Dienstag, 23. April 2024

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Ökonom zum Brexit und Irland
"Der No-Deal ist das wahrscheinlichste Szenario"

Der in Irland lebende Ökonom Edgar Morgenroth hält Boris Johnsons Vorschlag, zwei geschlossene Grenzen zwischen Irland und Nordirland einzuführen, für nicht geeignet, um einen Kompromiss mit der EU zu finden. In Wirklichkeit wolle Johnson auch gar keinen Kompromiss, sagte Morgenroth im Dlf.

Edgar Morgenroth im Gespräch mit Christine Heuer | 07.10.2019
Innereuropäische Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland, die nach den Brexit-Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien zu einer harten Grenze werden könnte, Blacklion, County Cavan, Irland, Europa
Innereuropäische Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland, die nach den Brexit-Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien zu einer harten Grenze werden könnte (imago / imageBROKER / Matthias Graben)
Christine Heuer: Großbritannien ist auf eine Insel gehüpft; nun muss die EU ebenfalls dorthin springen, um einen Brexit-Kompromiss zu suchen. – Mit diesem Bild beschreibt Boris Johnson seine Erwartungen an Brüssel, wenn es heute wieder losgeht mit den Verhandlungen beider Lager. Bis Ende der Woche, mahnt die EU27, müsse eine Lösung gefunden sein. Auf dem Kontinent ist man allerdings äußerst skeptisch, ob das gelingen kann, und immerhin hierin sind sich beide Seiten offenbar einig. Auch London glaubt nicht wirklich an einen Durchbruch in dieser neuen Woche der Entscheidung.
Der Brexit, eine "never ending Story" mit immer neuen dramatischen Wendungen. Wie kommt man da raus? – Fragen jetzt an Edgar Morgenroth. Der deutsche Ökonom arbeitet seit langem an der DCU Business School im irischen Dublin. Er berät auch die irische Regierung in Sachen Brexit. Guten Morgen, Herr Morgenroth.
Edgar Morgenroth: Guten Morgen.
Nicht vereinbar mit dem "Good Friday Agreement"
Heuer: Leo Varadkar, der irische Regierungschef, der sagt, er verstehe Johnsons Vorschläge nicht. Können Sie ihm und uns bitte helfen? Was schlägt der britische Premier kurz und in einfachen Worten vor?
Morgenroth: Die EU versucht, die offene Grenze zwischen Nordirland und Irland zu erhalten, und Boris Johnson schlägt vor, die offene Grenze mit zwei geschlossenen Grenzen zu ersetzen. Das heißt einmal eine Zollgrenze zwischen Nordirland und Irland und dann eine Regulierungsgrenze zwischen Nordirland und Großbritannien. Das ist einmal ein Problem, weil das den Status der Grenze, der ja auch mit im "Good Friday Agreement", dem Karfreitagsabkommen, das den Frieden für Nordirland beschlossen hatte, enthalten ist, nicht vereinbar ist, und es ist auch ökonomisch ein großes Problem für Nordirland.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Heuer: Ist es denn praktikabel?
Morgenroth: Auch wiederum nicht, denn Zoll- und Regulierungsangelegenheiten werden oft zusammen gemacht. Wenn jetzt eine Ladung von irgendwelchen Produkten an die Grenze kommt, wird oft gleichzeitig gecheckt, ob diese Produkte der Regulierung der EU entsprechen, und der Zoll wird auch gleichzeitig abgefertigt. Was jetzt vorgeschlagen wurde ist, das auseinanderzunehmen.
Heuer: Sie halten gar nichts von dem Vorschlag von Boris Johnson?
Morgenroth: Da ist ja noch der dritte Teil, dieses Veto für die DUP-Partei in Nordirland, die auch wiederum diesem Karfreitags-Vertrag nicht entspricht, und es sieht so aus, als wäre es ein Vorschlag, der nicht dafür geschaffen ist, einen Kompromiss zu finden, sondern eher dafür geschaffen ist, um ohne einen Vertrag aus der EU auszutreten.
Heuer: Andererseits, Herr Morgenroth, kann man ja auch sagen, immerhin, London bewegt sich, es tut sich etwas, es kommt Bewegung in die Sache. Muss die EU das nicht nutzen, darauf aufbauen und diesen Kompromiss in letzter Minute jetzt ganz dringend suchen?
Morgenroth: Die EU hat von Anfang an ziemlich klar gemacht, was die Kriterien sind für einen Vertrag sind, und Großbritannien inklusive Boris Johnson wussten das auch. Jetzt in letzter Minute mit so einem Vorschlag zu kommen, der diesem überhaupt nicht entspricht, macht es natürlich sehr, sehr schwer, in der kurzen Zeit, die da noch zur Verfügung steht, einen Kompromiss zu finden. Das ist das große Problem und es ist auch nicht sicher, dass Boris Johnson den Kompromiss will. Das ist das größte Problem. Einige Sachen, die in diesem Vorschlag drinstehen, sind so weit entfernt von einer möglichen Lösung, dass es sich ein bisschen anfühlt, als hätte er gar kein Interesse daran, einen Kompromiss zu finden.
Heuer: Aber müsste nicht gerade dann die EU mit einem Gegenvorschlag, mit einer eigenen Offensive antworten?
Morgenroth: Die EU hat ja schon über zwei Jahre mit der Regierung von Theresa May einen Vertrag ausgehandelt. Den gibt es ja noch und das ist das, was die EU vorschlägt.
Heuer: Aber der ist ja nun dreimal abgelehnt worden und jeder sagt, der ist politisch tot. Müsste da nicht was Neues auf den Tisch? Was könnte die EU denn anbieten in dieser Situation?
Morgenroth: Eigentlich nichts, weil diese Grenzfrage für Nordirland ist eine sehr, sehr wichtige, und da gibt es eigentlich keine andere Lösung als das, was in diesem Vertrag, der mit Theresa May ausgehandelt wurde, schon drinsteht. Das ist das Problem. Nun hat, wie Sie schon gesagt haben, das Parlament schon dagegen gestimmt. Das Parlament hat allerdings auch schon viermal dafür gestimmt, ein Abkommen zu haben, und ein Gesetz erlassen, was es Boris Johnson nicht möglich macht, ohne ein Abkommen aus der EU auszutreten. Da sage ich, wenn die wirklich so sehr ein Abkommen wollen, das Abkommen gibt es schon, sie brauchen nur noch dafür zu wählen.
Genau das, was mit Theresa May verhandelt wurde
Heuer: Aber das machen die ja nicht. – Wäre es denn eine Idee, dass die EU sagt, okay, Nordirland im Binnenmarkt, das finden wir schon mal gut, aber Nordirland muss auch in der Zollunion bleiben und dann können wir sagen, wir haben einen Deal.
Morgenroth: Das ist genau das, was in diesem Abkommen steht, das mit Theresa May verhandelt wurde, was der ursprüngliche Text besagt.
Heuer: Ja, der ursprüngliche Text. Aber dann hieß es ja, ganz Großbritannien soll in beiden Organisationen mit drinbleiben.
Morgenroth: Genau. – Das wurde dann geändert, weil die DUP das nicht so wollte und damals die Regierung May von der DUP als Minderheitsregierung gestützt wurde. Jetzt ist die Konservative Partei in der Minderheitsregierung. Selbst mit der DUP haben sie keine Mehrheit mehr. Man könnte ohne weiteres wieder zurück auf dieses ursprüngliche Abkommen kommen, aber da hat wiederum die DUP nach wie vor ihre Bedenken.
Heuer: Dafür gäbe es keine Mehrheit im Unterhaus, sagen Sie?
Morgenroth: Das heißt, es sind zehn Abgeordnete im Unterhaus, die da im Grunde genommen ein Abkommen verhindern.
Heuer: Für niemanden in der EU wäre ein No-Deal schlimmer als für Irland. Kann Dublin den Gordischen Knoten lösen?
Morgenroth: Eigentlich nicht, weil dieses Grenzproblem ist für Irland sehr, sehr wichtig. Es gab 30 Jahre lang in Nordirland einen Konflikt; der ist mit dem Karfreitags-Abkommen mehr oder weniger gelöst worden. Jetzt kommt die DUP her und versucht, dieses Abkommen, das sie nie wollte, abzuschießen. Das ist für Dublin, die mit diesem Abkommen auch für Nordirland eine Verantwortung haben, einfach nicht akzeptabel. Das ist ein internationaler Vertrag, den Großbritannien abgeschlossen hat mit Irland und den Parteien in Nordirland, und jetzt versucht man, diesen Vertrag grundlegend zu ändern, und das ist einfach nicht akzeptabel. Das ist so ähnlich, wie wenn jetzt Russland die Verträge kündigt über nukleare Abrüstung. Das ist im Grunde genommen dasselbe.
"Johnson hat seine Partei in eine Brexit-Partei verwandelt"
Heuer: Sie haben jetzt ein paar Mal auch in unserem Gespräch gesagt, Herr Morgenroth, Boris Johnson wolle ja überhaupt keinen Kompromiss. Deshalb schlage er vor, was er jetzt vorschlägt. Worauf zielt denn der Premierminister konkret ab? Will der immer noch einen No-Deal, Ihrer Meinung nach?
Morgenroth: Vor allem würde er gerne eine Wahl haben, weil er glaubt – und die letzten Zahlen zeigen das auch -, dass er in einer Wahl mit einer Mehrheit rauskommen würde. Er hat im Grunde genommen seine Partei in eine Brexit-Partei verwandelt und in Großbritannien, vor allem in England will man nach wie vor einen Brexit. Die anderen Parteien werden hergestellt, als wären sie die Blockade dazu.
Heuer: Herr Morgenroth, kurze Frage: Was sehen Sie jetzt voraus für die kommenden Wochen? Einen No-Deal? Eine Verlängerung?
Morgenroth: Ich bin schon lange der Meinung, dass es einen No-Deal gibt. Nach dem BEN-Akt müsste es eigentlich eine Verlängerung geben. Es ist natürlich möglich, und so verrückt sind die Dinge in London, dass sich der Premierminister nicht an ein Gesetz des Parlaments hält.
Heuer: Sie glauben, es kommt zum No-Deal?
Morgenroth: Das ist, ich glaube, das wahrscheinlichste Szenario.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.