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Odessa
Hintergründe zur Anschlagsserie unbekannt

In den letzten anderthalb Jahren hat es in Odessa mehr als 30 Anschläge oder vereitelte Anschläge gegeben. Einige zielten auf städtische Infrastruktur, die meisten aber richteten sich gegen Orte, an denen sich proukrainische Aktivisten treffen.

Von Gesine Dornblüth | 23.07.2015
    Im Café U Angelov im Zentrum Odessas setzen Handwerker eine neue Tür ein. Eine Bombe ist explodiert, nach Mitternacht. Die Besitzerin des Cafés, Irina Angelova, saß zu dem Zeitpunkt im Hinterzimmer.
    "Sie haben die Bombe direkt vor unsere Tür gelegt. Der Windfang hat uns gerettet. Gott schützt uns. Unser Café heißt ja auch "Bei den Engeln". Zum Glück wurde niemand verletzt. Aber wir haben Angst. Denn diese Leute reden nicht nur, sie handeln."
    Im Februar war bereits ein Anschlag auf das Café vereitelt worden. Der Sprengsatz wurde damals rechtzeitig entdeckt. Danach erhielt die Besitzerin mehrfach Drohungen. Für sie ist klar, warum. Gemeinsam mit Freiwilligen backt Irina Angelova Brot und Kuchen für verwundete ukrainische Soldaten. Sie beliefert zwei Militärkrankenhäuser in Odessa.
    "Sie wollen mich dafür bestrafen, dass ich Leute mobilisiere, die sich einmischen."
    Die lokale Internetzeitung "Dumskaja" hat in den letzten anderthalb Jahren mehr als 30 Anschläge oder vereitelte Anschläge in Odessa gezählt. Einige zielten auf städtische Infrastruktur wie eine Eisenbahnbrücke oder eine Gasleitung. Die meisten aber richteten sich gegen Orte, an denen sich proukrainische Aktivisten treffen. Die Bomben waren ähnlich gebaut. Tote gab es nicht.
    Wer dahinter steckt, ist unklar. Im April hat der Sicherheitsdienst der Ukraine neun Verdächtige in Odessa festgenommen. Es hieß, es seien Leute mittleren Alters, die meisten arbeitslos. Ein ehemaliger Kämpfer der berüchtigten, mittlerweile aufgelösten Sonderpolizei Berkut soll darunter gewesen sein. Im Juli nahmen die Behörden noch einmal mehr als ein Dutzend Verdächtige fest. Einigen wird vorgeworfen, Anschläge auch in anderen Städten geplant zu haben. Zum Beispiel in Charkiw in der Ostukraine. Dort hat der Terror eine andere Dimension. Bei einem Anschlag auf einen Maidan-Gedenkmarsch in Charkiw starben im Februar zwei Menschen.
    Zu dem Anschlag auf das Café von Irina Angelova in Odessa bekannte sich ein Mann aus Russland im Internet. Doch niemand weiß, ob das ernst zu nehmen ist. Und so wird viel spekuliert. Neben den Bauarbeitern steht ein Mann in Uniform. Ruslan ist von der Samooborona, einer patriotischen Bürgerwehr. Eigentlich ist er Bergsteiger. Seit dem Anschlag bewacht er das Café.
    "Dahinter stehen Leute, die die Lage in Odessa anheizen wollen. Die hier einen zweiten Donbass wollen. Ich glaube aber nicht, dass das organisierte Gruppen sind. Diese Bomben legen dumme Jungs, die dafür Geld bekommen."
    Ruslan und seine Leute haben ihre Patrouillen in Odessa verstärkt. Nach eigenen Angaben hat die Bürgerwehr mehrere hundert, teils bewaffnete Mitglieder.
    Der Dichter Boris Chersonskij betont, wenn Odessa prorussische Separatisten abwehren wolle, müsse die Zivilgesellschaft zusammenstehen. Auch vor seiner Wohnung explodierte letztes Jahr eine Bombe.
    "Den Tätern geht es darum, Angst zu verbreiten. Bei denen, die der ukrainischen Armee helfen, aber auch bei deren Nachbarn. Denn es gehen ja auch benachbarte Gebäude kaputt. Ein Teil der Anschläge war im Januar und Februar. Da war es kalt in Odessa, und viele Wohnungen waren nicht mehr beheizbar. Die Leute denken dann nicht mehr darüber nach, wer die Bomben legt, sondern warum Bomben gelegt werden."
    Umso wichtiger sei es, der Angst nicht nachzugeben, so der Dichter Chersonskij. Im Café U Angelov veranstalteten am nächsten Abend Dutzende Musiker und Künstler ein Solidaritätskonzert. Auch der Bürgermeister und der Gouverneur von Odessa kamen. Für die Besitzerin Irina Angelova ein wichtiges Signal.
    "Das war eine Überraschung. Es kamen Leute, die vorher noch nie hier waren."
    Und so tragen die Bomben in Odessa eventuell sogar dazu bei, dass sich die Zivilgesellschaft konsolidiert.