allzu leicht gemacht. Der Maler gefiel sich in der Rolle des Eulenspiegels, doch seine provozierenden Albernheiten platzierte er weit unter dem Niveau des hintergründig ulkigen Sigmar Polke. Lächerlich die Eigenwerbung Kippenbergers anlässlich einer neuen Bilderschau "Bekannt durch Film, Funk, Fernsehen und Polizeirufsäulen". Ein anderer Zyklus des Witzbolds hieß "Null Bock auf Ideen", hatte dessen Schöpfer doch den absurden Ehrgeiz, der Beste unter allen zweitklassigen Künstlern zu sein.

    Mitten im Kalten Krieg zeigte der tiefstapelnde Unterschichtenmaler ein fesches Mädel aus der Roten Armee frech als "Sympathische Kommunistin". Freude machte dem Erreger öffentlichen Ärgernisses auch der politische Skandal. So schrieb er unter ein Vexierbild mit einem Gewirr verkanteter Linien scheinheilig "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen." Empörte Reaktionen auf das obszöne Spiel mit dem Tabu beantwortete Kippenberger mit einer lebensgroßen Eckensteherskulptur, der er hinterher rief: "Martin, ab in die Ecke und schäm dich!" Doch hatte die infantile Lust am Widerspruch Methode. Noch einmal Christian Nagel, der die grotesken Amokläufe seines Freundes miterlebt hat:

    "Er war schon ein Haudegen, aber er war kein rastlos Getriebener, der sich permanent mit einer neuen Attraktion beschäftigen musste oder permanent der Welt davon lief, sondern er hatte einfach auch eine wahnsinnige Energie."

    Die so beeindruckend destruktive Kraftentfaltung speiste sich aus Kippenbergers Einsicht, dass der Ideentank der modernen Kunst leer gebrannt war. Die Ressourcen für den ästhetischen Fortschritt schienen Ende der 70er Jahre aufgezehrt. Ohne Resignation notierte der allzu spät geborene Künstler, in der Malerei müsse man jetzt gucken, was vom Fallobst übrig ist. Also malte der Fallobstsammler zum Beispiel jene Bilder, zu denen der greise Picasso vor seinem Ableben nicht mehr gekommen war. Von Assistenten ließ er eigene Entwürfe ausführen, zerstörte die Machwerke und stellte die Trümmer in einer Abfalltonne aus. Das letzte Selbstporträt ist purer Spott auf den hassgeliebten Geniekult der Kunstschickeria: Der prollige Künstlerfürst Kippenberger posiert in einer Unterhose aus spießigem Feinripp und präsentiert stolz seinen Schmerbauch.

    Nach seinem frühen Tod ist Martin Kippenberger zum Mythos für die nachgewachsene Künstlergeneration geworden. Auffallen um jeden Preis war seine Überlebensstrategie. Mut macht allen Verzagten die Botschaft seiner verzweifelt komischen Werke: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.