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OECD-Migrationsbericht
Deutschland wieder zweitbeliebtestes Einwanderungsziel

Die OECD hat ihren Migrationsbericht für Deutschland vorgelegt. Demnach war die Bundesrepublik auch 2014 wieder das zweitbeliebteste Einwanderungsziel nach den USA. Dabei bleibt trotz der Flüchtlinge aus dem arabischen Raum die innereuropäische Migration der wichtigste Faktor. Eine Migrationskrise will die Organisation nicht erkennen, wohl aber eine Flüchtlingskrise - und mahnt eine schnelle Integration der Flüchtlinge an.

Von Johannes Kulms | 22.09.2015
    Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung in Ingelheim in Rheinland-Pfalz
    Drei von vier Leuten sind laut OECD-Bericht 2014 aus der erweiterten EU nach Deutschland gekommen. (picture alliance / dpa/ Christoph Schmidt)
    Die Zahlen sind deutlich: Im Jahr 2014 war Deutschland in absoluten Zahlen das zweitbeliebteste Einwanderungsland der OECD. An erste Stelle stehen die USA.
    Schon vor der Flüchtlingskrise habe es einen dauerhaften Anstieg bei der dauerhaften Zuwanderung gegeben, sagt Thomas Liebig, Leitender Ökonom in der Abteilung für Internationale Migration der OECD in Deutschland.
    Nach einem leichten Zuwachs im Jahr 2013 habe es 2014 wieder einen kräftigen Migrationsanstieg in Deutschland gegeben, sagt Liebig:
    "Ganz klar, auch hier war der Motor wiederum weitgehend Deutschland. Allerdings nicht die Flüchtlingsmigration 2014, sondern die Personenfreizügigkeit nach unseren ersten Schätzungen."
    Mit 76 Prozent sei die Personenfreizügigkeit die große Dominante in Deutschland, sagt Liebig. Das bedeutet: Drei von vier Leuten seien aus der erweiterten EU nach Deutschland gekommen. Hierdurch erwartet die OECD für 2014 mehr als 500.000 dauerhafte Zuwanderer.
    Auch wenn nun die Flüchtlingszahlen deutlich anstiegen und immer mehr Menschen aus humanitären Gründen nach Deutschland kämen, bliebe die innereuropäische Zuwanderung, die sich durch die Freizügigkeit ergibt, der wichtigste Faktor, sagt die OECD.
    Wenn man der Prognose des Innenministeriums folge und von der gegenwärtigen Anerkennungsquote von 40 Prozent ausgehe...
    "Dann erwarten wir für dieses Jahr zwischen 300.000 und 350.000 dauerhafte Zuwanderer aus dem Asylsystem. In absoluten Zahlen wird die humanitäre Zuwanderung die dauerhafte Zuwanderung auch in diesem Jahr voraussichtlich unter der Zuwanderung aus der erweiterten EU nach Deutschland liegen."
    Eine Migrationskrise gäbe es in Deutschland nicht, so Liebig - wohl aber eine Flüchtlingskrise.
    Schnelle Integration mitdenken
    Wobei die Situation eine andere sei als zu Beginn der 90er-Jahre. Damals waren viele Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland gekommen. Es gebe Hinweise darauf, dass die nun kommenden Flüchtlingen besser ausgebildet seien. Auch sei der Zugang zum Arbeitsmarkt einfacher als früher. Zudem macht Liebig eine bessere öffentliche Meinung aus:
    "Allerdings dürfen wir nicht vergessen: Die Mehrheit der Asylbewerber kommt im Gegensatz zu den frühen 90er-Jahren nicht aus Europa, Sie kommt aus Ländern, die relativ weit entfernt sind, wo es auch relativ wenig Aussicht gibt auf Besserung. Wo damit auch die Rückkehraussichten relativ gering sind."
    Es gebe nicht eine Krise, sondern viele parallele Krisen, sagt der Ökonom.
    Umso wichtiger sei es nun, dass Deutschland nach der Erstaufnahme auch eine schnelle Integration der Flüchtlinge mitdenke.
    Dabei gebe es keine Universallösung, da jeder Flüchtling in einer anderen Situation sei und unterschiedlich qualifiziert sei. Deswegen fordert Liebig eine Bestandsaufnahme der Flüchtlinge, um deren Fähigkeiten besser einschätzen zu können.
    Am vielleicht wichtigsten sei aber eines:
    "Dass wir die Flüchtlinge im Idealfall dorthin bringen, wo es gute Jobaussichten gibt. Und nicht dort, wo günstiger Wohnraum zur Verfügung steht."
    Liebig verweist auf Erfahrungen, die Schweden im Umgang mit Flüchtlingen gemacht habe: Anfang der 90er-Jahre wurde viele Flüchtlinge dort untergebracht, wo der Wohnraum besonders günstig war. Noch 15 oder 20 Jahre später hätten die dortigen Flüchtlinge deutlich weniger verdient und seien auch seltener beschäftigt gewesen als jene in Regionen mit besseren Jobchancen, sagt Liebig.