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Österreich-Wahl in der Presse
"In ganz Europa dürften die Alarmglocken läuten"

Eine klare Mehrheit für Norbert Hofer von der rechtspopulistischen FPÖ: Das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl in Österreich hat Ursachen und Folgen über das Land hinaus, sind sich die Kommentatoren der Tageszeitungen sicher.

25.04.2016
    Verschiedene deutsche Tageszeitungen liegen zur Presseschau bereit.
    Verschiedene deutsche Tageszeitungen liegen zur Presseschau bereit. (Jan Woitas, dpa)
    "Ein gutes Drittel der österreichischen Wähler hat für Norbert Hofer gestimmt, den Kandidaten der rechtspopulistischen FPÖ. Wer sich in Deutschland immer noch verwundert die Augen reibt, warum Österreichs Sozial- und Christdemokraten ihre Grenzen gegen Migranten und Flüchtlinge dicht machten, der kennt jetzt den Grund: Eine Partei kann mit Wahlkampf gegen islamische Zuwanderung und Sicherung des Wohlfahrtsstaates für Einheimische einen Wahltriumph herbeiführen. Für die Stichwahl am 22. Mai konzentriert sich alles auf Hofers Gegenkandidaten. Der Grüne Alexander Van der Bellen müsste schon ein Wunder schaffen und das politische Spektrum einmütig hinter sich sammeln. Sonst bekäme Österreichs Zweite Republik erstmals einen Präsidenten von rechts außen. Die Aussicht allein bedeutet ein Menetekel für jede europäische Willkommenspolitik westlich von Wien", bemerkt DIE WELT.
    Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG prophezeit: "Das politische Beben in der Alpenrepublik wird über die Grenzen hinaus zu spüren sein. Dem FPÖ-Pendant von der AfD wird das Szenario gefallen. Und agieren Union und SPD in Berlin ähnlich träge und ignorant, droht hierzulande genauso ein Rechtsruck", befürchtet die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.
    Und in der BERLINER MORGENPOST ist zu lesen: "Die mehr als 36 Prozent für den Kandidaten der FPÖ dürften in ganz Europa die Alarmglocken läuten lassen. Nur in Wien selbst scheint man das anders zu sehen. Es habe sich um eine 'Persönlichkeitswahl' gehandelt, trieb der ÖVP-Fraktionschef die Beschwichtigung auf die Spitze. Dabei war Norbert Hofer, der erfolgreiche Kandidat der FPÖ, vor wenigen Wochen noch den meisten Wählern völlig unbekannt. Die Wähler wollten einen, der 'gegen die Ausländer' ist, und sie hätten auch jeden anderen genommen", ist sich die BERLINER MORGENPOST sicher.
    Und hier weitere Themen der Presseschau aus deutschen Zeitungen vom 25.04.2016:
    Zum Verhältnis zwischen Barack Obama und Bundeskanzlerin Merkel schreibt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: "Der Präsident, von dem man zu Beginn seiner Amtszeit nicht wusste, ob er einen Draht zur Bundeskanzlerin finden werde, outet sich heute als oberster Fan Angela Merkels, deren Haltung und Führungskraft in der Flüchtlingsfrage er bewundert, anders als viele Deutsche und viele Europäer. Auch im Weißen Haus scheint man mittlerweile für die Kanzlerin zu beten. Es ist nicht das Schlechteste, wenn das führende Personal des Westens auf einer Welle liegt, wenn seine Spitzenleute einander vertrauen. Es wäre freilich hilfreich gewesen, hätte Obama beherzter dort eingegriffen, wo die jüngsten Flüchtlingsströme ihren Ursprung haben. So wirkt das Lob für die Kanzlerin irgendwie auch wie eine Absolution in eigener Sache", heißt es in der F.A.Z.

    Auch die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG beschäftigt sich mit der Frage, was die Kanzlerin und den amerikanischen Präsidenten verbindet: "Wie Obama in den USA stemmt sich Merkel in Europa gegen den neuen Nationalismus. Beide wünschen sich eine Art internationales Bündnis gegen Alleingänge. Obama hofft, dass Merkel sich in der EU durchsetzt. Merkel wiederum hat entdeckt, dass Europa gelegentlich auch mit Hilfe Washingtons stabilisiert werden muss."

    Die STUTTGARTER ZEITUNG unterstreicht: "Obama schätzt Merkels Verlässlichkeit, ihren Pragmatismus und den Mut seiner 'Freundin' in der Flüchtlingskrise. Dennoch fällt die vorläufige Bilanz der deutsch-amerikanischen Beziehung unter Obama ambivalent aus. Der engen politischen Freundschaft an der Spitze steht eine gewisse Entfremdung in der Bevölkerung gegenüber; die zugleich weiß, dass Barack Obama ihr näher steht, als es ein möglicher Nachfolger Donald Trump je täte." So weit die STUTTGARTER ZEITUNG.

    Gemeinsam warben Merkel und Obama auch für das europäisch-amerikanische Handelsabkommen TTIP. Nach Einschätzung der LAUSITZER RUNDSCHAU gibt es in der Bevölkerung großen Widerstand gegen die geplante Freihandelzone: "Die meisten Menschen glauben nicht mehr daran, dass TTIP ihnen Gutes bringen wird. Der Verunsicherung ist kaum mehr mit guten Argumenten beizukommen. Dafür tragen Merkel und Obama eine Mitschuld, weil sie es zugelassen haben, dass ein riesiges Informationsdesaster entstanden ist", urteilt die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus.

    Den NÜRNBERGER NACHRICHTEN ist ein anderer Aspekt wichtig: "Es ist schon erstaunlich, wie wenig der Physikerin Angela Merkel das Denken in vernetzen Systemen zu liegen scheint. Vor ein paar Wochen noch, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, wurde sie nicht müde, die Beseitigung der Fluchtursachen zu fordern - völlig zu Recht. Und jetzt? Trommelt die Kanzlerin zusammen mit US-Präsident Obama für das Freihandelsabkommen TTIP so, als habe das eine - Flucht - mit dem anderen - Welthandel - nichts zu tun. Doch es ist - neben Kriegen - gerade die pure wirtschaftliche Not, die immer mehr Menschen auf der Welt dazu zwingt, ihre Heimat zu verlassen. Und diese Not wird nicht zuletzt in Brüssel, Berlin und Washington zumindest mitverursacht", halten die NÜRNBERGER NACHRICHTEN fest.

    Der TRIERISCHE VOLKSFREUND ist überzeugt: "Merkel und Obama wollen nun versuchen, möglichst vor dem Ende der Amtszeit Obamas TTIP noch irgendwie zum Erfolg zu führen. Wie jedoch der gigantische Knoten gelöst werden könnte, ist unklar. Vielleicht geht das auch gar nicht mehr. Zu groß könnte die Ablehnung von TTIP in der Bevölkerung bereits sein." Das war der TRIERISCHE VOLKSFREUND

    Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG befasst sich mit dem FDP-Bundesparteitag in Berlin und meint zu den Äußerungen des Parteivorsitzenden: "Christian Lindner ist bekannt als guter Analytiker. Wenn er sagt, Union, SPD und die Grünen, 'das ist im Grunde doch alles eine Sauce', dann ist das natürlich fast unzulässig vereinfachend. Aber Lindner trifft damit eine Stimmung, die sich unter den Wählern zunehmend verbreitet. Die Frage ist nur, ob der FDP-Chef mit dem zweiten Teil seiner Analyse Recht hat: 'Den Unterschied machen wir.' Zur Zeit sind die Liberalen eine Partei im Projektstatus. Wofür die FDP in Zukunft stehen soll, wurde auch in Berlin nicht deutlich", resümiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.

    Die FRANKFURTER RUNDSCHAU sieht die FDP ebenfalls in einer "Testphase" und fragt: "Wird die digitale Zukunftsrhetorik ihres aktuellen Vorsitzenden einmal eine so bedeutende Rolle spielen wie einst die Ost- und später die Wirtschaftspolitik? Zweifel scheinen angebracht. Zu viel ist unausgegoren an Christian Lindners schickem Beta-Liberalismus", findet die FRANKFURTER RUNDSCHAU.

    Die RHEINPFALZ aus Ludwigshafen erkennt schon ein deutlicheres Profil: "Es geht der Partei und ihrem derzeit unumstrittenen Vorsitzenden Christian Lindner um eine Abkehr von 'alten Gewohnheiten'. Abkehr etwa von der Konzentration auf ein einziges Thema wie die Forderung nach Steuersenkungen. Oder die Verengung des Blicks auf eine ganz bestimmte Besserverdiener-Klientel. Oder die fatale Anhänglichkeit an die Union. Der FDP geht es vielmehr um die Rückbesinnung auf einen breiten Horizont urliberaler Ziele, zu denen die individuellen Freiheitsrechte ebenso zählen wie der Zugang zu Bildung oder der Abbau von Vorschriften und Bürokratie", fasst die RHEINPFALZ zusammen.

    "Eineinhalb Jahre vor der Bundestagswahl hat die FDP die Wende geschafft", bilanziert das STRAUBINGER TAGBLATT. "Der Neuanfang, den Christian Lindner erzwungen hat, war allerdings auch mit einem beispiellosen personellen Aderlass erkauft. Diese Lücken an Erfahrung, an Kompetenz und Professionalität werden den Liberalen noch eine Weile zu schaffen machen", glaubt das STRAUBINGER TAGBLATT.