Samstag, 20. April 2024

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Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
Medienexperte: "Senden, was der Markt ansonsten nicht hergibt"

Mit dem Urteil zum Rundfunkbeitrag habe das Bundesverfassungsgericht "undercover einen kleinen Hinweis gegeben", sagte Lutz Hachmeister, Journalist und ehemaliger Leiter des Grimme-Instituts, im Dlf. Die Rundfunkanstalten sollten tun, was kommerzielle Anbieter nicht leisten könnten oder wollten.

Lutz Hachmeister im Gespräch mit Mario Dobovisek | 18.07.2018
    Journalist und Medienkritiker Lutz Hachmeister
    Das Gericht sei bei seiner Auffassung geblieben, "dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk per se unverzichtbar für eine komplexe Demokratie ist", so Medienkritiker Hachmeister (Imago)
    Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Lutz Hachmeister. Er war Direktor des Grimme-Instituts und leitet heute das Institut für Medien- und Kommunikationspolitik in Köln, das unter anderem von öffentlich-rechtlichen und privaten Medien finanziert wird. Ich grüße Sie, Herr Hachmeister.
    Lutz Hachmeister: Ich grüße Sie.
    Gebührenerhebung "zu 95 Prozent bestätigt"
    Dobovisek: Der Beitrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist rechtens, urteilt das Bundesverfassungsgericht. Welche Bedeutung hat dieses Urteil?
    Hachmeister: Es ist eigentlich ein erwartbares Urteil. Das Bundesverfassungsgericht ist seit diesem legendären ersten Fernsehurteil aus dem Jahr 1961 gegen die Adenauer-Regierung immer ein fester Verbündeter des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems gewesen und auch geblieben. Man kann sich schon fragen, ob diese kleinteiligen Dinge, über die Sie eben berichtet haben, vor ein Bundesverfassungsgericht gehören, die Wertigkeit von Autoradios oder die Sache mit den Zweitwohnungen. Das scheinen mir doch eher verwaltungsgerichtliche Fragen zu sein. Aber der Rundfunk ist eine Angelegenheit, der sich das Gericht immer wieder und aufgrund dieser alten Tradition gerne widmet, und insofern ist das Verfahren der Erhebung der Rundfunkgebühr im Grunde genommen zu 95 Prozent bestätigt worden als verfassungskonform.
    Markt "gibt immer noch nicht eine Vielfalt her"
    Dobovisek: Eher eine Fortsetzung des Grundsatzurteils als ein neues Grundsatzurteil?
    Hachmeister: Genau. Es gibt, wenn Sie sich das gesamte Urteil anschauen - ich habe es mir mal eben kursorisch durchgelesen; es ist 157 Seiten lang, die schriftliche Begründung - darin einige ganz interessante Passagen über die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Gesellschaft in Zeiten neuer Technologien. Das Gericht hat seine Begründungsbasis etwas verlagert, indem es nun nicht mehr so sehr von der Grundversorgung ausgeht, sondern im Grunde mehr in die Richtung einer Vielfaltsreserve argumentiert - nach dem Motto: Der Markt mit einer immer höheren Medienkonzentration, auch mit den neuen Plattform-Anbietern im Wesentlichen aus den USA, gibt immer noch nicht eine Vielfalt her, die nur dann mit einem öffentlich-rechtlichen System vollständig zu erzielen ist. Das ist ganz interessant, das noch mal nachzulesen, auch für öffentlich-rechtliche Rundfunk-Manager und Intendanten.
    "Nicht nur Nischenprogramme machen"
    Dobovisek: Welche Folgen könnte das haben?
    Hachmeister: Das Gericht wird im Grundsatz bei seiner Auffassung bleiben, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk per se unverzichtbar für eine komplexe Demokratie ist. Daran wird sich auch in den nächsten Jahrzehnten nichts ändern. Da müsste man schon das Gericht vollständig anders besetzen in politischer Hinsicht, und auch das wird ja höchst wahrscheinlich nicht passieren.
    Aber ich glaube, dass das Gericht da so undercover einen kleinen Hinweis gegeben hat, dass die Kernaufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schon die ist, etwas zu produzieren, etwas zu senden, was der Markt ansonsten nicht hergibt. Das bedeutet nicht, nur Nischenprogramme zu machen, aber sich doch etwas stärker darauf zu konzentrieren, das zu tun, was kommerzielle Anbieter nicht leisten können oder wollen.
    Netflix, Amazon, YouTube - eine Herausforderung fürs Management
    Dobovisek: Eher Lücken füllen, die andere hinterlassen, als ein Grundprogramm, eine Grundversorgung, ein Vollprogramm anzubieten?
    Hachmeister: Genau. Es wird natürlich weiterhin so etwas wie die "Tagesschau" und "Heute" geben. Aber ansonsten muss man stärker darauf schauen, was andere nicht produzieren können oder wollen.
    Ich glaube, die entscheidende Frage in Zukunft ist vielleicht auch keine verfassungsrechtliche, sondern ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Wir haben Konkurrenzen mit Netflix und Amazon und YouTube, die es bei diesem ersten Verfassungsgerichts-Urteil noch gar nicht gab, die man gar nicht erahnen konnte, und da ist das Management natürlich, die Intendanten, die Programmdirektoren sehr herausgefordert, darauf eine zureichende Antwort zu geben, weil es immer mehr jüngere Leute gibt, die auch diese im Netz vorhandenen Angebote nutzen und sich dann partiell vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk abwenden. Das ist eher eine Management-Frage, eine medienpolitische, eine publizistische Frage als die des Bundesverfassungsgerichts.
    Staatskanzlei-Rundfunkpolitik "ein Auslaufmodell"
    Dobovisek: Sie sagen auch bewusst medienpolitische Frage, denn Medienpolitik ist in Deutschland Ländersache.
    Hachmeister: Ja.
    Dobovisek: Das haben die Richter jetzt auch mit dem Urteil noch mal bestätigt, dass es keine Steuer ist und damit weiter Ländersache bleibt. Ist das noch zeitgemäß, gerade angesichts der internationalen Konkurrenz wie Google, Netflix, Amazon und Co.?
    Hachmeister: Das war ja der große Coup des Bundesverfassungsgerichts 1961, dass es im Grunde mit so einer eigenwilligen Interpretation des Grundgesetzes die Kulturhoheit der Länder begründet hat und damit auch den Rundfunk zur Ländersache erklärt hat. Das war vernünftig in Abgrenzung zum Zentralismus des Dritten Reiches. Dagegen hat es sich ja gewendet und auch gegen die Aspiration des Regierungsfernsehens des damaligen Kanzlers Adenauer. Aber in der Organisation, in der medienpolitischen Betrachtung, sage ich mal, die Fragen der weltweiten Medienevolution durch ein paar Rundfunkreferenten der Staatskanzleien erledigen zu lassen, das ist sicher nicht mehr zeitgemäß. Da wird es zu stärkeren Bund-Länder-Kooperationen kommen können. Man kann ja auch im Sinne neuer Staatsverträge der Länder denken. Es wird zu einer stärkeren Koordination auf europäischer Ebene kommen müssen. Dieses Modell der, sage ich mal, Staatskanzlei-Rundfunkpolitik ist ein Auslaufmodell.
    Dobovisek: Sehen Sie da genügend politischen Willen?
    Hachmeister: Nicht wirklich! In Deutschland ist man ja immer mit dem zufrieden, was man erreicht hat. Es gibt ja auch gute Gründe dafür. Dem Land geht es ja insgesamt nicht ganz so schlecht. Der Antrieb, da etwas deutlich zu verändern und im Grunde geistespolitisch mit der technischen Evolution Schritt zu halten, der ist nicht besonders groß. Da bedarf es einer umfangreichen intensiveren gesellschaftlichen Debatte, und daran, bei diesem Thema beteiligen sich einfach nicht genug intelligente Köpfe, sage ich jetzt mal.
    Programmaufgabe bislang "nicht wirklich bewältigt"
    Dobovisek: Kommen wir zurück zum Rundfunkbeitrag und dem Urteil heute. Jetzt steht ja höchstrichterlich fest: Der Rundfunkbeitrag in Deutschland ist rechtens. Seine Kritiker wird das wohl kaum besänftigen. Was müssen auch wir hier als öffentlich-rechtlicher Sender, als öffentlich-rechtlicher Rundfunk tun, um mehr Akzeptanz zu gewinnen?
    Hachmeister: Ich habe mal geschrieben, das Programm ist das Programm. Man kann das nicht durch Image-Kampagnen oder wohlfeile Worte oder den Appell an eine Demokratie-Abgabe bewältigen, sondern man muss es im Prinzip täglich durch eine intelligente Programmproduktion, die international auch mithalten kann - nehmen wir mal die Regionalprogramme aus -, beweisen. Man muss Genre für Genre, Stoff für Stoff sich der Aufgabe stellen, im Fernsehen wahrscheinlich noch mehr als im Hörfunk (das ist eine andere Spielfläche), dort standhalten zu können, und diese Aufgabe ist bislang nicht wirklich bewältigt in Deutschland. Dafür ist das Land im Grunde zu saturiert.
    Dobovisek: Wo sehen Sie da die größten Defizite?
    Hachmeister: Es gibt ja eine Diskussion, die fast jeder mitbekommen hat, im Bereich der hochwertigen Fernsehserien, dass selbst Länder wie Dänemark und Israel in der Stoffentwicklung dem doch sehr potenten deutschen Markt um einiges voraus waren und sind. Es gibt kein wirklich satisfaktionsfähiges Interview-Format im deutschen Fernsehen, das mit dem HARDtalk der BBC mithalten könnte. Und das können Sie im Grunde Genre für Genre durchdeklinieren.
    Es gibt eine relativ intelligente Analyse dafür, dass man sagt, der Markt ist eigentlich für sich selbst gut genug. Er ist groß genug, um sich selbst zu befriedigen, um es so zu sagen. Und er muss nicht so sehr wie kleinere Länder wie Belgien, wie Israel, wie Dänemark nach außen schauen, um sich dem internationalen Wettbewerb zu stellen. Das ist angesichts von Konkurrenten wie Netflix und Amazon natürlich sehr gefährlich.
    Recherchen für hochkarätige Serien "sehr, sehr teuer"
    Dobovisek: Aber gute Serien können auch gerade die anderen, auch die Privaten, auch Netflix und Co. Das wäre dann eben nicht die Nische oder die Lücke, in die der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach der neuen Konnotation des Urteils, die Sie vorhin angesprochen haben, einspringen müsste.
    Hachmeister: Nein, nein! Das würde ich schon anders sehen. Stoffentwicklung, Recherchen für hochkarätige Serien, das ist sehr, sehr teuer. Netflix kann sich das natürlich leisten, weil es inzwischen über sehr hohe Abonnenteneinnahmen verfügt. Aber im privaten Markt ist das nicht unbedingt zu generieren. Eine intelligente zeithistorische Betrachtung, Gegenwartsanalysen im Sinne von intelligenter Fiktion, das ist sicher Kernaufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das würde auch das Bundesverfassungsgericht immer so sehen.
    "Mit dem Programm gute Antworten geben"
    Dobovisek: In der Schweiz gab es ja gerade erst eine Volksabstimmung. Die Rundfunkgebühren wurden dort nicht abgeschafft, aber die Debatte geht trotzdem weiter. Wird es Ihrer Einschätzung nach in 10, Jahren, in 15 Jahren vielleicht in Deutschland noch einen Beitrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in dieser Form geben?
    Hachmeister: Da bin ich sehr, sehr sicher. Es gibt diese Gesinnungsgemeinschaft von Bundesverfassungsgericht, den Bundesländern und den öffentlich-rechtlichen Anstalten.
    Dobovisek: Gesinnungsgemeinschaft klingt negativ.
    Hachmeister: Nee, das meine ich ganz neutral. Alle haben im Grunde etwas davon. Die Sender, die Länder und das Verfassungsgericht bestätigen sich damit gegenseitig. Das sind drei sehr tragende Säulen dieser Demokratie. Wenn die Demokratie in diesem Land als solche in dieser Form erhalten bleibt, dann bleibt auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk fast ewig erhalten. Er muss diese Debatten um seine Existenzberechtigung, die jetzt ein wenig von rechtspopulistischer Seite befeuert werden, einfach aushalten können und darauf mit dem Programm gute Antworten geben.
    Dobovisek: Lutz Hachmeister, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik in Köln. Ich danke Ihnen für das Interview.
    Hachmeister: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.