Freitag, 19. April 2024

Archiv

Ökonom zum Lira-Verfall
"Am Ende steht vermutlich eine Rezession"

Die Währungskrise in der Türkei könnte zu einer schweren Wirtschaftskrise werden, sagte Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, im Dlf. Mit seiner aktuellen Wirtschaftspolitik werde Präsident Recep Tayyip Erdogan irgendwann an den Punkt kommen, an dem er faktisch die Märkte abstellen müsse.

Claudia Wehrle im Gespräch mit Jörg Krämer | 13.08.2018
    Ein Mann zählt türkische Lira in einer Wechselstube in Istanbul am 8.Januar 2015. AFP PHOTO / OZAN KOSE / AFP PHOTO / OZAN KOSE
    Die Türkische Lira hat massiv an Wert eingebüßt (AFP / PHOTO / Ozasn Kose)
    Claudia Wehrle: Präsident Erdogan spricht nicht von einer Wirtschaftskrise in seinem Land - und Sie?
    Jörg Krämer: Ja, das ist Wirklichkeitsverweigerung. Natürlich steckt die Türkei in einer dicken Krise, in einer Währungskrise. Es ist auch gut möglich, dass das Ganze in einer Rezession endet, und dafür gibt es nur einen Begriff: Krise.
    "Geld ist ein Stück Papier, was vom Vertrauen lebt"
    Wehrle: Die Türkei ist auf ausländische Investoren angewiesen. Viele von ihnen sagen ja inzwischen: Also wie es in der Türkei aussieht, uns ist das viel zu heikel, wir ziehen Gelder wieder ab. Kann man denn schon so ein bisschen absehen, wie groß dieses Ausmaß ist?
    Krämer: Das werden Sie erst sehen in den Statistiken, die dann ja in ein, zwei Monaten veröffentlich werden. Aber wenn Sie einen solchen Verfall der Währung sehen, dann ist das klar, dass Unmengen von Geld abgezogen werden. Was ja nachvollziehbar ist, denn was ist Geld? Geld ist ein Stück Papier, was vom Vertrauen lebt, dass die Zentralbank seinen Wert verteidigt. Aber wenn ein Präsident wie Erdogan der Zentralbank faktisch verbietet, zur Verteidigung des Geldwertes und zur Verteidigung, zur Verhinderung einer noch höheren Inflation - die schon bei 16 Prozent liegt - wenn er verhindert, dass sie die Zinsen anheben kann, dann nimmt er der Zentralbank ja die Instrumente aus der Hand. Und dann ist es doch klar, dass die Leute sagen: Ja, das ist Papier, nicht wahr, und insofern fällt die Währung jetzt.
    "Dann gibt es keinen echten Markt mehr"
    Wehrle: Welche Möglichkeiten hat Erdogan denn, aus diesem Schlamassel wieder rauszukommen?
    Krämer: Die gute Option wäre: Er sieht ein, dass er einen Fehler gemacht hat, er beugt sich den ökonomischen Gesetzen; er gibt der Zentralbank Unabhängigkeit und lässt die Fachleute machen, durch höhere Zinsen das Vertrauen wiederherzustellen und die Inflation mittelfristig wieder zu senken. Das allerdings glaube ich eher nicht, weil das wäre ein Gesichtsverlust. Er macht vermutlich so weiter, und dann wird er irgendwann an einen Punkt kommen, wo er faktisch die Märkte abstellen muss. Und das heißt dann Kapitalverkehrskontrollen, Devisenbewirtschaftung. Dann gibt es keinen echten Markt mehr, in dem Sie den Schmerz wirklich sehen, aber er kann damit natürlich die angezeigten Kurse erst einmal stabilisieren. Aber welcher Investor geht denn wieder rein in ein Land, wo man eventuell später nicht mehr rauskommt? Der langfristige Schaden von Kapitalverkehrskontrollen, der langfristige Schaden von Devisenbewirtschaftung ist sehr hoch. Sie können es drehen und wenden wie Sie wollen, ein einfaches Rauskommen dort gibt es nicht.
    Der IWF kann nicht helfen
    Wehrle: Glauben Sie, dass er den IWF anrufen wird?
    Krämer: Der Internationale Währungsfonds, der kann ja keinem Land Geld geben, was bewusst mit seiner ignoranten Wirtschaftspolitik den Schaden selber herbeiführt. Der Internationale Währungsfonds wird dann Auflagen machen und eine Kehrtwende von Erdogan verlangen. Das kann ich mir aber schwer vorstellen, dass er sich so sichtbar dann dem Kapital, dem Ausland beugt.
    "Am Ende steht eine Rezession"
    Wehrle: Was heißt das alles für die Türkei?
    Krämer: Also vermutlich wird Erdogan stur bleiben. Es wird dann in diesem Falle auf Kapitalverkehrskontrollen, auf eine Devisenbewirtschaftung hinauslaufen, und am Ende steht dann vermutlich eine Rezession, eine schwere Wirtschaftskrise.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.