Dienstag, 19. März 2024

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Journalist: FPÖ wird durch Strache-Video nicht zerstört

Der österreichische Journalist Christian Rainer glaubt nicht, dass Kanzler Sebastian Kurz durch den Misstrauensantrag gestürzt wird. Auch die FPÖ werde vermutlich nicht so massiv verlieren, wie manch einer glaubt: "Man sollte die Rationalität solcher Vorgänge nicht überschätzen", sagte er im Dlf.

Christian Rainer im Gespräch mit Christiane Kaess | 21.05.2019
Heinz Christian Strache von der FPÖ reibt sich die Augen vor einem Plakat "Danke, Österreich"
Kommt Heinz-Christian Strache zurück in die Politik? Christian Rainer hält das für nicht ausgeschlossen (picture alliance / dpa / Christian Bruna)
Christiane Kaess: Österreich steht Kopf. Der Affäre um das Enthüllungsvideo um den mittlerweile zurückgetretenen Vizekanzler Strache von der rechten FPÖ folgte dann der Rausschmiss von FPÖ-Innenminister Kickl, und jetzt steht Bundeskanzler Kurz von der ÖVP selbst unter Druck. Er könnte mit einem Misstrauensvotum des Parlaments gestürzt werden. Das wird am Montag im Parlament in Wien stattfinden.
Ich kann darüber jetzt sprechen mit Christian Rainer. Er ist Chefredakteur und Herausgeber des österreichischen Nachrichtenmagazins "Profil". Guten Tag, Herr Rainer.
Christian Rainer: Ja, Hallo!
"Wenn die SPÖ vernünftig ist, stürzt sie den Bundeskanzler nicht"
Kaess: Es wird am kommenden Montag ein Misstrauensvotum in Wien gegen Bundeskanzler Kurz geben. Ihre Einschätzung, wird er stürzen?
Rainer: Meiner Einschätzung nach eher nicht. Das Problem liegt darin, dass die Sozialdemokratie gespalten ist in dieser Frage. Eher der linke Teil der Sozialdemokratie will ihn stürzen; die gemäßigten, die ein bisschen nachdenken, was das bedeuten würde, sind dagegen. Aber ich denke, eher nein, und die Vernunft in der Sozialdemokratie wird da eher zum Zug kommen. Würde man ihn stürzen, dann würde man ihn gemeinsam mit der Freiheitlichen Partei stürzen, und das könnte sehr schnell wieder einen Opfer-Mythos oder sonst was erzeugen. Eine andere Theorie ist, man stürzt ihn einmal, dann wird er wieder berufen, dann hat man ein Signal gesetzt und dann kann er doch noch als Bundeskanzler bis zu den Neuwahlen regieren.
Kaess: Das was Sie ansprechen, das ist ja in der Tat so. Bei diesem möglichen Misstrauensvotum würde die SPÖ und andere Oppositionsparteien eventuell gemeinsame Sache mit der FPÖ machen. Da glauben Sie in der Tat, das schreckt dann zum Beispiel Parteien wie die SPÖ doch noch ab?
Rainer: Wenn die SPÖ vernünftig ist – und alles das, was wir hier erleben und was wir in dem Beitrag gerade gehört haben, ist ja schon Vorwahlkampf und das ist Taktik -, dann stürzt sie den Bundeskanzler nicht, oder sie tut es jetzt nur einmal, aber jedenfalls nicht ein zweites Mal. Er würde noch mal berufen vom Bundespräsidenten und könnte dann regieren. Aber der linke Flügel in der SPÖ ist sehr emotional, will sich rächen an der Schmach der vergangenen eineinhalb Jahre, und wenn der sich durchsetzt, dann wird Bundeskanzler Kurz zumindest einmal, vielleicht auch zweimal gestürzt werden.
"Ruhe kehrt nicht ein bei jenem Innenminister Herbert Kickl"
Kaess: Sie sagen, wenn die SPÖ vernünftig ist. Es heißt ja jetzt aus der SPÖ, man will eine gesamte Übergangsregierung aus Experten. Kann das funktionieren?
Rainer: Das könnte meiner Meinung nach durchaus funktionieren. Das müssten oder sollten eher weniger Beamte sein, sondern möglicherweise honorige Persönlichkeiten, die im öffentlichen Leben ähnliche Tätigkeiten schon gemacht haben. Da gibt es genügend Wissenschaftler, die einen Think Tank führen. Da gibt es emeritierte Politiker, die das Vertrauen der Bevölkerung haben. Das würde durchaus funktionieren. Ich glaube nur nicht, dass es unbedingt dazu kommen wird, weil es eine etwas ungewöhnliche Situation wäre. Allerdings, wie ja jeder gemerkt hat: Das ist die ungewöhnlichste Situation, um es mal so zu nennen, seit 1945 in Österreich. Erfreulich ist, dass die Verfassung offensichtlich auch für solche Situationen Dinge vorgesehen hat, die das Weiterführen und den Weiterbestand der Demokratie dann doch garantieren.
Kaess: Sie setzen jetzt auf die Verfassung und auf den Bundespräsidenten?
Rainer: Ich setze auf die Verfassung und den Bundespräsidenten. Ein Seitenaspekt ist, dass Norbert Hofer, der nun ja die Freiheitliche Partei übernimmt, beinahe selber Bundespräsident geworden wäre und bei der Wahl mit 79 Prozent unterlegen ist. Man stelle sich vor, wenn der nun Bundespräsident wäre als FPÖ-Repräsentant, aber das ist nun Alexander von der Bellen, ein ehemaliger Grünen-Politiker im Übrigen, der sehr mit großem Bedacht agiert und vermutlich da doch dafür sorgen wird, dass halbwegs Ruhe einkehrt. Im Übrigen: Ruhe kehrt nicht ein bei jenem Innenminister Herbert Kickl, der erst vor etwa einer Stunde per Verwaltungsakt einen 1,50 Euro Stundenlohn für im Endeffekt Migranten durchgesetzt hat, weil er jetzt am Schluss dann doch noch mal irgendwie in jede Richtung um sich schlägt, bevor er in irgendeiner Form abgesetzt ist.
"Selbstverständlich will sich die FPÖ rächen"
Kaess: Dann bleiben wir mal bei der FPÖ. Sie haben Herrn Kickl erwähnt. Er hat auch gesagt in Bezug auf dieses Misstrauensvotum: Wer Vertrauen gibt, erhält Vertrauen. Wer Misstrauen gibt, kriegt Misstrauen. – Will sich die FPÖ jetzt rächen?
Rainer: Selbstverständlich will sich die FPÖ einerseits rächen, andererseits in Position bringen. Alle, die nun glauben, sei es in Österreich oder auch international, dass die FPÖ mit diesem verheerenden Video, mit einer unglaublichen Dekuvrierung, was wirklich in den Spitzenpolitikern drinsteckt, dass die FPÖ damit geschlagen wäre, dass sie bei der EU-Wahl und erst recht bei der Nationalratswahl dann dezimiert würde, die könnten sich sehr täuschen. Das ist alles so kompliziert. Im Übrigen meinen gerade die Wähler von populistischen Parteien, es sei ohnehin alles irgendwo immer eine Verschwörung. Ich bin mir ganz und gar nicht sicher und mit mir viele andere Beobachter auch nicht, dass die FPÖ in diesem Maße jedenfalls bei den Nationalratswahlen Schaden nehmen wird. Es gab jetzt eine Blitzumfrage - wir wissen nicht, was davon zu halten ist -, dass jedenfalls bei der EU-Wahl viele Stimmen von der FPÖ zur ÖVP wandern könnten. Langfristig und bei den Nationalratswahlen könnte natürlich die ÖVP wirklich davon profitieren, aber ich warne wirklich davor zu glauben, dass die FPÖ durch dieses unglaubliche Video zerstört werden würde. So leicht lassen sich populistische oder extrem rechte Parteien nicht dezimieren, weil ihr Elektrorat ganz anders funktioniert, als man das von aufgeklärten Menschen im Jahr 2019 erwarten sollte.
Kaess: Genau darauf setzt ja offenbar auch die FPÖ. Ich zitiere noch mal Herbert Kickl. Der hat gesagt, Sebastian Kurz hat sich in eine Sackgasse manövriert und vielleicht nicht damit gerechnet, dass wir Freiheitliche nicht Regierungsämter mit aller Macht verteidigen wie andere. Das bezog sich gestern auf den Rücktritt der Minister aus der Regierung. – Kann die FPÖ schlussendlich vielleicht sogar von dieser Krise profitieren?
Rainer: Ich glaube, nicht profitieren. Aber es ist nicht gesagt, dass sie massiv verlieren wird. Vielleicht jetzt im ersten Schock bei der EU-Wahl in wenigen Tagen. Bei der Nationalratswahl im September nicht unbedingt. Selbst Heinz-Christian Strache, der im Zentrum dieses Videos steht, hat vor zwei, drei Stunden gesagt, er schlägt zurück und er wird seine Unschuld beweisen. Was die Unschuld in diesem Zusammenhang sein soll, ist nicht ganz klar, aber wichtig für alle, die rechte und extrem rechte Parteien beobachten, ist: Man soll das Elektorat nicht überschätzen und die Rationalität solcher Vorgänge nicht überschätzen.
Im Übrigen, weil man aus Deutschland immer wieder diese Kritik hört: Es ist ja nicht so, dass Sebastian Kurz vor eineinhalb Jahren wirklich eine Alternative hatte, als hier jetzt mit der FPÖ in eine Koalition zu gehen. Man darf auch nicht vergessen, dass die FPÖ, bevor Kurz angetreten ist, die größte Partei in den Umfragen war. So leicht kann man sich es nicht machen zu sagen, man darf mit diesen Parteien nicht koalieren. Österreich hat da sehr viel Erfahrung und Deutschland mit der AfD ist erst am Anfang, Erfahrungen zu machen.
Was hat es mit dem Verein "Austria in motion" auf sich?
Kaess: Noch mal zum Image der FPÖ. Die Affäre um die FPÖ ist ja noch nicht zu Ende. In diesem veröffentlichten Video aus dem Jahr 2017 werden ja möglicherweise illegale Parteispenden an die FPÖ thematisiert. Was wissen Sie darüber?
Rainer: Das "Profil", mein Magazin hat gestern, denke ich, einen Verein identifiziert - ich glaube, er heißt "Austria in Motion" -, der in vieler Hinsicht dem entspricht, was Heinz-Christian Strache und Herr Gudenus in diesem Video sagen, also ein Verein, über den man Geld schon schleusen könnte. Wir haben bisher keinen Beweis dafür, dass dort wirklich Geld zur FPÖ geschleust wurde. Allerdings hat ein führender Vertreter dieses Vereins gestern zugegeben oder heute Morgen zugegeben, dass 300.000 Euro an Spenden dort wirklich gelandet seien. Er dementiert, dass die an die FPÖ gegangen wären. Allerdings was heißt schon an die FPÖ; der Vereinszweck ist, Österreich zu stärken. Das könnte schon der Verein sein, den die Freiheitlichen da gemeint hatten, und es wird sehr interessant sein zu sehen, woher die 300.000 Euro denn kamen, weil Strache und Gudenus in dem Video ja auch Namen von Industriellen genannt haben, durchaus international tätige Unternehmen wie der Waffenhersteller Glock oder das Glückspielunternehmen Novomatic, die allerdings sofort dementiert haben, jemals an die FPÖ gespendet zu haben. Allerdings haben sie nicht dementiert, an einen Verein gespendet zu haben, also aufklärungsbedürftig.
Kaess: Das Illegale, Herr Rainer, wäre hier in diesem Fall, dass das Geld dann vorbei am Rechnungshof geflossen wäre.
Rainer: So ist es. Es ist paralegal. Ob es in einem strafrechtlichen Sinne oder auch in einem zivilrechtlichen Sinne illegal ist, ist nicht genau festzumachen. Wenn es jedenfalls in Demokratien, in diesem Fall in Österreich Möglichkeiten gibt, Parteien Spenden zukommen zu lassen, ohne dass ein Rechnungshof das überprüfen kann, dann sollten sich nicht nur Österreich, sondern vermutlich auch Deutschland und andere Staaten Gedanken darüber machen, wie man so etwas verhindern kann: Parallelstrukturen bei der Förderung von Parteien. Gegeben in irgendeiner Form hat es das immer.
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