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Öffentlicher Personennahverkehr
Verkehrsunternehmen lehnen 365-Euro-Ticket ab

Steigende Preise, Verspätungen und überfüllte Wagen: Der öffentliche Personennahverkehr kommt an seine Grenzen. Der Verband deutscher Verkehrsunternehmen fordert deswegen mehr Investitionen für den Ausbau des ÖPNV, einem 365-Euro-Jahresticket erteilt er aber eine klare Absage.

Von Niklas Potthoff | 28.01.2020
Zwei Stadtbahnen stehen an der Haltestelle Vahrenwalder Platz in Hannover.
In Hannover sorgte ein kostenloser Nahverkehrstag im November 2019 für ordentlich Andrang (dpa / picture alliance / Sina Schuldt)
Busse und Bahnen sind voll. Das ist die Botschaft der über 600 Verkehrsunternehmen aus dem öffentlichen Personen- und Schienengüterverkehr, die heute gemeinsam Bilanz gezogen haben.
Die Fahrgastzahlen befinden sich nur noch knapp im Plus – und schon seit Jahren stagnieren die absolvierten Kilometer pro Person im öffentlichen Nahverkehr. Der Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) Ingo Wortmann:
"Unser System ist in den Städten und gerade in den Ballungsräumen voll. Wir sind nicht mehr in der Lage, sehr viel mehr Fahrgäste aufzunehmen."
Auch der Bund hat das erkannt. Mit dem Abschluss des Klimapakets hat man auch die Investitionen für den Nahverkehrsbereich stark ausgebaut. Die Bundesfinanzhilfen wurden 2020 bereits verdoppelt - auf 665 Millionen Euro. Ab 2025 sollen jährlich zwei Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Das Geld wird dringend gebraucht für Modernisierungen und den Neubau von Strecken.
Kurzfristig will der VDV vor allem das Angebot an Bussen stark erhöhen, um anschließend die Schienenwege auszubauen.
"365-Euro-Ticket ist purer Populismus"
Allerdings gibt es ein Dorn im Auge des Verbands: Das 365-Euro-Ticket – so viel soll ein Jahresabo für den Nahverkehr kosten, wenn es nach Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller geht. Der Sozialdemokrat verweist auf Wien als erfolgreiches Vorbild. In verschiedenen Regionen in Deutschland laufen zudem derzeit Modellversuche.
Der VDV wehrt sich vehement gegen ein solches Ticket. In Wien seien die Voraussetzungen andere gewesen – denn dort wurde zuvor massiv in den Ausbau investiert und etwa eine U-Bahn-Steuer eingeführt. Noch vollere Bahnsteige würden nicht zur Erfüllung der Klimaschutzziele führen – und potentielle Neukunden abschrecken. VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff:
"Ein 365-Euro-Ticket ist purer Populismus, um vielleicht für einen kurzen Moment einen Effekt zu erhaschen und vielleicht politische Zustimmung zu bekommen, aber es ist kein nachhaltiges Finanzierungsinstrument."
Preissenkungen sind für den VDV das falsche Signal. Man brauche die Fahrgeldeinnahmen dringend für die Finanzierung des Betriebs. Ein Einzelticket kostet bundesweit im Schnitt 2,70 Euro, eine Monatskarte liegt bei rund 54 Euro.
Nahverkehrs-Branche will bis 2030 ihre Fahrgastzahlen um 30 Prozent erhöhen
Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sören Bartol zeigt sich verwundert vom deutlichen öffentlichen Widerspruch des VDV zum 365-Euro-Ticket. Derzeit ginge es nur um Tests:
"Niemand hat im Moment vor, dass 365-Euro-Ticket auf ganz Deutschland auszuweiten. Ganz im Gegenteil. Wir haben gesagt, wir wollen die jetzt schon laufenden Modellversuche ergänzen, um nochmal Erfahrung zu sammeln um sich mit den Argumenten, die auch der VDV bringt, sachlich auseinanderzusetzen. Niemand will das morgen in ganz Deutschland einführen, deswegen verstehe ich die Aufregung nicht."
Als wichtigste Maßnahme sieht auch er den Ausbau der Strecken – verweist aber auf die Preisentwicklung: "Natürlich ist es wichtig, dass wir jetzt ausbauen, dass wir in die Qualität auch reingehen aber gleichzeitig auch sehen, in ganz Deutschland sind dieses Jahr Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr gestiegen. Das ist natürlich ein Signal, da können die Unternehmen nichts für, aber das ist nicht das, was wir wollen."
Bartol verweist dabei auf die Senkung der Mehrwertsteuer auf Tickets der Deutschen Bahn zu Jahresbeginn. Diese Maßnahme hatte zu einer stark verbesserten Nachfrage an Tickets geführt, die Deutsche Bahn rechnet mit einem Plus an fünf Millionen Fahrgästen im Jahr. Zudem hätten sich auch viele VDV-Unternehmen für die Modellversuche beworben.
Der Branchenverband spricht von einer "Dekade des Aufräumens". Gleichzeitig will die Nahverkehrs-Branche bis 2030 ihre Fahrgastzahlen um 30 Prozent erhöhen. Einig sind sich alle: Es wird ein Kraftakt.