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Ökologie
Der Nutzen der großen Jäger

Ökologie. - Immer mehr Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass große Raubtiere eine wichtige Rolle für den Schutz und die Stabilität ihrer Ökosysteme spielen und der Mensch großen Schaden anrichtete, als er die Großräuber ausrottete. Im Wissenschaftsmagazin Science werden die wichtigsten Ergebnisse auf diesem Gebiet heute vorgestellt.

Von Monika Seynsche | 10.01.2014
    70 Jahre lang heulten keine Wölfe mehr im Yellowstone Nationalpark in den USA. 1926 war der letzte erschossen worden. Ihrer Jäger beraubt, breiteten sich darauf hin Rothirsche massiv aus. Dann wurden 1995 die ersten Wölfe in den Nationalpark zurückgebracht. Der Ökologe William Ripple von der Oregon State University untersucht seitdem die Auswirkungen dieser Wiederansiedlung.
    "Die Rückkehr des Wolfs hat einen Effekt ausgelöst, den wir als trophische Kaskade bezeichnen: die Folgen wirken im Nahrungsnetz bis weit nach unten. Wölfe fressen Wapitis, Elche und vor allem Rothirsche. Die wiederum fressen bestimmte Pflanzen. Wenn sie vom Wolf getötet werden, beeinflusst der Wolf also indirekt auch die Pflanzenwelt."
    Seit der Rückkehr des Wolfs erholen sich die Weiden und andere Baumarten im Park vom Fraßdruck der Rothirsche. Das wiederum nützt vielen Vogelarten und Bibern, die die Bäume als Lebensraum oder deren Äste als Baumaterial brauchen. Gleichzeitig drängen die Wölfe die Kojoten zurück und schützen dadurch indirekt die Beutetiere der Kojoten. William Ripple ist überzeugt davon, dass die Wölfe das Ökosystem des Yellowstone Nationalparks wieder ins Gleichgewicht gebracht haben und sogar die Folgen des Klimawandels abmildern können: wenn die Weiden sich wieder ausbreiten, können sie mehr Kohlendioxid speichern. Und das sei nur ein Aspekt, sagt der Ökologe.
    "Wölfe jagen das ganze Jahr über Rothirsche. Dadurch liefern sie einer ganzen Reihe von Aasfressern, wie Raben oder Adlern, eine stete Nahrungsquelle, die ihnen hilft, den Winter zu überleben. Wenn es die Wölfe nicht gäbe, wären die Aasfresser auf einzelne besonders heftige Schneestürme angewiesen, bei denen viele Rothirsche verenden. Die Wölfe machen die Aasfresser also unabhängiger von kurzfristigen Klimaschwankungen und stabilisieren so die Populationen."
    Aber auch andere große Raubtiere nützen ihren Ökosystemen. In Finnland gibt es seit einiger Zeit wieder mehr Luchse. Sie drängen die Füchse zurück. Dadurch erholen sich die Bestände von Auerhuhn und Birkhuhn. Ähnlich sieht es in Australien aus, sagt die Biologin Arian Wallach. Sie untersucht an der James Cook University, welche Rolle die einzigen großen australischen Landraubsäuger spielen, die hundeähnlichen Dingos.
    "Dingos verdrängen Füchse, und das sehr effektiv. Sie löschen die Fuchspopulationen nicht direkt aus, aber sie halten sie sehr klein. Das hilft den Beutetieren der Füchse, sich wieder zu erholen."
    Füchse wurden aus Europa nach Australien eingeschleppt und gelten als Hauptverantwortliche für das aktuelle Massenaussterben kleiner australischer Säugetiere. Arian Wallach ist überzeugt davon, dass der Schutz des Dingos den verbliebenen Arten wesentlich mehr helfen würde, als der Einsatz von Giftködern, mit denen zurzeit versucht wird, die Füchse in Australien zurückzudrängen. Trotz des nachgewiesenen Nutzens großer Raubtiere sind diese zunehmend vom Aussterben bedroht. Das sei eine gefährliche Entwicklung, warnt William Ripple von der Oregon State University.
    "Wenn wir die großen Raubtiere sterben lassen, wäre das eine Tragödie. Die Ökosysteme der Erde würden verarmen, die Nahrungsnetze verkrüppeln und der Mensch würde den ökonomischen und ökologischen Nutzen verlieren, den diese Tiere uns bieten."
    William Ripple und seine Kollegen schlagen deshalb die Bildung einer "Globalen Großraubtier-Initiative" vor, die sich der Erforschung und dem Schutz der großen Jäger widmen soll.