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"Occupy Wall Street" als linke Antwort auf die Tea Party

US-Präsident Barack Obama sei in der letzten Zeit etwas in die Mitte gerückt, das störe die Linksaußen-Position der Demokraten, sagt der Journalist und USA-Kenner Friedrich Mielke. Aus dem Frust darüber sei jetzt die Anti-Wall-Street-Bewegung in New York entstanden - die sich auf das ganze Land ausbreiten könnte.

Friedrich Mielke im Gespräch mit Mascha Drost | 04.10.2011
    Mascha Drost: Sie wollen den weltweiten, aber vor allem erst einmal den Wohlstand der USA gleichmäßig verteilen - sie, das sind die, die sich die 99 Prozent nennen: Sie protestieren gegen die Macht der Banken, der Wall Street, gegen die ungleichmäßige Verteilung von Geld, Macht und Aufstiegschancen. "Occupy Wall Street" - "Besetzt die Wall Street" - heißt eine seit ungefähr zwei Wochen andauernde friedliche Aktion in New York, wo in einem kleinen Park eine richtige kleine Zeltstadt entsteht, mit Essensausgabe, Internet und sogar einer kleinen Bibliothek. Bei einer Demonstration am Wochenende wurden in New York 700 wohlgemerkt friedliche Demonstranten auf der Brooklyn Bridge von der Polizei festgenommen, und seitdem gewinnt nun der Protest immer mehr an Fahrt. Ich bin verbunden mit dem Journalisten und Kenner der USA, Friedrich Mielke. Herr Mielke, bevor wir über den Protest als solchen sprechen, die Frage zu beginn: Warum formiert sich eine solche Protestbewegung gerade jetzt? Die Krise dauert doch schon Jahre an, und die soziale Schere geht in den USA fast schon seit Jahrzehnten immer wieder auf.

    Friedrich Mielke: Das ist richtig, aber wir sehen ja hier, dass die Obama-Regierung es bisher nicht geschafft hat, sozusagen den linken Flügel der demokratischen Partei zu bedienen, auf der rechten Seite gibt es ja diese erfolgreiche Tea-Party-Bewegung, die ja sehr viel Krach und Wind veranstaltet. Und da ist Obama in der letzten Zeit in die Mitte gerückt, er hat sich ja so ein wenig in die Kompromissgegend hineinbewegt, und das stört die Linksaußen-Position der Demokraten, und aus dieser Ecke heraus, aus diesem Frust heraus sozusagen, dass die Rechten Fortschritte machen in der Öffentlichkeit, in der politischen Bewegung, aus diesem Frust entsteht jetzt diese Anti-Wall-Street- und Anti-Finanzsystem-Bewegung.

    Drost: Kann man denn jetzt schon von einer wirklichen linken Oppositionsbewegung sprechen als Gegenpart zur rechten Tea-Party-Bewegung, die Sie ja schon angesprochen hatten?

    Mielke: Ja, auf jeden Fall. Wobei bei der Tea Party das Ziel der Staat ist, spezifisch die Obama-Regierung, da geht es also hauptsächlich gegen Washington. Hier geht es mehr gegen das Wirtschaftssystem, das Finanzsystem, also Wall Street. Das ist mehr eine Attacke auf die Banken, nicht so sehr unbedingt auf die Regierung in Washington.

    Drost: Welche Rolle spielen denn die Medien bei den Protesten, wie wird darüber berichtet?

    Mielke: Zunächst mal, Sie haben das ja anmoderiert: 14 Tage lang plätscherte das so vor sich hin, aber dann geschah tatsächlich etwas. Die Demonstranten gingen über die Brooklyn Bridge, zunächst gingen sie also auf der rechten Seite für Fußgänger, aber als sie sich dann auf die Brücke bewegten und in die Mitte, in den Straßenverkehr hineingingen, wurden sie einfach verhaftet, 700 von ihnen wurden verhaftet, viele wieder freigelassen. Und das ist natürlich sozusagen eine Polizeiaktion und da waren die Medien da, nicht wahr, das örtliche Fernsehen der Stadt New York und so weiter, und das verbreitete sich sehr schnell, und jetzt ist es ein Lauffeuer. Also jetzt können Sie sehen, wie dann in "New York Times", "Washington Post", überall, "Los Angeles Times" und natürlich auch international darauf reagiert wird, und jetzt haben wir auf jeden Fall ein Thema, das die Agenda der Medien heute und auch in den nächsten Tagen besetzt.

    Drost: Genießen die Protestierenden auch Rückhalt in der amerikanischen Öffentlichkeit?

    Mielke: Ja, auf jeden Fall, also man sieht zum Beispiel einige Prominente dort vor Ort, zum Beispiel den Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz, der hat den Wirtschaftsnobelpreis erhalten, oder auch der berühmte Michael Moore, der Regisseur und Buchautor. Aber auch solche Schauspieler wie Susan Sarandon oder der Schauspieler Alec Baldwin erscheinen dort, und dazu kommt natürlich auch aus allen möglichen linken Zeitungen, Zeitschriften und Medien, Radiostationen und so weiter, also da ist schon etwas im Gange, was sich jetzt wie ein Lauffeuer verbreitet, und was immer größere Kreise ziehen könnte.

    Drost: Große Kreise zieht es ja auch schon, aber bislang nur in die großen Städte der Ost- und der Westküste. Sehen Sie auch eine Möglichkeit, dass dieser Protest sozusagen von den intellektuellen Zentren der USA auch auf die übrigen Teile, auf das Mittelland übergreift?

    Mielke: Ja, das sehe ich schon. Ich meine, immerhin, man spricht hier von 140 Städten, die besetzt werden sollen, also "Occupy Indianapolis", also Indianapolis ist so mitten richtig drin, im Herzen des Mittelwestens. Nun gut, ich glaube nicht, dass es auf die Dörfer hinausgeht, aber dass das so eine Graswurzelbewegung ist, das steht fest, also Politik von unten, Bürgerbewegung in guter alter amerikanischer Tradition aus der Bürgerrechtsbewegung oder der Anti-Vietnam-Bewegung, oder meinetwegen auch aus der unseligen rechten Tea-Party-Bewegung.

    Drost: Wie sind denn die Erfolgschancen der Protestierenden? Noch lässt es sich ja ganz gut campieren in New York, aber im Herbst und im Winter wird es ungemütlich, und außerdem: Können sie die Macht der Banken im Ernst auch nur ankratzen?

    Mielke: Nun gut, die Macht der Banken können Sie, da haben Sie wohl Recht, ankratzen, das ist wohl richtig, aber es geht ja hier mehr auch auf das Parlament, es geht auch auf den Kongress und auch den Präsidenten Obama, dem es ja offensichtlich nicht gelungen ist, die Banken wirklich zu regulieren. Es gibt ja eine ganze Reihe von Exzessen, die nach der Finanzkrise sich fortsetzen, zum Beispiel werden ja Boni - ungefähr 150 Milliarden Dollar Boni werden in einem Jahr ausgeschüttet. Also Obama muss sich entscheiden, was er mit dem linken Flügel der demokratischen Partei dort macht. Das wird im Winter natürlich etwas kalt, aber wir sind ja in Amerika, da kommt dann ja ein Kaffee mal vorbei und dann wird ein warmes Zelt aufgestellt, da habe ich keine Sorgen. Aber entscheidend ist die ganz grundsätzlich zentrale politische Frage: Wohin geht Obama? Wird er weiter versuchen, sozusagen den mittleren Weg zu gehen, den Kompromiss zu suchen? Oder erklärt er quasi den Klassenkampf und geht also von links auf rechts zu? Und dann haben wir einen ganz heißen, ja besonders durch Klassenkampf geprägten Wahlkampf im nächsten Jahr.

    Drost: Friedrich Mielke über die Proteste in New York und den ganzen USA.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.