Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Österreich
Debatte um Verbot von Salafisten-Verein

Nach dem harten Vorgehen der deutschen Behörden gegen die islamistische Vereinigung "Die wahre Religion" spricht sich auch Österreichs Außenminister Kurz für härtere Maßnahmen gegen Salafisten aus. Doch Experten fordern: weniger Symbol-Politik, dafür mehr nachhaltige Bekämpfung von extremistischen Umtrieben.

Von Stephan Ozsváth | 17.11.2016
    Ein Besucher des Islamischen Zentrums Wien liest den Koran aufgenommen am 25.10.2014 anlässlich des "Tages der offenen Moschee" in Wien.
    Ein Besucher des Islamischen Zentrums Wien liest den Koran. (DPA/Herbert Neubauer /apa)
    "Möchte die Dame einen Koran auf Deutsch haben?"
    "Kostet der was?"
    "Nein, der ist kostenlos."
    Fußgängerzone im Wiener Szenebezirk Mariahilf. Freiwillige Aktivisten mit Bart und weißem Gewand haben einen Stand aufgebaut und verteilen kostenlos Koran-Ausgaben. Sie gehören dem Salafisten-Netzwerk "Die wahre Religion" an. Am Stand ist auch der Gründer der Aktion, der Palästinenser Ibrahim Abou-Nagie. Die Szenen stammen aus einem Youtube-Video des salafistischen Laien-Predigers. Abou-Nagie ist mittlerweile untergetaucht, wird in Malaysia vermutet. Seine Predigten offenbaren ein problematisches Demokratie-Verständnis.
    "Wenn wir die Demokratie mit der Scharia vergleichen: Die Demokratie ist gegen den Islam."
    In Österreich ist ein Verbot umstritten
    In Deutschland ist die Salafisten-Gruppe mittlerweile verboten. In Österreich ist man zurückhaltender. Im Wiener Innenministerium heißt es: Man beobachte die Aktivitäten des Vereins aufmerksam, sei auch im Kontakt mit den Behörden in Deutschland. Das Verteilen religiöser Schriften sei aber nicht strafbar. Und in Österreich sei die Gruppe nicht so organisiert wie in Deutschland, so der Sprecher des Innenministeriums auf ARD-Nachfrage. Politologe Thomas Schmidinger kommentiert Razzien und Verbot in Deutschland kritisch:
    "Sagen wir so: Es ist keine besonders kluge Strategie, ein politisch-salafistisches Netzwerk mit großer Nähe zum Dschihadismus groß werden zu lassen und dann zu verbieten. Das Resultat dessen ist vermutlich, dass ein Teil der Anhängerschaft und Aktivisten in den Untergrund gehen wird. Es würde mich nicht wundern, wenn einige der Akteure der Gruppierung in Zukunft irgendwann einmal im Zusammenhang mit Anschlägen in Europa auffallen werden."
    Für ein Verbot wie in Deutschland hat sich dagegen Österreichs Außenminister Kurz, auch zuständig für das Ressort Integration, ausgesprochen und die rechtspopulistische FPÖ. Islamismus-Experte Thomas Schmidinger ist skeptisch:
    "Wichtiger wäre es, auf der symbolischen Ebene weniger massiv aktiv zu sein, dafür aber wirklich die Strukturen dahinter zu zerschlagen."
    Die Propaganda im Netz beschert der Minderheit große Aufmerksamkeit
    Die Gruppierung "Die wahre Religion" ist mittlerweile in mehr als einem Dutzend Ländern aktiv, auch in Österreich. In Wien, Graz, Klagenfurt und anderen Städten der Alpenrepublik hat sie bereits kostenlos Ausgaben des Koran verteilt. Ziel sei es nicht, Gotteskrieger zu rekrutieren, beteuert der Organisator der Wiener Verteil-Aktion "Lies!", Mustafa Breier:
    "Es stimmt, dass ein paar junge Leute, die früher in Deutschland beim Lies-Projekt mitgemacht haben, heute in Syrien sind. Aber Sie sehen die jungen Leute hier, und wenn einer von denen morgen nach Syrien geht, da können wir nichts dafür!"
    In Deutschland sind nach eigenen Angaben bis Mitte des Jahres 3,6 Millionen Exemplare der salafistischen Koran-Ausgabe verteilt worden. Ziel der Missionierer: 25 Millionen weltweit. Auch im Internet ist "Die wahre Religion" aktiv. Mehr als 2000 Propaganda-Videos hat sie ins Netz gestellt, hat das Innenministerium in Berlin nachgezählt. Der Wiener Politologe Schmidinger warnt:
    "Es ist ganz besonders problematisch, weil diese Gruppen auch im Web 2.0 sehr viel präsenter sind als alle anderen Strömungen des Islam. Und so finden in Österreich vielleicht 200 Personen eine Aufmerksamkeit, die wesentlich größer ist als die Zahl ihrer Mitglieder und Aktivisten."