Donnerstag, 28. März 2024

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Ökonom Jens Bastian
"Griechenland kann Schuldenberg in keiner Weise zurückzahlen"

In Griechenland sei die Belastungsgrenze für die Menschen weit überschritten, sagte der Ökonom Jens Bastian im DLF. Keine griechische Regierung sei in der Lage, den Schuldenberg auch nur im Ansatz abzutragen - die diskutierten Lösungen seien reine Heftpflaster, um der deutschen Öffentlichkeit sagen zu können, man bekomme das schon irgendwie hin.

Jens Bastian im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 18.05.2017
    Der Ökonom Jens Bastian
    Der Ökonom Jens Bastian (imago stock&people)
    Ann-Kathrin Büüsker: Das griechische Parlament will heute neue Sparmaßnahmen beschließen. Insgesamt sollen dadurch fast fünf Milliarden Euro eingespart werden. Aber was macht dieser andauernde Sparkurs mit Griechenland?
    – Darüber möchte ich mit Jens Bastian sprechen. Der Ökonom lebt selbst in Griechenland, hat während der Finanzkrise auch für die Europäische Kommission gearbeitet und beobachtet die Auswirkungen der Finanzkrise in Griechenland somit von Beginn an. Guten Morgen, Herr Bastian.
    Jens Bastian: Guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Griechenland soll weiter sparen. Ist das überhaupt realistisch?
    Bastian: Realistisch ist es, weil es erforderlich ist. Es wird heute Abend dann auch im Parlament abgestimmt werden. Ob es auch die richtige Medizin ist, steht auf einem ganz anderen Blatt. Ich habe eher die Sorge, wir sparen uns seit Jahren zu Tode in Griechenland.
    Büüsker: Wenn wir auf die Arbeitslosigkeit gucken, die liegt bei 23,2 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei 47,9. Und dann ist zuletzt sogar das Bruttoinlandsprodukt um 0,1 Prozent gesunken. Das alles spricht doch tatsächlich eher dafür, dass diese Sparpolitik gescheitert ist, oder?
    "Sparpolitik ist falsche Medizin"
    Bastian: So ist es. Aus meiner Sicht ist es die falsche Medizin, zumindest, dass wir jetzt seit einigen Jahren feststellen, sie wirkt nicht. Die Zahlen, die Sie gerade genannt haben, sind ja erschreckend. Das bedeutet nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Sozialkrise. Und am Ende des Tages würgen wir damit auch unternehmerische Investitionsbereitschaft ab, wenn die Steuern so hoch sind, die Sozialabgaben ebenso und immer mehr Menschen schlichtweg nicht mehr wissen, wie komme ich am nächsten Tag, am nächsten Wochenende über die Runden.
    Büüsker: Aber warum macht die Regierung das dann trotzdem mit?
    Bastian: Weil, wie Ihr Kollege Buttkereit mitgeteilt hat: Sonst gibt es kein Geld und dann ist Griechenland pleite, muss Insolvenz anmelden. Und die Konsequenzen, die haben wir vor zwei Jahren erlebt. Das bedeutet dann den Austritt Griechenlands aus der Eurozone.
    Büüsker: Grundsätzlich wäre es aber auch möglich für die internationalen Geldgeber, die Finanzhilfen, die Griechenland jetzt braucht, auch ohne weitere Sparmaßnahmen zu zahlen, oder?
    Bastian: Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Griechenland hat in den vergangenen Jahren sogar gezeigt, dass die Sparmaßnahmen an einem Punkt angekommen sind, wo wir mittlerweile zum Beispiel wieder Haushaltsüberschüsse haben. Aber wir müssen umsteuern: Wie gehen wir mit solchen Überschüssen um? Ist es tatsächlich zielführend, weiterhin Unternehmenssteuern zu erhöhen, oder die Sozialabgaben? Oder sagen wir nicht eher, wir benutzen diese Überschüsse, um zu investieren und auch in ganz bestimmten Bereichen zum Beispiel Sozialprogramme aufzulegen, Beschäftigungsprogramme.
    Büüsker: Ich höre bei Ihnen eine deutliche Kritik an den internationalen Geldgebern. Wie erklären Sie sich deren Kurs?
    "Geldgeber konnten nicht ausreichend Vertrauen aufbauen"
    Bastian: Deren Kurs hat sehr viel damit zu tun, dass die internationalen Geldgeber zum einen gegenüber Griechenland in den vergangenen Jahren nicht ausreichend Vertrauen aufbauen konnten. Erst recht nicht mit der jetzigen Regierung, die unter Führung von Premierminister Tsipras, einer linksradikalen Partei, schlichtweg in Europa keinen Kredit hat – nicht nur auf den Märkten, sondern auch keinen politischen Kredit. Das andere ist, dass die Kreditgeber eigentlich untereinander seit Jahren nicht mehr sich einig sind bei wichtigen Politikbereichen. Der Internationale Währungsfonds möchte eigentlich von dieser ganzen Sparanstrengung weggehen und fordert einen Schuldenschnitt. Den allerdings sind die europäischen Kreditgeber nicht bereit einzuräumen.
    Büüsker: Sie haben jetzt das Vertrauen angesprochen. Hat denn die Regierung in Griechenland irgendetwas getan, um dieses Vertrauen zu gewinnen?
    Bastian: Verschiedene Regierungen haben Vertrauen aufgebaut, manchmal auch wieder leichtfertig verspielt. Aber jetzt geht es darum, neben dem Vertrauen, ob wir einfach diesem Land weiterhin diese Medizin zumuten müssen, ob diese Gesellschaft das weiterhin auch aushalten kann. Oder ob wir nicht sagen, wir sind an Grenzen angekommen, wir müssen umsteuern, umdenken, und wir müssen schlichtweg auch dieser Gesellschaft ein Zeichen geben, dass es Licht am Ende des Tunnels gibt.
    Büüsker: Wie macht sich denn der andauernde Sparkurs bei den Menschen, in deren Leben tatsächlich bemerkbar?
    Bastian: Zum einen, dass sie zum Beispiel oft nicht wissen, was mache ich dann in den nächsten Wochen und Monaten. Viele Menschen sind ja arbeitslos. Sie sprachen da von 23 Prozent. Eine Gesellschaft, die seit Jahren mit einem solch hohen Niveau an Arbeitslosigkeit zurechtkommen muss, verliert zum Beispiel die Perspektiven, was bedeutet es eigentlich, eine Arbeitsstelle zu haben. Viele junge Menschen, wenn sie überhaupt einen Arbeitsplatz bekommen, das sind dann die, wie man im Englischen sagt, Working Poor. Da kommt man kaum mit dem Geld über die Runden, soll darüber hinaus auch noch Steuern zahlen und vielleicht irgendwann auch mal einen Kaffee trinken können. Das heißt, wir müssen über Belastungsgrenzen nachdenken. Die haben wir schon weit überschritten.
    Büüsker: Das ist das Leben der Menschen in Griechenland. Wenn wir noch mal auf die andere Seite gucken, die Seite der Geldgeber, namentlich einfach mal Wolfgang Schäuble genannt. Der sieht sich hier in Deutschland ja immer wieder in der Kritik: Wenn wir Griechenland dieses ganze Geld geben, kriegen wir das denn auch überhaupt irgendwann mal wieder zurück. Ist es aus Ihrer Sicht realistisch, dass Griechenland seine Schulden tatsächlich irgendwann dann auch mal wieder zurückzahlt?
    "Schäuble möchte schwarze Null verteidigen"
    Bastian: Die Höhe des Schuldenberges, den Griechenland in den vergangenen Jahrzehnten angehäuft hat und der jetzt durch die internationalen Kredite auch noch sich vergrößert hat, kann Griechenland in keiner Weise zurückzahlen. Erst recht nicht, wenn sie eine Wirtschaft haben, die ja überhaupt nicht wächst, wie Sie eingangs sagten. Das heißt, wir müssen darüber nachdenken, dass bei den Lösungen, bei dem Umdenkenprozess auch über einen Schuldenschnitt nachgedacht wird. Und da ist Herr Schäuble allerdings in einer schwierigen Situation. Er möchte die schwarze Null verteidigen. Die kriegt er nicht, wenn er zum Beispiel über einen Schuldenschnitt mit Blick auf Griechenland diskutieren muss.
    Büüsker: Welche Alternativen zu einem Schuldenschnitt gäbe es?
    Bastian: Es gibt viele verschiedene Alternativen, die zum Teil ja auch diskutiert werden. Ob man zum Beispiel die Laufzeit der Kredite verlängert, auf 50 Jahre und mehr, ob man auch die Zinssätze, die ohnehin schon relativ niedrig sind, ob man die auch noch mal absenkt. Aber aus meiner Sicht sind das am Ende des Tages Heftpflaster-Lösungen. Wenn Griechenlands Wirtschaft nicht anfängt, zu wachsen, und zwar nachhaltig über mehrere Jahre, wenn es nicht möglich ist, dass endlich wieder Menschen arbeiten können und auch dadurch das Steueraufkommen steigt, ist jegliche Regierung Griechenlands nicht in der Lage, diesen Schuldenberg auch nur im Ansatz abzutragen.
    Büüsker: Laufzeit verlängern, wenn eh klar ist, dass Griechenland das Geld nie zurückzahlen kann, klingt für mich auch nicht besonders logisch.
    "Heftpflaster-Lösungen"
    Bastian: Nein! Am Ende des Tages sind es, wie ich sagte, Heftpflaster-Lösungen. Man versucht, sich Zeit zu kaufen und dabei auch dann einer deutschen Öffentlichkeit zu sagen, das kriegen wir schon irgendwie hin. Weil es ja ohnehin wieder erst in 50 Jahren aktuell wird. Nein, die Griechenland-Krise beschäftigt uns seit neun Jahren mittlerweile. Es ist ein Dauerthema. Aber Griechenland bleibt auch auf der Intensivstation europäischer Rettungspolitik - heute, morgen und übermorgen.
    Büüsker: Sie haben es gesagt: Das ist ein Prozess, der jetzt schon andauert seit 2010. Und immer wieder braucht Griechenland neues Geld und immer wieder hat man das Gefühl, es dauert bis zur letzten Minute, bis die Hilfen dann tatsächlich auch genehmigt werden. Warum ist das so?
    Bastian: Da sprechen Sie einen Punkt an, der sehr viel mit dem Vertrauen zu tun hat gegenüber den Regierungen. Die internationalen Kreditgeber, die Fehler, die sie machen, sind bekannt. Aber es ist auch zu unterstreichen, dass wir viel zu lange brauchen, was solche Überprüfungsmissionen angeht der internationalen Gläubiger. Da könnte auch die griechische Regierung aus meiner Sicht viel mehr Flexibilität an den Tag legen, auch viel mehr Professionalität und sagen, weg mit der Ideologie, jetzt versuchen wir, uns mal auf zwei, drei Kernthemen, Sachthemen zu einigen. Dann geht das schneller, dann können wir auch in der Außendarstellung mehr Kredit, mehr Vertrauen aufbauen. Das fehlt mir bei der jetzigen Regierung unter Premierminister Tsipras.
    Büüsker: ... sagt Jens Bastian. Er ist Ökonom, lebt in Griechenland und beobachtet die Auswirkungen der Finanzkrise dort seit vielen Jahren. Vielen Dank, Herr Bastian, für das Interview heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
    Bastian: Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Büüsker.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.