Donnerstag, 18. April 2024

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Öffentlicher Dienst
"Nicht schlechter als in der Privatwirtschaft"

Vorteile des öffentlichen Dienstes wie "hohe Jobsicherheit, lebenslange Beschäftigung, auskömmliches Alter" würden schwinden, sagte Sebastian Brandl, Professor an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit in Schwerin, im DLF. Allerdings sei sich die Wissenschaft einig, dass die Situation nicht schlechter sei als in der Privatwirtschaft.

Sebastian Brandl im Gespräch mit Silke Hahne | 03.03.2015
    Eine Menschenmenge wird verzerrt und verschwommen dargestellt.
    Seit einigen Jahren gebe es nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern generell in der Wirtschaft eine Realeinkommen-Stagnation, sagte Sebastian Brandl. (picture-alliance/ dpa / Fredrik von Erichsen)
    Silke Hahne: Zunächst beschäftigen uns die Warnstreiks im öffentlichen Dienst, die heute unter anderem zu Unterrichtsausfällen in einigen Bundesländern geführt haben. Denn Lehrer ist nicht gleich Beamter, oft sind sie Angestellte der Länder. Das Gleiche gilt auch für andere Berufe im öffentlichen Dienst. Aber wie attraktiv ist eben jener öffentliche Dienst eigentlich noch, wenn die Sicherheiten des Beamtentums wegfallen und die Bezahlung mehr und mehr der in der privaten Wirtschaft hinterherhinkt, wie postuliert? Darüber habe ich vor der Sendung mit Sebastian Brandl gesprochen, Professor an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit in Schwerin. Meine erste Frage an ihn war: Arbeitsplatzsicherheit und eine gute Altersvorsorge, das waren früher mal Argumente für den öffentlichen Dienst. Ziehen sich die Länder selbst den Boden unter den Füßen weg, wenn sie diese Pfeiler aufweichen?
    Sebastian Brandl: Nun, die Arbeitsplatzsicherheit und auch die Altersversorgung ist im öffentlichen Dienst immer noch gut, aber nicht mehr überall, und das ist dann die entscheidende Frage. Von welchen Bereichen sprechen wir? Gibt es zwei Welten im öffentlichen Dienst? Und das zeichnet sich ja auch ab. Insofern gibt es natürlich die Befürchtung der Beschäftigten und zum anderen gibt es auch einen Attraktivitätsverlust.
    Hahne: Wodurch kennzeichnet der sich insbesondere?
    Hahne: Die Wissenschaft ist sich ziemlich einig darüber, dass diese Frage Vorbildcharakter, also hohe Jobsicherheit, lebenslange Beschäftigung, auskömmliches Alter, dass diese Vorteile zwar heute geschwunden sind. Es sagt aber auch die Wissenschaft, dass es nicht schlechter ist als in der Privatwirtschaft. Man muss aber ziemlich genau hingucken, was man anguckt. Wir haben im öffentlichen Dienst - und Sie haben das Lehrerbeispiel angesprochen - so was wie Kern- und Randbelegschaften. Wir haben die verbeamteten, wir haben die angestellten Beschäftigten im öffentlichen Dienst einerseits, wir haben aber auch befristete Zeitarbeitnehmer im öffentlichen Dienst. Also wir haben das Phänomen wie in der Privatwirtschaft, und es zeichnet sich auch gerade bei den Lehrern, aber nicht nur bei denen ab, dass die Belastungen, die gesundheitliche Situation doch deutlich angespannt beziehungsweise schwierig ist.
    "Die Verbeamtung ist insgesamt natürlich rückläufig"
    Hahne: Sinkt denn tatsächlich die Tendenz zur Verbeamtung, oder war das in den letzten Jahren eher eine notwendige Korrektur in einem aufgeblasenen Beamtenapparat?
    Brandl: Nun, ob der aufgeblasen war, das kann ich nicht sagen. Die Verbeamtung ist insgesamt natürlich rückläufig, insbesondere in den Bereichen, die nicht mehr zum Kernbereich des öffentlichen Dienstes zählen: Bahn, viele Bereiche natürlich, die privatisiert wurden, Krankenhäuser etc., aber eben auch in dem Kernbereich wie beispielsweise bei den Lehrern. Und das hat etwas auch mit den Kosten zu tun. Wenn man aber die Beschäftigtenbefragungen ansieht, dann sieht man, dass die Zufriedenheit der Beschäftigten generell eher von Fragen von Sicherheit und Entwicklungsfähigkeit abhängt, natürlich auch vom Einkommen. Es zeigt sich aber, dass bei diesen Aspekten die Befragungswerte eigentlich immer deutlich schlechter ausfallen, nicht schlechter unbedingt als in der Privatwirtschaft, aber dass es diese Themen sind, die durchweg bei den Beschäftigten auf Kritik stoßen.
    Hahne: Jetzt wird ja auch von den Gewerkschaften postuliert, dass die Schere zwischen dem öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft immer größer wird in der Bezahlung. Ist das wirklich ein valides Argument?
    Brandl: Es gibt zwei verschiedene Ergebnisse, die sich, man kann sagen, widersprechen. Das eine ist, wenn man die Beschäftigten fragt, hier taucht das Argument auf, hier wird das bejaht. Wenn man die wissenschaftlichen Studien dazu sieht, ist das Thema schlechte Entlohnung im öffentlichen Dienst nicht mehr valide mit Ja zu beantworten. Hier ist das wissenschaftliche Ergebnis eher uneindeutig. Man kann aber auch so formulieren: Es ist nicht schlechter als in der Privatwirtschaft. Man muss dabei allerdings immer zu bedenken geben, gucke ich mir den angestellten Lehrer oder den verbeamteten Lehrer oder den Ingenieur wo auch immer im öffentlichen Dienst an, oder die Verwaltungsbeamtin, oder gucke ich mir Leute an, die befristet beschäftigt sind, die jünger oder älter sind. Insofern ist immer die Frage, wen vergleiche ich mit wem, und von daher ist der Vergleich auch schwierig.
    Hahne: Das heißt, Sie würden den Gewerkschaften aber nicht grundsätzlich unrecht geben, mit diesem Argument in die Tarifverhandlungen zu gehen?
    Brandl: Nein. Ich kann nur nicht, was die wissenschaftlichen Ergebnisse betrifft, sagen, dass die Verdienstlücke generell im Durchschnitt - und das macht es ja groß schwierig - generell im Durchschnitt gegeben ist, sondern man muss dann immer sehr genau hingucken, und ich denke, dass die einzelnen Verantwortlichen auch aus ihren Bereichen auf allen Seiten da sehr genau hingucken werden. Man muss allerdings auch sehen, wir haben nicht nur im öffentlichen Dienst, wir haben generell in der Wirtschaft seit doch, wenn ich die Zahlen jetzt richtig im Kopf habe, 10, 15 Jahren Realeinkommen-Stagnation, und insofern gibt es natürlich breit gefühlt eine Vorstellung von, man möchte aufholen, und wenn man sich anguckt im IG-Metall-Bereich die Kommentare in der Zeitung, im Metall- und Elektroindustrie-Bereich, die Kommentare waren ja jetzt so mit dem großen Schluck aus der Pulle, und da wollen sicherlich die Beschäftigten im öffentlichen Dienst auch nicht zurückstehen.
    Zukunft des öffentlichen Dienstes
    Hahne: Wie kann denn der öffentliche Dienst ohne den Vorzug der winkenden Verbeamtung vielleicht in Zukunft überhaupt noch mit der Privatwirtschaft mithalten?
    Brandl: Der öffentliche Dienst hat in der Zukunft ein ähnliches Problem wie die Privatwirtschaft. Wir haben es mit einer deutlichen demografischen Problematik zu tun, oder einer doppelten Demografieproblematik. Wir haben es einerseits mit einer starken Alterung der Beschäftigten zu tun, und da viele öffentliche Betriebe, aber auch manche private Betriebe in den letzten Jahren eher sehr zurückhaltend waren mit Neueinstellungen, haben wir es mit einer deutlichen Alterung zu tun. Alterung heißt nicht automatisch mehr Krankheit, aber Alterung heißt altersspezifische Arbeitsbedingungen, wenn die Menschen bis 65, 67 arbeiten sollen.
    Zugleich - und das ist dann die andere Seite - haben wir es dann zukünftig mit hohen Abgangsraten zu tun, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, und das heißt, man muss mehr Leute ersetzen, obwohl weniger Bewerber aus den Hochschulen kommen. Insofern haben es alle Bereiche mit einem verschärften Wettbewerb zu tun und für den öffentlichen Dienst spielt dabei sicherlich konkurrenzfähiges Einkommen eine hohe Rolle. Es spielt das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Rolle und da hat der öffentliche Dienst in weiten Bereichen mittlerweile doch ein sehr gutes Standing, hatte er und hat er noch und kann das auch weiter ausbauen.
    Was aber auch eine Rolle spielt ist Karriere und Entwicklungsfähigkeit. Hier zeigen sich beispielsweise Befristungen nicht sehr positiv, wenn wir mal auf den Wissenschaftsbereich gucken. Das wird ja mittlerweile stark im Wissenschaftsbereich auch thematisiert, dass die Befristungen an der Stelle nicht Karriere fördern und attraktivitätsfördernd sind.
    Und der vierte Punkt, den ich da ansprechen wollte, ist der Bereich Belastungen, Gesundheitsschutz, Arbeitsfähigkeit bis zur Rente. Auch da steht der öffentliche Dienst vor großen Herausforderungen.
    Hahne: Sebastian Brandl von der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit über die Attraktivität des öffentlichen Dienstes.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.