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Österreich-Wahl
Politologe: FPÖ wäre inhaltlich der richtige Partner für Kurz

Die rechtspopulistische FPÖ spielt nach Ansicht des Wiener Politikwissenschaftlers Anton Pelinka bei der Regierungsbildung in Österreich eine entscheidende Rolle. Von den Inhalten her sei die FPÖ der richtige Partner für Wahlsieger Sebastian Kurz, sagte Pelinka im Dlf.

Anton Pelinka im Gespräch mit Dirk Müller | 30.09.2019
ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz und FPÖ-Spitzenkandidat Norbert Hofer im Rahmen der Nationalratswahl am Sonntag, 29. September 2019, im Medienzentrum in der Hofburg in Wien
Eine Neuauflage der Koaltion zwischen ÖVP und FPÖ, hier die Spitzenkandidaten Sebastian Kurz und Norbert Hofer, hängt nach Ansicht des Wiener Politikwissenschaftlers Anton Pelinka vor allem von den Freiheitlichen ab (APA / Helmut Fohringer)
Dirk Müller: Das offenbar beste, jemals erzielte Ergebnis für die ÖVP: Die Konservativen gewinnen die Wahlen in Österreich, dank ihres Spitzenkandidaten wohl auch in dieser Höhe, fast 40 Prozent, dank Sebastian Kurz, der vom Parlament gestürzte Ex-Kanzler - und auch mit den Stimmen des Koalitionspartners FPÖ wurde er damals entthront. Dabei waren es die Freiheitlichen, die das ganze Kartenhaus der Koalition zum Einsturz gebracht hatten: die Ibiza-Affäre von Parteichef Heinz-Christian Strache. Die FPÖ ist denn nun auch vom Wähler abgestraft worden. Mehr als ein Drittel der Stimmen hat sie verloren - Partnersuche in Österreich.
Die Wahlen in Österreich, das ist auch jetzt unser Thema. Sebastian Kurz und die ÖVP sind die Wahlsieger im Nachbarland. Am Telefon begrüßen wir nun den österreichischen Politikwissenschaftler Professor Anton Pelinka. Guten Tag!
Anton Pelinka: Guten Tag.
Dossier zur Wahl in Österreich
Dossier zur Wahl in Österreich (imago images / Michael Gruber)
Müller: Ist das gut für Österreich?
Pelinka: Na ja, es ist erwartbar keine klare Antwort. Es war auch vor der Wahl klar, dass es keine Mehrheit gegen die ÖVP des Sebastian Kurz geben wird, und es ist auch vor der Wahl klar gewesen, dass die Frage offen bleiben wird, mit wem Kurz eine relative Mehrheit umsetzt in eine Regierungsmehrheit, das heißt in Form einer Koalition. Das ist die entscheidende Frage: Mit wem wird Kurz ein Regierungsbündnis eingehen können? Die, die ihm das ermöglichen könnten, werden es ihm nicht leicht machen.
Müller: Aber das verstehe ich nicht ganz, wie Sie argumentieren, Herr Pelinka, denn Klarheiten oder klare Mehrheitsverhältnisse gibt es ja selten in demokratischen Staaten, gibt es in Deutschland ja auch selten. Das heißt, wir brauchen immer Koalitionspartner, um Regierungsmehrheiten zu finden, jetzt auch in Österreich. Warum ist das nicht klar?
Pelinka: Das stimmt. Aber 2017, vor zwei Jahren, war für alle Beobachter eindeutig erkennbar, wenn es auch nicht offiziell so ausgesprochen wurde, dass Kurz im Falle eines Wahlerfolges mit der Freiheitlichen Partei koalieren wird. Daher hat die Regierungsbildung auch nicht viel Zeit gebraucht. Unausgesprochen stand eine Koalitionsregierung bereit. Das fehlt heute und das ist die Frage, und daher rechnen viele, dass es Monate brauchen wird, bis Kurz einen Partner, eine Partnerin findet.
Pokerspieler Kurz
Müller: Weil Kurz es sich nicht leisten kann, wieder mit der FPÖ zusammenzugehen?
Pelinka: Das ist nicht auszuschließen. Kurz ist gut beraten, wenn er die Frage offen lässt, wenn er Gespräche sowohl mit den Sozialdemokraten, als auch mit den Freiheitlichen, als auch mit den Grünen sucht. Alle drei Parteien können ihm eine Mehrheit verschaffen. Er würde sich einer taktischen Karte berauben, würde er sich von vornherein festlegen. Das heißt, es wird ein Pokerspiel beginnen, und das Ergebnis ist offen, außer einzig und allein ohne ÖVP wird es nicht gehen.
Müller: Aber das ist ja ein gutes Zeichen für die österreichische Demokratie, für den Pluralismus, dass dort im Grunde jeder mit jedem kann.
Pelinka: Nicht unbedingt. Die Sozialdemokraten könnten mit den Freiheitlichen nicht. Die Grünen könnten mit den Freiheitlichen nicht. Alle Parteien können miteinander, mit Ausnahme der Freiheitlichen. Mit denen kann offiziell nur die Österreichische Volkspartei.
Müller: Aus Sicht des Wahlsiegers - dass die ÖVP diese ganze Regierungsbildung ja anführt, liegt in der Natur der Sache. Sie sagen, die SPÖ kann mit der FPÖ nicht. Auf der Bundesebene sind viele, die das hören, überrascht - denn auf Landesebene funktioniert das ja.
Pelinka: Das stimmt. Aber die Sozialdemokratische Partei hat im Wahlkampf klar gesagt, auch als eindeutige Strategie: Wir werden auf keinen Fall, unter keinen Umständen auf Bundesebene mit den Freiheitlichen koalieren. Ähnliches haben auch die liberalen Neos, Ähnliches auch die Grünen gesagt. Das heißt, die einzige Partei, die die Möglichkeit einer Koalitionsbildung mit der Freiheitlichen Partei offengelassen hat, ist die Österreichische Volkspartei.
SPÖ kann nicht mit FPÖ - aber auch schlecht mit Kurz
Müller: Die SPÖ-Spitzenkandidatin, Pamela Rendi-Wagner, kann ja auch nicht so gut mit Kurz. Sie kann im Grunde mit keinem dann?
Pelinka: Das ist so. Sie waren beide zwei Jahre in derselben Regierung des letzten sozialdemokratischen Kanzlers. Das heißt, die kennen einander, und es gibt persönliche Ressentiments, könnte man sagen. Denn für die Sozialdemokratie ist der Kurz der Mann, der die letzte Große Koalition hier quasi in die Luft gesprengt hat. Das ist eine subjektive, aber nachvollziehbare Wahrnehmung. Im Zweifel können aber natürlich persönliche Voreingenommenheiten übersprungen werden. Das heißt, derzeit - und Kurz wird das sicherlich aus taktischen Gründen ständig betonen - sind alle Varianten offen.
Müller: Reden wir über die Inhalte: Wirtschaftspolitik, Arbeitsmarktpolitik, Flüchtlingspolitik. Das sind ja wichtige Themen gewesen bei diesem Wahlkampf. Wenn Sebastian Kurz da jetzt sondiert, mit welcher Partei hat er dort die größte Schnittmenge?
Pelinka: Bei Flüchtlingspolitik eindeutig mit der Freiheitlichen Partei. Bei Wirtschaftspolitik wird er sich mit den Grünen schwertun und auch mit den Sozialdemokraten. Auch hier ist die Schnittmenge mit der Freiheitlichen Partei vermutlich größer. Was eine Rolle spielt, ist freilich Europa. Das Thema Europa und Österreichs Position in der Europäischen Union hat im Wahlkampf eigentlich beschämenderweise überhaupt keine Rolle gespielt. Aber mit der Freiheitlichen Partei wird sich Kurz in der EU wieder schwertun. Die Freiheitliche Partei ist im europäischen Kontext eine isolierte, gilt als extremistische Partei. Auf europäischer Ebene wird er sich sowohl mit den Sozialdemokraten als auch mit den Grünen leichter tun.
Große Schnittmenge zwischen ÖVP und FPÖ
Müller: Aber im Wahlkampf, das sagen Sie ja, hat das keine große Rolle gespielt, offenbar im österreichischen Bewusstsein der Wähler ja dann auch nicht. Aber wenn ich jetzt Ihre Antwort richtig interpretiere und subsummiere, dann wäre die FPÖ genau wieder der richtige Partner.
Pelinka: Genau, von den Inhalten her gesehen. Und wenn die Freiheitliche Partei nicht noch schlechter als erwartet abgeschnitten hätte, wäre das auch die wahrscheinlichste Lösung gewesen. Nur die Freiheitliche Partei ist so tief abgestürzt, dass sie jetzt sich überlegt, ob sie nicht nur in der Oppositionsrolle erfolgreich sein kann. Das heißt, diese, vom Inhaltlichen her eher naheliegende Fortsetzung der Koalition des Sebastian Kurz mit den Freiheitlichen, hat das größte Problem mit den Freiheitlichen, die erst ihre Rolle nach diesem schweren Absturz neu definieren werden müssen.
Müller: Wenn die Freiheitlichen, die FPÖ einmal Heinz-Christian Strache verdaut hat - das geht ja immer noch, die Ibiza-Affäre ist noch nicht ganz aufgeklärt und noch nicht durchdekliniert, jetzt gibt es weitere Ermittlungen gegen Heinz-Christian Strache, er taucht auf bei vielen Veranstaltungen und dagegen steht dann Norbert Hofer, der eine größere Glaubwürdigkeit ja in der Bevölkerung nach den Umfragezahlen jedenfalls hat - wenn Strache einmal verdaut ist, geht es mit dieser Partei dann automatisch wieder nach vorne?
Pelinka: Nicht unbedingt. Die Freiheitliche Partei hat in ihrer Geschichte dreimal eine Koalitionsregierung gebildet: in den 1980er-Jahren mit der Sozialdemokratie, 2000 und dann wieder 2014 mit der Österreichischen Volkspartei. Alle drei Male ist sie für die Regierungsbeteiligung von den Wählern bestraft worden. Das heißt, die Botschaft, die die Freiheitliche Partei unabhängig vom Fall Heinz-Christian Strache daraus ziehen kann, ist: Wir sind eigentlich nur erfolgreich als Oppositionspartei. Das heißt: Die Frage, ob Kurz mit den Freiheitlichen gemeinsam wird weiterregieren können, wird nicht primär von Kurz zu entscheiden sein, sondern primär von den Freiheitlichen.
Freiheitlichen liebäugeln mit Opposition
Müller: Zumal Norbert Hofer das ja schon angedeutet hat, dass der Weg in die Opposition der richtige sei.
Pelinka: Das ist auffallend. Norbert Hofer hat bis zum gestrigen Wahltag immer betont, wie naheliegend und wie wünschenswert für ihn die Fortsetzung wäre. Die Niederlage war schwerer als erwartet. Da hat sich in der letzten Woche noch einiges bewegt von den Freiheitlichen zur ÖVP, und jetzt sind die Stimmen in der Freiheitlichen Partei sehr deutlich und aus meiner Sicht logisch nachvollziehbar: Wir müssen in die Opposition, wenn wir weiter versuchen, mit einem noch dazu triumphalen Sebastian Kurz als Juniorpartner zu regieren, wird es uns erst recht schlecht ergehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.