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Ökonom Milbradt plädiert für einen kleineren Euro-Raum

Mit Blick auf den Zusammenbruch der spanischen Wirtschaft und die Eurokrise gibt es für den Ökonomen Georg Milbradt nur zwei Möglichkeiten zur Lösung der Krise: die Verkleinerung des Euroraumes auf wirtschaftlich vergleichbare Mitgliedsstaaten - oder die Schaffung eines europäischen Bundesstaates.

Das Gespräch führte Jürgen Liminski | 08.06.2012
    Jürgen Liminski: Regierung und Opposition nähern sich an beim Thema Fiskalpakt, Spanien sendet SOS-Signale über die Pyrenäen nach Brüssel, Bundeskanzlerin Merkel fordert mehr Europa, eine Börsensteuer soll die Finanzmärkte nun bändigen – Stoff genug für eine kleine Bestandsaufnahme, vielleicht auch einen kritischen Blick auf das Projekt Euro. Wir sind verbunden mit dem Finanzfachmann der Technischen Universität Dresden und früheren Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen, Georg Milbradt. Guten Morgen, Herr Milbradt.

    Georg Milbradt: Guten Morgen!

    Liminski: Herr Milbradt, fangen wir mit Spanien an, da ist sozusagen der Stier los. Ist die Krise dort noch einzuhegen, oder bricht der Schulden-Euro aus?

    Milbradt: Zunächst einmal ist die Krise wohl noch zu bändigen, wenn man rasch und konsequent vorgeht. In Spanien haben wir zwei Krisen, die gleichzeitig laufen: Das eine ist das Platzen einer Immobilienkrise, vergleichbar mit dem, was wir in den USA und in Irland hatten, und das Zweite ist eine riesige Außenhandelsproblematik. Spanien ist nicht mehr wettbewerbsfähig genug und importiert wesentlich mehr, als es exportieren kann. Beide Krisen müssen bewältigt werden, zunächst einmal, was die Bankenkrise angeht, das ist ja die Immobilienkrise. Die Banken haben riesige Verluste zu erwarten oder schon realisiert, verlieren Kapital, und wenn eine Bank Kapital verliert, kann sie Pleite gehen, und wenn man das Pleitegehen der spanischen Banken vermeiden will, muss man sie rekapitalisieren, mit Kapital ausstatten. Und jetzt kommt genau der Punkt: Die spanische Regierung weigert sich bis zur Stunde, die notwendigen Maßnahmen durchzuführen. Sie möchte, dass diese Rekapitalisierung durch die Rettungsschirme vorgenommen wird, ganz anders, als das in Irland gewesen ist. Irland hat Geld bekommen, musste sich damit einer Finanzkontrolle unterwerfen, und hat das Geld zur Sanierung der Banken benutzt. Spanien möchte das ohne Auflagen haben. Wenn Spanien damit durchkommt, ist die Rettungspolitik oder die Rettungsphilosophie geplatzt, dann bekommen Staaten Geld auch ohne Auflagen, und deswegen muss man da hart bleiben.

    Liminski: Das scheint ja der Fall zu sein, Europa wird ja wohl hart bleiben.

    Milbradt: Ja … das weiß ich nicht. Also im Augenblick ist das Management der spanischen Bankenkrise durch die spanische Regierung grottenschlecht, und jetzt kommt genau der Punkt: Dadurch, dass vor aller Welt deutlich wird, dass die spanischen Banken ein Problem haben, nicht ein Problem herbeigeredet worden ist, sondern haben, die Regierung nicht richtig handelt und spanische Banken drohen, wenn nichts passiert, Pleite zu gehen, kriegen sie natürlich kein Geld mehr. Es sind also nicht die Märkte, die versagen, sondern die Politik, die versagt.

    Liminski: Könnte denn Europa mit dem Rettungsschirm das theoretisch schultern?

    Milbradt: Wenn es nur auf die Bankenkrise beschränkt wäre, könnte ich mir das vorstellen. Da reden wir über Summen, die irgendwo zwischen 40 Milliarden, möglicherweise aber bis 200 Milliarden gehen zur Rekapitalisierung der Banken. Bei einer konsequenten Politik von Spanien, die auch Vertrauen ausstrahlt auf die Investoren, dass sie sagen, die tun hier alles, unser Geld ist nicht verloren, dann kehrt möglicherweise das eine oder andere wieder zurück. Trotzdem bleibt noch eine große Wegstrecke für Spanien, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Die spanischen Löhne und Preise sind ungefähr um 20 Prozent zu hoch, das muss korrigiert werden, und auch dort ist es möglich, wenn man in das Baltikum guckt. Estland und Lettland haben solche Anpassungen in den letzten Jahren geschafft, wenn auch mit Mühe, aber sie haben sie geschafft. Gucken Sie in andere Regionen des Südens, die Länder haben es nicht geschafft, zum Beispiel Griechenland.

    Liminski: Herr Milbradt, bei einer möglichen Staatspleite von Griechenland, Spanien, Portugal, vielleicht auch noch Italien, gingen mehr als 600 Milliarden Euro verloren. Wenn der Euro zusätzlich zerbrechen sollte, kämen noch gut 300 Milliarden für Notenbankforderungen hinzu, rechnet da jüngst ifo-Präsident Sinn vor, eine knappe Billion Euro als "Fonds-perdu". Ist das zu verkraften, das ist ja der worst case, oder platzt dann der Euro auseinander?

    Milbradt: Zunächst muss man sagen, ein Teil des Geldes ist ja schon weg. Zu glauben, wir würden einen großen Teil oder alle Hilfen an Griechenland zurückbekommen, ist so oder so illusionär, ob der Euro nun weiter als Währung existiert oder nicht, denn objektiv ist Griechenland nicht in der Lage, auf absehbare Zeit dieses Geld zu zahlen und man wird ihnen die Schulden erlassen. Das ist so ähnlich wie oft Entwicklungshilfe über Kredite gegeben wird, und dann schreibt man sie nach zehn Jahren spätestens ab, weil es völlig klar ist, dass sie uneinbringlich ist. Also ein Teil des Geldes - über das wir hier reden, über die Summen kann man je nach Annahme dann sehr spekulieren, aber auf jeden Fall sind es größere Beträge, die auch Deutschland schwer zu schaffen machen -, ein Teil des Geldes ist weg und ein guter Kaufmann schmeißt schlechtem Geld, das schon verloren ist, nicht gutes hinterher. Also wenn jetzt mit diesen Zahlen operiert wird, dann muss man wissen: Ein Teil der Verluste ist schon da, er ist nur noch nicht in den Büchern des Staates realisiert worden, weil dort gegenüber dem Wähler die Illusion aufrecht erhalten wird, es handele sich ja nur um Kredite, die man bei Gelegenheit ja wiederkriegte.

    Liminski: Als Ursache für die ganze Krise wird natürlich auch der Markt, werden die Märkte ausgemacht. Die jetzt beschlossene Finanztransaktionssteuer, ist sie ein geeignetes Mittel, um die Märkte einzuhegen oder in die Verantwortung zu nehmen?

    Milbradt: Überhaupt nicht. Die Krise ist eine Staatskrise. Sie ist eine Krise von Überschuldung von Staaten, Überschuldung von Volkswirtschaften, die natürlich auch über den privaten Sektor gehen kann. Spanien ist ungefähr mit einem Bruttoinlandsprodukt im Ausland verschuldet, also eine Riesenverschuldung. Das ist das eigentliche Problem. Die Märkte reagieren relativ rational. Es gibt keine Übertreibung, auch das gibt es in den Märkten, da muss man schon bei den Finanzmärkten aufpassen. Aber diese Krise ist nicht durch unvernünftiges Verhalten oder spekulatives Verhalten der Finanzmärkte hervorgerufen worden, sondern durch unvernünftige Politik, und deswegen muss die Politik geändert werden. Das Andere ist mehr oder minder eine politische Konzession, um in Deutschland eine Zustimmung zu bekommen, aber bezogen auf das Problem bringt es überhaupt nichts. Im Übrigen ist das eine reine Umsatzsteuer, die überwälzt wird, und es werden zum Teil ganz natürlich die Anleger bezahlen müssen, und das sieht man ja schon auch ein, indem man da wieder Sonderregelungen macht. Also das ist mehr oder minder eine weiße Salbe bezogen auf die Krise.

    Liminski: Wenn die Politik geändert werden muss, wie Sie sagen, dann sind wir bei dem Thema zwei Geschwindigkeiten in Europa. Ist das denn der Weg, um den Euro zu retten?

    Milbradt: Grundsätzlich kann man eine Währungsunion nur auf Dauer aufrechterhalten zwischen relativ homogenen Wirtschaftsgebieten. Es war von Anfang an klar, dass der Euro-Raum diese Bedingung nicht erfüllt. Man hatte die Vorstellung, man könne die Homogenisierung erzwingen. Das ist nicht geschehen. Ganz im Gegenteil: Die Unterschiede sind größer geworden. Man muss also im Grunde genommen zwei Optionen nehmen, wenn man einen stabilen Euro weiter haben will: Entweder man reduziert den Euro auf ein Gebiet von vergleichbaren Volkswirtschaften, oder – das ist dann auch noch allerdings mit Fragezeichen zu versehen – es gelingt, die notwendigen Homogenisierungen, die noch nicht da sind, zentral durchzusetzen. Das heißt, wir brauchen eine zentrale Macht. Wenn man die Märkte nicht will, die das über Pleiten regeln, dann brauchen wir einen starken europäischen Bundesstaat, der stärker sein muss, was diese Dinge angeht, als zum Beispiel die bundesstaatlichen Strukturen in der Schweiz oder in den USA. Das heißt also, wir würden dort eine Machtkonzentration in Brüssel haben, die nur gerechtfertigt ist, wenn wir auch einen europäischen Bundesstaat mit einer europäischen Regierung und einem europäischen Parlament hätten. Was wir im Augenblick machen, sind Verabredungen nationaler Staaten, die man nicht durchsetzen kann im Zweifel.

    Liminski: Aus den Bundesländern, insbesondere aus Bayern kommt Kritik an einem Europa, das sozusagen noch mehr Souveränität aufsaugt. Gefährdet denn ein unkontrollierter Kurs in Europa auf Dauer auch die föderale Struktur Deutschlands?

    Milbradt: Natürlich! Je mehr man nach Brüssel verlagert, desto weniger bleibt zur Verteilung an Kompetenzen zwischen Bund und Länder übrig. Aber primär werden im Augenblick die Nationalstaaten gefragt, ob sie zum Beispiel ihre Haushaltshoheit aufgeben, ob Frau Merkel im Grunde genommen in die Rolle von Frau Kraft als größtes Bundesland schlüpfen will. Sie ist dann nicht mehr Diejenige, die in Europa den Ton angibt, sondern das würde eine europäische Regierung machen, die europäisch gewählt wird. Ich habe aber Zweifel, ob die europäischen Völker das wollen. Und das Zweite ist: Die Vorstellung, man könne ganz Europa so organisieren wie Deutschland, ist ein bisschen anmaßend und wahrscheinlich auch nicht durchsetzbar. Schon vor 100 Jahren hat ja Kaiser Wilhelm gesagt, am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Das mag zwar im Einzelfall jetzt bezogen auf die Finanzpolitik richtig sein, aber diese Länder wollen das nicht und sie haben auch andere Traditionen. Die Frage ist, wollen wir sozusagen die Völker zwingen, gegen ihren Willen sich so zu gleichen, wie das zum Beispiel in Deutschland der Fall ist. Wir haben ein Motto in der Europäischen Union, das heißt in varietate concordia, in der Vielfalt die Eintracht. Wir wollen ja nicht nur Vielfalt im Kulturellen, sondern es gibt auch Vielfalt in den wirtschaftlichen Lösungen, in den Gewerkschaften, in den Strukturen, und ich glaube nicht, dass wir das im Augenblick kurzfristig hinbekommen. Und das spricht alles dafür, wenn man das Projekt Euro mit Erfolg weiterführen will, es auf eine kleinere Gruppe zu reduzieren, wo es auch dann sehr viel einfacher ist, die notwendigen Strukturreformen, die notwendigen Veränderungen durchzuführen, oder möglicherweise gar nicht durchführen muss, weil die Strukturen schon ähnlich sind.

    Liminski: Das neue Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten muss kommen – das war hier im Deutschlandfunk der Finanzexperte und ehemalige Ministerpräsident von Sachsen, Georg Milbradt. Besten Dank für das Gespräch, Herr Milbradt.

    Milbradt: Danke! Auf Wiederhören.

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