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Oder-Neiße-Linie als Staatsgrenze anerkannt

Auf den Konferenzen der Sieger des Zweiten Weltkriegs war ein besonderer Wunsch Stalins in Erfüllung gegangen: Polen sollte von Osten nach Westen verschoben werden. Es entstand eine neue Grenze an Oder und Neiße. Mit dem Görlitzer Vertrag wurde diese neue Grenze dann vor 55 Jahren anerkannt. Görlitz, die zwischen Polen und Deutschen geteilte Stadt, erlebte eine gigantische Friedenskundgebung.

Von Martin Sander | 06.07.2005
    "Es spricht der Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik, Genosse Grotewohl! "

    "Nach den Plänen der amerikanischen Kriegshetzer soll die deutsch-polnische Grenze ein ewiger Zankapfel zwischen den Völkern sein, damit sie ihre Politik der Völkerverhetzung für die Inszenierung neuer Kriege nutzen können. Aber Genossen, das machen wir nicht mit. Beifall. Das Abkommen über die Oder-Neiße-Grenze ist ein schwerer Schlag gegen alle Kriegsbrandstifter, weil diese Grenze die Friedensgrenze ist. Wir wollen Frieden und wünschen Freundschaft. Jubel: "Es lebe die deutsch-polnische Freundschaft, hoch, hoch!" Es lebe die Freundschaft zwischen dem deutschen und dem polnischen Volke. Beifall, rhythmisch: "Stalin, Stalin!" Es lebe der Freund aller friedliebenden Menschen der ganzen Welt - Josef Stalin!"

    Auf den Konferenzen der Sieger - in Teheran, Jalta und Potsdam - war ein besonderer Wunsch Stalins in Erfüllung gegangen: Polen sollte von Osten nach Westen verschoben werden, so dass alle Gebiete östlich von Bug und San für immer an die Sowjetunion fielen. Die kommunistischen Machthaber in Warschau und Moskau vereinbarten die Umsiedlung der polnischen Bevölkerung aus dem alten Osten in den neuen Westen. Um Platz für die polnischen Zuwanderer zu schaffen, wurden die allermeisten Deutschen östlich von Oder und Neiße vertrieben, soweit sie nicht zuvor schon geflüchtet waren. Eine neue Grenze entstand. Dagegen protestierten deutsche Politiker - zunächst aller politischen Couleur. Sogar der Kommunist und erste DDR-Präsident Wilhelm Pieck äußerte Vorbehalte gegen die neue Oder-Neiße-Grenze. Doch dann beugte sich Pieck ebenso den Weisungen Stalins wie der SED-Führer Walter Ulbricht und der erste DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl.

    Am 6. Juli 1950 wurde der Vertrag über die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen verkündet – der so genannte Görlitzer Vertrag. Görlitz, die zwischen Polen und Deutschen geteilte Stadt an der Neiße, erlebte eine gigantische Friedenskundgebung.

    "Und nun kommt eine Delegation gerade an uns vorbei, eine Delegation der deutschen Volkspolizei mit den Fahnen der Deutschen Demokratischen Republik. Musik. Den Fahnen des Volkes, zu denen unsere Volkspolizei gehört. Ihr zur Begrüßung spielt neben uns das Musikkorps der polnischen Armee. Und nun klatschen auch unsere Volkspolizisten und die polnischen Freunde klatschen zurück. "

    "Wir wussten, dass aus Deutschland, also aus Görlitz eine große Delegation kommen wird. Und andererseits aus Polen waren unheimlich viele Leute hier angeschleppt worden. Die ganze Stadt war besetzt mit Autobussen und da wurden - das war echt demokratisch - extra Köche aus Warschau gebracht, ja wurden Teppiche aus Warschau gebracht, die Straßen, manche wurden noch asphaltiert die letzte Nacht. "

    Helena Kantorska stammt eigentlich aus Dresden. Dort hatte sie während des Zweiten Weltkriegs einen polnischen Lagerhäftling kennen gelernt und geheiratet. 1945 zogen beide in den nunmehr polnischen Ostteil von Görlitz - nach Zgorzelec. Während der Feiern zum Görlitzer Vertrag wurde ihr Mann von der polnischen Polizei verhaftet.

    "Die hatten alle Armbinden, ich glaube, blau waren die, und da waren Tauben darauf. Und mein Mann, wie immer kritisch und ironisch, der hat zu dem Bekannten gesagt: "Was ist denn das, ist das ein Taubenzüchterverein?" Weiter nichts, und dafür haben sie meinen Mann eingesperrt, nur für diese Taubenzüchter. "

    Scherze waren weder auf polnischer noch auf deutscher Seite erlaubt an der Grenze des Friedens und Freundschaft, wie sie offiziell hieß. Misstrauen dominierte Jahrzehnte lang. Nur kurze Zeit, in den siebziger Jahren, durfte man diese Grenze ohne Visum überschreiten. Siegfried Seifert, am Ende des Zweiten Weltkriegs aus Niederschlesien vertrieben und heute in Görlitz ansässig, blickt zurück:

    "Das war 'ne harte, 'ne ganz harte Trennlinie. Das hat mit Friedensgrenze nichts zu tun, ich sag mal immer wieder: Im Gegenteil, nicht wahr? Von beiden Seiten bewaffnet bis an die Zähne."

    Nicht nur die streng bewaffnete Friedensgrenze hat im Bewusstsein der Görlitzer tiefe Spuren hinterlassen, sondern auch die zu DDR-Zeiten tabuisierte Erfahrung der Vertreibung. Antipolnische Ressentiments wurden in der ostdeutschen Grenzstadt stets gepflegt und haben sich auch über die Wende hinaus erhalten. Erst in den letzten Jahren erkannten lokale Politiker die Vorteile der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Gemeinsam geht man inzwischen zum Beispiel bei der Erhaltung und Sanierung der wertvollen Altbauten in beiden Städten vor. Und vor einem Jahr hat man nach vielen Schwierigkeiten endlich eine Brücke über die Neiße wieder aufgebaut, die beide Städte verbinden soll – anstelle der alten Görlitzer Fußgängerbrücke, die am Ende des Zweiten Weltkriegs zerstört worden war.