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Österreich
Stück für Stück nach rechts

Die Ibiza-Affäre um Ex-FPÖ-Parteichef Strache löste in Österreich ein politisches Beben aus und sprengte die Regierung. Im September wird nun neu gewählt. Die FPÖ werden sich noch weiter nach rechts lehnen, meint der Politikwissenschaftler Anton Pelinka. Zumal Ex-Kanzler Kurz keine Inhalte habe.

Von Antonia Kreppel | 16.09.2019
Eine Demonstration am Samstag, 18. Mai 2019, nach dem Veröffentlichen des "Ibiza - Videos" in der Causa Strache am Ballhausplatz vor dem Bundeskanzleramt in Wien.
Demonstarionen vor dem Bundeskanzleramt in Österreich (dpa / APA/ Roland Schlager)
Vor der Innsbrucker Universität breitet ein gewaltiger Adler seine Schwingen aus. Er thront auf einem Steinsockel mit der Inschrift "Ehre – Freiheit – Vaterland", ein Monument für die Einheit des Landes Tirol und die im Zweiten Weltkrieg Gefallenen der Universität. Und: Ein Stein des Anstoßes - 1984 wurde eine Gedenktafel für den Widerstandskämpfer Christoph Probst an dem umstrittenen Denkmal angebracht: Der Medizinstudent an der damaligen "Deutschen Alpenuniversität" wurde als Mitglied der "Weißen Rose" 1943 in München hingerichtet. Der Universitätsplatz heißt nun Christoph-Probst-Platz.
"Dieser Adler gehört eigentlich weg", sagt Anton Pelinka leise und steigt die großzügige Steintreppe in der Eingangshalle der Universität empor; ein feiner Herr mit kurzem weißem Haar. Der 1941 in Wien geborene Jurist und Politikwissenschaftler hat 31 Jahre hier gelehrt und das Institut für Politikwissenschaften aufgebaut.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Immer wieder Rechtswalzer - Österreich nach "Ibizagate" und vor der Wahl".
Seit Jahren befasst er sich mit der politischen Entwicklung Österreichs nach – so wörtlich - "rechts außen". Nach der sogenannten Ibiza-Affäre und der schamlosen Offensive der rechtspopulistischen FPÖ, politischen Einfluss zu verkaufen, werde sich die Partei noch starker nach rechts lehnen, meint Anton Pelinka.
Das Bild zeigt österreichische Zeitungen mit Schlagzeilen, die sich auf den Strache-Skandal beziehen.
Als die Ibiza-Affäre bekannt wurde, platzte in Österreich die Regierung, (imago images / Viennareport)
Aber: "Das Scheitern der Koalition könnte man verstehen, dass der Weg nach rechts außen damit unterbunden wurde. Das heißt, diese Koalition, die eine Koalition ist zwischen einer Mitte-rechts-Partei, der ÖVP und einer weit rechts außenstehenden Partei, der Freiheitlichen Partei, ist gescheitert. Und wir werden erst sehen was nach der Nationalratswahl passiert, ob dieser Weg Österreichs nach rechts außen weiter gehen wird, oder ob dieses Stopp-Signal, die Abwahl der Regierung Kurz, nachdem vorher Bundeskanzler Kurz sich von der Allianz mit der FPÖ, getrennt hat, ob das diesen Weg beendet. Ich bin skeptisch, aber es ist ein Zeichen, dass wir in Österreich die Entwicklung kritisch sehen müssen, aber dass es nicht hoffnungslos ist."
Für den Wissenschaftler Pelinka ist die FPÖ rechtsextrem
Anton Pelinka ist als einer von wenigen österreichischen Wissenschaftlern mehrmals von der FPÖ unter Jörg Haider juristisch attackiert worden, nachdem er ihm vorgeworfen hatte, den Nationalsozialismus zu verharmlosen. Die Prozesse hat er gewonnen. Österreichs Rechtsextremismus bezeichnet er als einen der "erfolgreichsten Europas". Die FPÖ ist für ihn nicht nur eine rechtspopulistische, sondern eine rechtsextreme Partei. Und es gebe einen Punkt, in dem sie sich von anderen, europäischen Parteien des rechten Spektrums unterscheide:
"Dazu kommt als österreichische Besonderheit eben die Verwurzelung im Nationalsozialismus. Das gilt zum Beispiel für Frankreich oder Italien so nicht. Und auch nicht für Deutschland, denn was immer die AfD ist, sie ist nicht von ehemaligen Nationalsozialisten für ehemalige Nationalsozialisten gegründet, wie die FPÖ von Anfang an so war."
Heinz-Christian Strache schwenkt eine große österreichische Fahne auf einer Bühne.
Journalist: FPÖ wird durch Strache-Video nicht zerstört
Der österreichische Journalist Christian Rainer glaubt nicht, dass Kanzler Sebastian Kurz durch den Misstrauensantrag gestürzt werde. Auch die FPÖ werde vermutlich nicht massiv an Zuspruch verlieren: "Man sollte die Rationalität solcher Vorgänge nicht überschätzen", sagte er im Dlf.
Hinzu komme, dass die konservative ÖVP bereits in den 50er-Jahren dazu bereit war, die FPÖ in Regierungsverantwortung zu holen. "Das wurde damals unterbunden. In den sechziger Jahren hat die Sozialdemokratische, damals noch sozialistische Partei, Ähnliches versucht, und dann hat noch Bruno Kreisky in Zeiten der sozialdemokratischen Hegemonie versucht mit der Freiheitlichen Partei Absprachen zu treffen für den Fall, dass er die absolute Mehrheit verliert. Das heißt, die Wettbewerbssituation zwischen den zwei hegemonialen Parteien, die in ihrer Gesamtgröße weit größer waren als andere Großparteien in Europa, hat die FPÖ potenziell und dann aktuell in die Rolle des Züngleins an der Waage gebracht."
Wahlverhalten der Österreicher immer unberechenbarer
Heute stellen Politikberater fest, dass die österreichischen Wähler verunsichert seien und ihr Wahlverhalten immer unberechenbarer werde. Die beiden ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP, die einst über 90 Prozent der österreichischen Wähler vereinigten, hatten sich im sogenannten Proporz-System die staatliche Macht aufgeteilt. Politische Ämter wurden entsprechend dem Kräfteverhältnis zwischen den Parteien besetzt. Es gab quasi keine Opposition. "Allmählich ist eine Ermüdung eingetreten, und heute gibt es viel weniger Proporz als zuvor. Dennoch ist nach wie vor das Thema Proporz da, als gäbe es den alten Proporz noch im alten Umfang. Als könnte noch immer eine Partei sagen, wenn du den Direktor dort stellst, bekomm ich den Direktor dort. Die Welt hat sich geändert, aber als Gespenst besonders vonseiten der FPÖ, kann man ihn immer noch abrufen."
FPÖ punktet trotz Ibizia-Affäre im Wahlkampf
Einerseits spielt die FPÖ damit und wirft ÖVP und SPÖ Kungelei vor. Andererseits drängen FPÖ-Politiker inzwischen selbst in vielen staatsnahen Betrieben in Führungspositionen, beispielsweise bei der Österreichischen Nationalbank, den Österreichischen Bundesbahnen und bei den Casinos Austria. Schließlich war die FPÖ an der vergangenen Regierung beteiligt und könnte auch nach der Wahl Ende September wieder Regierungspartei werden. Denn trotz der Ibiza-Affäre punktet die FPÖ im Wahlkampf mit den Themen Sicherheit und Wohlstand "in unserer Heimat". Sie fordert mehr Geld für das Bundesheer, eine Stärkung der direkten Demokratie sowie ein Gesetz gegen den politischen Islam. Ihr Credo: "Ohne uns driftet die ÖVP nach links ab".
Wissenschaftler Pelinka: "Kurz hat keine Inhalte"
Die ÖVP hingegen kämpft zwar weniger hetzerisch um die Gunst der Wähler. Doch auch an Ex-Kanzler Sebastian Kurz gibt es scharfe Kritik: Klimawandel, die Senkung der Steuerlast, der Kampf gegen illegale Migration – diese Schlagworte wiederholt Kurz im Wahlkampf geradezu mantraartig, füllt sie jedoch selten mit konkreten Forderungen. Und so kritisiert auch Anton Pelinka: "Er ist ein perfekter Kanzlerdarsteller, er hat ganz bestimmt keine rechtsextremen Inhalte, er hat auch keine spezifisch konservativen Inhalte. Das Problem ist, er hat keine Inhalte. Aber dieses nichts an Inhalt verkauft er perfekt verpackt." In der Wählergunst aber scheint das Sebastian Kurz nicht zu schaden. Laut aktuellen Umfragen liegt die ÖVP zwischen 33 und 34 Prozent. Und auch die FPÖ wird bei den Wahlen wohl nur leicht verlieren.